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Es ist nicht viel Kokain im britischen Kokain

London ist die Kokain-Hauptstadt Europas. Das Zeug ist einfach überall—außer dort, wo man es erwarten würde: im Kokain.

Illustration von Tom Scotcher

London ist die Kokain-Hauptstadt Europas. Laut einem Bericht von 2014 hat die Stadt eine höhere Koks-Konzentration im Wasser als jeder andere Ort auf dem Kontinent. Die Londoner pissen drei Mal so viel von dem Zeug wie etwa die Milanesen. Die britische Polizei hat damit aufgehört, Geldscheine auf Spuren der Droge zu testen, denn innerhalb von Wochen des Umlaufs ist es garantiert, dass sie schon mal in eine Nase geschoben und eine CD-Hülle entlanggezogen wurden oder eben neben einem anderen kontaminierten Schein lagen.

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Kokain ist überall—außer, so scheint es, an dem einen Ort, wo man es vermuten würde: im Kokain.

„Die Straßen sind voll von weißem Pulver, nicht voll Drogen", sagt Lawrence Gibbons, oberster Koordinator für Drogen bei der britischen National Crime Agency (NCA). „Wir analysieren alles, was beschlagnahmt wird und das mehr als 1 Unze [ca. 28 Gramm] wiegt—das ist die Menge, die Straßendealer normalerweise kaufen—und wir beschlagnahmen regelmäßig riesige Mengen von Substanzen, die keine Spur von Kokain enthalten. Eine Unze hat im Moment nie mehr als 22 bis 25 Prozent Reinheit, und danach wird es nochmal gestreckt, bevor es die Straße erreicht. Dealer und Kunden wissen wirklich nicht, was sie da kaufen, und darin liegt die Gefahr."

Viele Gelegenheitskonsumenten glauben tatsächlich, dass ihr Typ das beste Zeug hat, vor allem wenn dieser Typ clevere Marketing-Tricks einsetzt, wie zum Beispiel ein Säckchen für 50 und ein Säckchen für 90 anzubieten. Doch, so Experten, der britische Kokainmarkt ist schon so weit kollabiert, dass kein Straßendealer wirklich wissen kann, was er dir verkauft. Die Nachahmung ist so überzeugend und das Strecken so effektiv, dass ein forensischer Experte, der beschlagnahmte Substanzen aus ganz Großbritannien testet, behauptet, er habe in den letzten zwei Jahren nur „ein oder zwei Gramm" Kokain gesehen, die einen Reinheitsgrad über 70 Prozent hatten, ob es nun teuer war, oder nicht.

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Für den Kollaps der Kokainreinheit wird das Geschäft mit Substanzen verantwortlich gemacht, die normalerweise eher neben dem Zahnarztstuhl zu finden sind. 2007 fanden die Importeure heraus, dass sich Kokain mit billig erstandenem Benzocain—einem Betäubungsmittel, das meist von Zahnärzten eingesetzt wird und die betäubende Wirkung von Kokain nachahmt—stark strecken lässt, anstelle von Glucose, dem zuvor beliebtesten Streckmittel. Benzocain ist für etwa 12 Pfund das Kilo (mit Kokain identisch aussehenden Pulvers) aus China erhältlich, und kann dann in einem Verhältnis von 10:1 oder mehr zum Strecken von Kokain verwendet werden. Am 16. März wurden zwei Männer aus New South Wales verhaftet, weil sie vorgehabt haben sollen, Kokain zu verkaufen; man war auf sie aufmerksam geworden, als sie im Supermarkt 12 Mixer gekauft hatten, um 4 Blöcke Schnee mit 5,8 kg Benzocain zu mischen.

Gibbons sagt: „Wenn man sich die Zeit vor 2007 ansieht, dann war die Kokainreinheit relativ hoch, doch es wurde mit inaktiven Substanzen wie Glucose gestreckt. Allerdings konnte man Kokain nur so weit mit Glucose strecken, bevor die betäubende Wirkung—der „Kojak-Test", den man bei Fernsehdetektiven sieht—wegfallen würde. Dealer fingen an, Benzocain oder Phenacetin zu verwenden, da sie wie Kokain aussehen und dieselbe betäubende Wirkung haben. Somit konnten sie ihre Ware weiter strecken."

Böse Zungen könnten an dieser Stelle behaupten, die NCA—eine Strafverfolgungsbehörde—würde bestimmt alles Mögliche behaupten, um dem Drogenkonsum ein Ende zu bereiten. Doch sogar unabhängige Tester behaupten, die Lieblingspartydroge der Briten habe angefangen, ganz schön kraftlos zu wirken.

