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Britische Piers sind der Inbegriff von Glück

Britische Piers sind vorstädtische Einkaufsstraßen, die blind ins Meer marschieren. Nur frittiert. Sie sind ein Symbol nationaler Unsinnigkeit, sie sind blinkende Sauftempel, im Sonntagsanzug geschmückt mit dem einzigen Zweck, zu beglücken. Sie sind der Geruch von feuchtem Fisch und ein Rausch verlorener Jugend. Ich liebe sie. Wo, außer an der britischen Küste, siehst du ein Fußballfan mit haarigen Armen, der alleine, aber glücklich, auf einem Metallgartenstuhl sitzt und Fish und Chips isst, die vom Wind schon ganz kalt sind, während Seemöwen nur einen Meter entfernt an den Knochen ihrer aviären Brüder nagen?

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Fish und Chips: ein Krawall von Farben und Geschmack. Alle Bilder vom Autor.

Wo sonst gibt es einen Vergnügungspark, der dir einen flauen Magen beschert und sich direkt über der ganzen Scheiße befindet, die im irischen Meer schwimmt? Wo sonst könntest du an einem Mann vorbeilaufen, der unter einer Rebe aus Despicable Me-Spielzeug Schatten boxt? Wer sonst würde eine Kathedrale aus verspielten Pennies entlang einer Conga-Line von Eifeltürmen errichten, an denen irgendwelche Krebse kleben? Britische Piers sind der Geruch von Urin und verbranntem heißen Fett, das Klirren von verlorenen Münzen, das Tropfen von schmelzenden Lollys und die Beschaffenheit deiner Haare, die durch Salz und Wind zu einer starren Massen aufgewirbelt wurden. Ein Urlaub ist für mich kein Urlaub, wenn ich keine Fish und Chips, Eis und Cream Tea hatte. Versuch das mal in einem toskanischen Bauernhaus und du bist aufgeschmissen. Gehe jedoch den wackeligen, verfaulten Brettern eines britischen Piers entlang und du kannst einen ganzen Wochenendtrip in eine gute Stunde Turboessen verdichten. Ich sollte das am besten wissen. Letzten Freitag hab ich das Büro verlassen, bin in den Zug gestiegen und eine Stunde später stand ich am Brighton Pier und aß Zuckerwatte, während sich über mir ein gewaltiger Regensturm zusammenbraute. Innerhalb der nächsten Stunde verputze ich noch eine Portion Pommes, Surimi-Sticks, drei Schaumerdbeeren und ein Softeis, das nicht nur nach meiner Kindheit schmeckte, sondern—sicherlich nicht dank Margaret Thatcher—auch die Konsistenz von echtem Eis hatte. Ich spülte das Ganze mit einer Tasse Kaffee runter, die, trotz der Tafel mit einer Liste von italienischen Varianten, nur entweder schwarz oder mit Milch bestellt werden konnte. Es war eine der besten Mahlzeiten meines Sommers.

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Crabsticks

Super frische Meerestiere—künstliche Krabbensticks, eine Spezialität an der britischen Meeresküste.

Der Himmel glich zwar einem Handtuch eines Studenten—grau, tiefhängend und bedrohlich nasskalt. Ich war aber absolut nicht alleine. Eine junge Mutter saß lachend unter einer Markise, während ihre engelhafte Tochter sich Eiscreme über’s ganze Gesicht schmierte.

IcecreamGirl

Crepestation Die Crêpe-Station. Hier passieren zauberhafte Dinge.

Ein Transvestit mittleren Alters schlürfte eine Cola in seinem engen grünen T-Shirt, auf dem groß „Because I’m A Girl” stand. Eine Gruppe von Teenagern scharte sich um einen hohen Holztisch, verschlang Hotdogs und verglich Handyfotos. Eine muslimische Familie lehnte sich gegen das Geländer, währen sie Nutella-Crêpes von fettdurchtränkten Papptellern aß. Während der Gay Pride, erzählte mir Magda—die unglaublich frisch aussehende Polin hinter der Crêpe- und Donuttheke—,verbrauchte ihr Stand 17 der großen Gastronomie-Nutellagläser. Das sind 12750 g Nutella. Das Gewicht von vier Neugeborenen. „Vergangenen Sommer verkauften wir noch Erdbeeren, damit haben wir aber aufgehört”, sagt Magda, während sie traurig auf ihre Zutaten hinunterblickt, wo die Sweet Chili Sauce direkt neben dem Schokoladenguss steht.

