Boys Noize hat nur zu gern auf seine EDM-Millionen geschissen

Immer dann, wenn Alex Ridha ein richtiger kommerzieller Erfolg „droht”, macht er die Biege, sprich: sein eigenes Ding. Das war schon so, als seine Band Kid Alex mit „Young Love – Topless” vor über einem Jahrzehnt durch die Decke ging. Und auch, als er auf dem Sprung war, ein EDM-Superstar zu werden—immerhin war er bei den Anfängen des ganzen Zirkus noch ganz vorne mit dabei. Stattdessen setzt sich der DJ, Produzent und Labelmacher lieber immer wieder selbst zwischen alle Stühle. „Meine Musik ist nicht Mainstream, aber auch nicht Techno”, meint er selbst. Sie ist dazwischen. Das gilt auch für das neueste Boys Noize-Album Mayday. Ridha ist sich treu geblieben, der pulsierende Planierraupenbeat, den man mit ihm verbindet, walzt noch immer. Dazu mischen sich allerdings auch hübsch offene Rave-, Pop- und House-Noten, die Boys Noize musikalisch auslüften. Das klingt vertraut, aber auch so gut wie noch nie.

Vor seiner Open-Air-Albumpräsentation während des 1. Mai in Berlin-Kreuzberg sprachen wir über die Psychologie eines DJs, Drogen, House-Kultur—und warum Steve Aoki schuld an allem ist.

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Alex, du stellst dein Album während des Tag der Arbeit in Kreuzberg vor, allerdings nicht im Rahmen der Demo oder des Myfests. Warst du selbst schon mal auf einer Revolutionären-1.-Mai-Demo, etwa damals mit Atari Teenage Riot 1999?
Nein, bei der war ich nicht. Einmal habe ich es mit erlebt, damals allerdings ziemlich soft. Dennoch weiß ich, dass die immer eskalieren kann. Ich schätze das; dass es noch immer diesen Fick-den-Kapitalismus-Vibe dort gibt. Es ist wichtig, dass die Leute hin und wieder mal daran erinnert werden, dass man auf die Gesellschaft auch scheißen kann.

Dein Rave wiederum …
… ist keine politische Veranstaltung.

Hast du schon mal auf einer solchen gespielt?
Nein. Obwohl, doch, beim G-Move in Hamburg, aber das war nun auch nicht wirklich eine politische Sache.

Betrifft dich noch, was in Hamburg passiert? Stichwort: Pudel.
Klar, im Pudel habe ich meine Jugend verbracht. Unzählige Nächte lang. Das ist ziemlich traurig, aber es geht wohl bald wieder los. Ich habe das gerade von Dietroiter gehört—dem wahrscheinlich besten Resident-DJ der Welt.

Die Rockband Tocotronic hat auch schon mal ein Album beim 1. Mai vorgestellt. Ihr wurde dann vorgeworfen, dass sie den Anlass nur kommerziell ausnutzen würde.
Ich verstehe, dass manche vielleicht denken, dass wir das als Promo ausnutzen. Aber ich glaube auch, dass das Album eher eine Message hat, dass es einen Lifestyle gibt, den man lebt, und eine gewisse Sache, von der man ein Teil sein will. Aber da kommen wir zwangsläufig zu der Frage, was Underground wirklich bedeutet und ob ein solcher überhaupt noch existiert. Für mich nämlich nicht—es sei denn, du machst Musik und veröffentlichst sie nicht. Selbst derjenige, der 300 White Label presst, will doch cool sein und damit etwas verkaufen.

Ich finde, das neue Album verkörpert das tatsächlich: halb verrauschter Rave, halb Big Room Sound inklusive Flammenwerfer, wie ich sie live bei dir auch schon gesehen habe.
(lacht) Ja, auf jeden Fall, damit habe ich überhaupt kein Problem. Meine Inspirationen waren die Anfänge des UK Break Rave, wo zum ersten Mal HipHop-Samples hochgepitcht und mit Techno und Rave gemischt wurden. Diese Zeit hat für mich etwas Naives, Unschuldiges, das ich gerne transportieren möchte. Aber natürlich mache ich als Produzent jetzt keine Platte, die nach 1994 klingt. Bis heute ist für mich allerdings ausschlaggebend, dass ich die Musik live auf meine Art präsentieren kann—ob im kleinen Club oder auf der großen Bühne.

Apropos große Bühne. Du warst damals mit dabei, als Veranstaltungen wie das HARD in den USA ins Leben gerufen wurden. Da wurde im Prinzip, das, was heute die EDM-Kultur ist, losgetreten.
Für mich ist EDM heute nichts Anderes als Eurodance. Die 16-Jährigen dort kennen halt keine Raves und keinen Jeff Mills, weshalb für die alles neu, was bei uns schon in den 90ern stattgefunden hat. EDM-Tracks sind Songs, die sich als House, Techno tarnen … obwohl, eigentlich kann man nicht mal das sagen.

Niemand in meiner Schule außer mir hat House gehört. Ende der 90er war das ‘gay’.