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Allen Morgan, ein unabhängiger forensischer Experte, der Drogenladungen für große Strafprozesse analysiert, sagt: „Viel beschlagnahmtes Kokain, das ich gesehen habe, hatte Konzentrationen von einem oder drei Prozent. Die Reinheit wird geringer, je weiter die Droge in der Versorgungskette gekommen ist. Selbst der Importstandard liegt irgendwo zwischen 50 und 60 Prozent Reinheit. Ich habe ganze beschlagnahmte Kilos gesehen, die auf fast null gestreckt wurden."

Ein paar Lines Koks Foto: Justin Caffier via „Ich habe mir Kokain in den Arsch blasen lassen, damit ihr es nicht tun müsst"

So beliebt sind die Streckmittel, dass die Queen in ihrer alljährlichen Ansprache letztes Jahr versprach, der Polizei mehr Kompetenzen zu verleihen, um diese zu beschlagnahmen und zu vernichten, sowie die illegalen Händler zu verfolgen. Viele Händler geben sich als seriöse Firmen aus, die Schmerzmittel für Forschung, Fischzucht oder Tätowierer anbieten.

Vor sieben Jahren begann Project Kitley, ein Einsatzkommando speziell für den Streckmittelhandel. Die Anklagen, die daraus hervorgingen, zeigen das Verhältnis von Streckmitteln zu tatsächlichen Drogen. Zum Beispiel wurde 2011 der Dealer Jamie Dale, 32, zu 18 Jahren verurteilt, nachdem er in ganz Großbritannien 32 Tonnen Streckmittel gehandelt hatte. Als er vor der Polizei floh, in Unterhosen und mit 20.000 Pfund in bar, fanden die Polizisten so gut wie gar kein Kokain in seinem Haus. John Wright von der Serious Organised Crime Agency sagte nach dem Prozess: „Wenn Sie seit 2008 Kokain geschnupft haben, dann haben Sie mit Sicherheit etwas von Dales Produkt geschnupft."

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Im Januar 2011 wurde der 24-jährige Craig McKoy in Luton verhaftet, nachdem in einem Strecklabor 645 g Kokain und 24 kg Benzocain gefunden wurden. Im Mai 2010 wurden bei Mark Dear, 42, in Cambridge 704,81 g Kokain und 23,6 kg Benzocain gefunden. Im Juni letzten Jahres wurde eine Bande von 20 Männern in Cornwall zu mehr als 60 Jahren verurteilt, weil sie Kokain im Wert von mehr als einer Million Pfund gehandelt hatten. Im Laufe der Ermittlungen fand man bei Dealer Jason Carter 2 kg mit Benzocain gestrecktes Koks mit einer Reinheit von nur 17 Prozent.

Nur weil Benzocain in Schmerzmitteln steckt, ist es noch lange nicht sicher, sagt Lawrence Gibbons von der NCA. „Wissenschaftler haben Kokain seit den 1880ern getestet, daher kennen wir viele seiner Wirkungen. Allerdings ist diese Form des Benzocain weit entfernt von den kleinen, standardisierten Dosierungen, die man in der Zahnheilkunde findet—dieses Zeug wird in Badewannen oder chinesischen Fabriken massenproduziert. Wir haben keine Ahnung, welchen Schaden es in großen Dosen anrichtet, als Pulver geschnupft oder in Kombination mit Alkohol."

Foto: Giorgi Nieberidze

Doch das bringt offensichtlich niemanden dazu, über das Zeug die Nase zu rümpfen. Dean (Name geändert), ein 29-jähriger Dealer, beliefert Partys und Wohnungen im gesamten Westen Londons mit 70-Pfund-Briefchen und erzählt mir, seine Kunden hätten kein Problem mit dem verdünnten Zeug. „Es gibt so viele Wochenend- und Tagesfestivals und die Leute wollen Drogen als Teil dieser Erfahrung", sagt er. „Sie fragen: ‚Ist dieses Zeug in Ordnung?', aber selbst wenn man sie erst ein wenig probieren lässt, haben sie keine Ahnung, ob es gut ist. Sie nehmen es trotzdem. Sie haben beschlossen, dass sie Drogen wollen und sie werden sie auch kaufen, egal welche Qualität."

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Der britische Kokainmarkt ist heute in zwei Schichten geteilt: solche, die zufrieden damit sind, 30 oder 40 Pfund für gepanschtes Straßenkoks zu zahlen, und solche, die draufzahlen—von 70 bis 150 Pfund das Gramm—, um bessere Qualität zu erhalten. Hochwertigeres Kokain mit mehr als 40 Prozent Reinheit wird oft „flake" genannt, wegen seines schimmernden, schneeartigen Aussehens, doch auch das lässt sich laut Gibbons nachahmen. „Phenacetin, ein bekanntes Karzinogen, hat dasselbe schimmernde Erscheinungsbild wie reinstes Kokain. Man könnte jeweils ein Säckchen vor einen Konsumenten legen und ohne Testen gäbe es keine Möglichkeit, den Unterschied zu erkennen."