Obwohl dieser Pier vielleicht seine Erdbeeren verloren hat, ist die Romantik geblieben. Alle, die schon einmal die ausgebleichten Schwarzweißfotos ihrer Großeltern vom ersten Date gesehen haben, wissen, dass es schon damals Burger, salziges Geschmuse und Zucker in Wolkenform auf britischen Piers gab. Es mag zwar mittlerweile auch die ein oder andere Nudelbar geben—eingequetscht zwischen einem Dosenwerfstand und einem Fotostudio, das sogar deinen Junggesellenabschied wie aus dem wilden Westen aussehen lässt—aber der Großteil der angebotenen Gerichte sind so zeitlos wie das Pferd auf einem Karussell. Pommes, Donuts, Schnecken, Cream Tea, Miesmuscheln, Herzmuscheln und Soleier. Klar kaufen sich die Leute auch die Nudeln. Als ich aber ein rothaariges junges Mädchen fragte, ob ihr ihre Süß-Sauer-Kombo schmeckt, sah sie verächtlich auf ihren kleinen Pappteller hinab und sagte: „Nein, ich esse nur das Hähnchen.”

BoatKids

Nachdem dieses Foto aufgenommen wurde, fanden viele Nudeln den Weg in den Mülleimer.

Wenn wir einen Pier entlang laufen, dann wollen wir uns etwas altbekanntes und sättigendes in den Mund stopfen. Die zwei jungen Italiener hinter der Theke des Palm Court-Imbisstands in der Mitte des Piers erzählten mir, dass sie an diesem Tag mehr als 700 Fische verkauft hatten. Ihre Fettverbrennungen und Pickel am Hals waren der Beweis dafür. „Essen am Pier? Ganz klar, Fish und Chips”, sagte der jüngere der beiden, während ein See heißes Öl vor ihm blubberte. Und er hatte recht. Von der indischen Mutter bis hin zum halb nackten Spurs-Fan , alle aßen Fish & Chips. Piers sind, fast schon als wäre es Absicht, zum Scheitern verurteilt. Salzspray, Zigaretten und Holzbretter sind ungefähr eine gleich widerstandsfähige Kombination wie Tortenspitze und Dynamit. Durch Feuer, Vandalismus und das faulende Rad der Zeit sind viele unserer schönsten Piers zerfallen, verbrannt oder wurden ins Meer gespült. Ihre Namen lesen sich wie eine Liste gefallener Soldaten: Margate, Eastbourne, Sheerness, Ramsgate, West Pier, Hastings und Ryde.

TinTables

Schwarze Schönheit.

An diesem Wochenende erzählte mir ein 86 Jahre alter Mann in einer Strickjacke und stahlfarbenen Hosen, dass während des zweiten Weltkriegs der Zugang zum Brighton Beach und dem Pier darüber verboten war. Im Juli 1940 wurde die Stadt vom Strand mit Stacheldraht und Betonblöcken abgesperrt, während Landminen neben dem Kiesstrand vergraben wurden. Die Piers—die Sinnbilder britischer Heiterkeit und Freizeit—wurden sogar abgerissen, damit sie nicht als Landebahn für angreifende Gegner dienen konnten. Kannst du dir das vorstellen, in der Hitze des Sommers auf das Meer zu blicken mit dem Wissen, dass es ein fatales Ende haben könnte, wenn du dich da raus begibst? Kannst du dir vorstellen, dass Großbritannien nicht nur von hölzernen Erholungsarkaden, sondern von einem Meer versenkter Bomben umgeben ist? Und trotzdem haben sie überlebt. Diese eigenartigen, mit Möwen übersäten Einrichtungen des schicken Lebens des 21. Jahrhunderts. Auf denen Leute trampeln, stolpern, mampfen, auf denen Kinder ihr Essen verstreuen und alte Männer ohne Zähne ihr Leben verzocken.

OldMan

Sie werden mich überleben, diese schwebenden Plattformen von Pisse und Chips. Und sie werden auch dich überleben. Wenn ich also sterbe, gib meine Asche in eine riesige Sports Direct-Tasse und wirf mich am Ende des Piers ins Meer.