Wie hast du diese Zeit erlebt?
Meiner Meinung nach ist Steve Aoki der Begründer von EDM. Er hat das Ding einfach am härtesten immer weiter gedreht. 2008, 2009, als Power rauskam und ich dachte, dass dieser Sound, den ich persönlich sehr mag, eigentlich bereits durch war, kamen immer wieder Leute, die den noch mal durch den Wolf gedreht haben. Und noch mal. Und noch mal. Irgendwann wurde alles komplett Banane und es hatte nichts mehr mit der Crew von Produzenten und DJs zu tun, mit der ich noch bei meinem ersten Album unterwegs war. Das war für mich damals noch Punk. Bei EDM hingegen hieß es dann plötzlich: Stagediving! Die ursprüngliche Idee wurde amerikanisiert. Jemand wie Steve hat dreimal so oft und heftig gespielt, wie wir alle. Es wurde eine richtige Business-Musik. Und die wird es jetzt wohl für immer geben.

Dennoch könntest du jetzt auch mit Millionen-Einkommen in deinem Haus in Las Vegas sitzen. Warum hast du dich ausgeklinkt?
Ich brauchte mich nicht ausklinken, denn ich war einfach nie richtig drin. Mich hat als 14-Jähriger eine richtige House-Kultur zum Auflegen gebracht. Und die gibt es nicht mehr; diese Plattenläden, in denen man Gleichgesinnte treffen konnte. Ich hatte damals zwei Jobs, um mir die Musik finanzieren zu können. Niemand in meiner Schule außer mir hat House gehört. Ende der 90er war das „gay“. Ich hingegen hatte eine Welt für mich allein gefunden. Es ist fast unmöglich, mir das zu nehmen. Das ist eben auch ein Grund, warum ich keinen Track für Black Eyed Peas produzieren könnte. Ich finde solche Musik schließlich scheiße. Klar, ich haue auch gerne selbst auf die Kacke und aus Berghain-Perspektive würde man wohl sagen, dass ich es eher offensichtlicher mag. Dennoch: Bei mir stecken immer ein Herz und eine Idee dahinter. Ich habe House- und Electro-Kultur studiert. Das kann ich einfach nicht vergessen, auch nicht, wenn die Industrie mir was Anderes sagen will.

Zwei deiner alten Tracks sind jetzt in dem neuen Film Der Nachtmahr zu hören. Darin bleibt eine junge Frau auf einem Trip hängen. Kennst du solche Geschichten aus deinem Umfeld?
Ja. Freunde haben alles Mögliche ausprobiert. Ein paar sind darauf hängengeblieben, viele sind wieder zurückgekommen. Es gibt da traurige und weniger traurige Geschichten. Das ist immer mit dabei, allerdings hat das nicht allein was mit dem Nachtleben zu tun. Drogen und Musik gingen schon in den 60ern eng zusammen. Auf keinen Fall würde ich Drogen promoten, aber ebenso wenig bin ich gegen sie. Der Konsum ist in Ordnung, solange man weiß, was eine Droge bedeutet und wer man selbst ist. Das ist ein Problem, dass solche Informationen für Jugendliche nicht zugänglich sind. Ich habe mein erstes Ecstasy auch auf der Loveparade genommen—und es war großartig. Das heißt aber nicht, dass E deshalb großartig für alle ist.

Wie ist es mit dem DJ-Dasein und Drogen? Jemand wie du steht nicht nur gesondert im Mittelpunkt: Du musst dabei auch Spaß haben.
Das ist persönlichkeitsabhängig. Ich brauche auch keine Drogen, um Spaß beim Auflegen zu haben, und vielen Kollegen geht es genauso. Aber jeder ist unterschiedlich. Wenn ein junger Produzent von einen Moment auf den anderen auf die große Bühne kommt, dann ist das auch anstrengend. Manche hören ein Jahr lang, dass sie der beste Produzent der Welt seien, und fangen dann an, das auch zu glauben. Sie behandeln ihre Freunde scheiße, werden arrogant. Das erlebe ich oft. Und so jemand fängt dann eher an, Drogen zu nehmen.

Du hast mit Benga zusammengearbeitet, ein britischer Kollege, der vor einigen Jahren öffentlich gemacht hat, dass er mit Schizophrenie lebt, und wie schwer es ist, gerade so als DJ zu bestehen. Hat euer Job ein besonderes psychologisches Anforderungsprofil?
Klar. Heutzutage ist es als Künstler nicht einfacher geworden. Den Erfolg immer wieder zu füttern, ist ein enormer Druck. Einen Hit zu landen oder ein Album zu machen, das alle feiern, ist das Eine. Das aber noch zwei-, dreimal zu machen, das Andere. Ich persönlich mache Musik, weil sie mir Spaß macht. Das kam alles aus einem Hobby heraus. Ich war schon mit meinen ersten 50 Mark als DJ glücklich. Heute kann ich wirklich sagen, dass es mir am Arsch vorbeigeht, was alle anderen machen.

Wann hast du das für dich entschlossen?
Als ich das Kid-Alex-Projekt beendet habe. Damals habe ich wirklich gelernt, wie die Industrie funktioniert. Für manche Künstler passt das halt nicht. Und meine Musik gehört da dazu: Sie ist nicht Mainstream, aber auch nicht Techno. Sie ist dazwischen. Ich kann mich noch gut an die Faxe erinnern, die auf meine ersten Boys Noize-Platten zurückkamen—noch bevor ich mein eigenes Label hatte. Von Laurent Garnier und so. „Wir finden es geil, aber es ist schwer, das zu mixen.” Später fand ich es wiederum geil, wie alle mein erstes Album Oi Oi Oi gehasst haben. Heute halten es manche für einen Klassiker.

Mayday ist bei Boysnoize Records erschienen. Der Nachtmahr läuft morgen, am 26. Mai, in den deutschen Kinos an.

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