Manche Dealer kaufen sich forensische Sets, um die Qualität ihrer eingekauften Drogen zu testen. Allerdings wissen laut Drogenexperte Morgan sogar erfahrene Verkäufer ohne diese Hilfsmittel nicht, was sie kaufen. „Wenn man wirklich in der High Society unterwegs ist und Importstandard verlangen kann, dann ist der zu einem gewissen Preis auch erhältlich", erklärt er. „Doch Dealer denken oft, sie würden Importqualität verkaufen, weil sie den Stoff in versiegelten und gestempelten Blöcken gekauft haben, die aussehen, als habe ein Kartell sie verpackt. Allerdings ist bekannt, dass Banden andere Dealer abzocken, indem sie sich Pressen ausborgen, das Kokain mit Streckmitteln panschen und es dann neu pressen, sodass es aussieht, als komme es direkt von einem Schiff."

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Es stand so schlecht um den britischen Kokainmarkt, dass die Käufer stetig abwanderten—andere Drogen wie MDMA und Mephedron wurden beliebter (die Beliebtheit von Ephedrin, das früher legal war, ist seit seinem Verbot 2010 um 300 Prozent gestiegen)—, wodurch 2012 die Qualität noch einmal kurz anstieg, sagt Morgan. „Vor zwei Jahren hatten die Leute es satt, ein Gramm Kokain zu kaufen, das unweigerlich untergewichtig war und bei Einnahme nichts bewirkte. Sie kauften 800 mg einer Substanz, die zu einem Prozent aus Kokain bestand. Sie stiegen stattdessen auf Mephedron oder Amphetamine um."

Foto: Chris Bethell

Diese Aussage wird vom UK Focal Point on Drugs Report bestätigt, der auf Drogenreinheit eingeht. Im Dezember 2008 wurde bei einer Unze (28 Gramm)—der Menge, die ein Dealer zum Weiterverkauf erstehen würde—eine Reinheit von 21 Prozent festgestellt. Dieser Prozentsatz stieg 2012 vorübergehend auf 46 Prozent, nur um im März diesen Jahres wieder einzuknicken.

Wenn Kokain also nicht einmal das Papier wert ist, in dem es eingewickelt ist, warum nehmen die Leute es dann noch? Adam, 28, ein Futures-Analyst bei einer Bank, gibt zu, dass er jedes zweite Wochenende mit seinen Freunden Kokain für 70 Pfund das Gramm konsumiert, doch er glaubt ihren Beteuerungen, sie würden „vernünftiges Zeug" nehmen, nur halb.

Er sagt: „Ich liebe das Ritual des Koksens—das Verwegene daran, auf den Dealer zu warten, sich mit einem Freund im Club in eine Toilettenkabine zu quetschen, um eine Line zu ziehen. Für diese kurze Zeit, wenn du mit deinen Freunden ein paar Gramm ziehst, fühlst du dich wie ein Rockstar. Mein Leben ist unter der Woche langweilig—ich will nicht, dass meine Wochenenden auch so sind. Außerdem, so idiotisch das klingt, Mädchen kleben einfach an dir, wenn sie glauben, dass sie vielleicht eine Line abkriegen."

Dean, ein „Dealer fürs obere Marksegment" (seine Worte), sagte, seine Kunden würden sich auf Kokain verlassen, weil sie verlernt hätten, ohne Koks miteinander zu reden. „Ich deale auf Partys und ich sitze da und kann nicht fassen, wie langweilig die Leute sind", sagt er. „Sie sind so an die Technologie gewöhnt, dass sie einfach den ganzen Abend dasitzen und auf ihr Smartphone schauen. Erst wenn sie eine Fingerspitze voll oder ein paar Lines hatten, scheinen sie von Angesicht zu Angesicht sprechen zu können. Es ist wie ein Placebo."

Der forensische Experte Morgan gibt zu bedenken, dass gepanschtes Kokain durch seinen günstigen Preis auch attraktiver ist. „Die Leute haben Kokain traditionell bevorzugt, weil das Herunterkommen sanfter war und weil es, anders als Amphetamin, von einer Pflanze stammt, weswegen es als sicherer angesehen wird. Jetzt ist es so billig—wegen des Panschens—, dass mehr Leute sich leisten können, es zu probieren."

Nur ist es unwahrscheinlich, dass sie jemals wissen werden, was sie da eigentlich probieren.