Der Rotlichtbezirk in Amsterdam ohne Coronakrise
Foto: Shutterstock / Anna Belkina Sbp
Menschen

So trifft die Coronakrise Sexarbeitende

"Dieselben Leute, die nicht mehr zum Gangbang wollten, sind weiter mit der Metro gefahren."

Während die Corona-Pandemie weltweit das öffentliche Leben zum Erliegen bringt, spüren viele Menschen die Krise vor allem beruflich. Supermarktangestellte, Krankenpfleger und Ärztinnen erbringen Höchstleistungen – in anderen Bereichen geht dagegen gar nichts mehr: Bars, Clubs, Museen, Restaurants und Bordelle müssen geschlossen bleiben.

Auch in den Niederlanden haben die Corona-Verordnungen Sexarbeitende schwer getroffen. Die Vorgaben der Regierung sind zwar weniger streng als in Deutschland oder Österreich, anderthalb Meter Abstand von Mensch zu Mensch sollen es hier allerdings auch sein. Für die allermeisten Bereiche der Sexarbeit ist das natürlich problematisch.

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Eine Sprecherin der niederländischen Behörde für Öffentliche Gesundheit und Umweltschutz sagte auf Anfrage, dass es keine bestimmten Leitfäden für Sexarbeitende in der Pandemie gebe. "Aber wir empfehlen Menschen, sich nicht die Hand zu geben. Natürlich raten wir auch vor intimeren Formen des Kontakts ab."

Weil viele Sexarbeitende keine andere Einkommensquelle haben, trifft sie das Virus besonders schwer. Wir haben Menschen aus verschiedenen Bereichen der Branche angerufen und gefragt, wie sehr sich die Krise bereits auf ihr Geschäft ausgewirkt hat, ob sie sich Sorgen um ihre Gesundheit machen und wie sie planen, sich in der Zwischenzeit finanziell über Wasser zu halten.

Foxxy Angel, Sexarbeiterin und Sprecherin des Prostitutions-Informationszentrums

"Das ist gerade eine extrem schwierige Zeit für uns. Wir verdienen kaum noch Geld, viele Kunden sagen auch im letzten Moment ab. Ein wichtiger Einkommenszweig für mich war ein Gangbang, den ich alle zwei Wochen organisiert habe. Als die Infektionszahlen in den Niederlanden Anfang März stiegen, musste ich alles absagen.

Ich hatte die Auswirkungen des Virus schon davor bemerkt. Eigentlich locken Gangbang-Sessions um die 40 Männer an – in der ersten Märzwoche waren es nur elf. Ich verstehe, warum ich die Veranstaltungen absagen muss, aber es ist auch frustrierend. Dieselben Leute, die nicht mehr zum Gangbang wollten, sind weiter mit der Metro und dem Bus gefahren.

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Die Auswirkungen auf den Amsterdamer Rotlichtbezirk sind verheerend. Der ist momentan komplett leer. Viele haben ihre Läden geschlossen, aber die Frauen, die die kleinen Zimmer mieten, mussten bis vor Kurzem noch ihre 720 Euro Wochenmiete zahlen. Inzwischen wurden die Mieten zum Glück im ganzen Rotlichtbezirk pausiert. Viele Sexarbeitende dort stammen aus Bulgarien, Rumänien oder Italien und können momentan nicht nach Hause.

"Eigentlich locken Gangbang-Sessions um die 40 Männer an – in der ersten Märzwoche waren es nur elf"

Beim Prostitutions-Informationszentrum arbeiten wir momentan an Lösungen für Sexarbeitende, die auf der Straße landen. Wir würden uns sehr über Unterstützung von der Regierung freuen. Ich hoffe, dass ein Notfallpaket für Sexarbeitende beschlossen wird. Ich befürchte allerdings, dass viele sagen werden, dass wir uns einen anderen Beruf hätten aussuchen sollen.

Momentan teile ich mir meine Vorräte gut ein. Ich habe Lebensmittel in großen Mengen gekauft, damit ich einen Teil einfrieren kann. So kann ich hoffentlich weiter meine Miete bezahlen. Ich bewerbe mich auch auf verschiedene Stellen in der Sexindustrie und hoffe, dass etwas davon klappt. Ich muss so schnell wie möglich eine andere Einkommensquelle finden, sonst lande ich auf der Straße."

Emma, veranstaltet Kink-Partys und Treffen

"Ich bin in der Lederszene aktiv, aber organisiere auch Treffen für Leute, die sich gerne als Toddler, also Kleinkinder, anziehen. Anfang März hätte ich so eine Toddler-Party veranstalten sollen, aber die habe ich abgesagt. Vom 19. bis zum 23. März sollte eigentlich das Amsterdam Bear Weekend stattfinden, mit Partys in der ganzen Stadt, aber das wurde natürlich auch abgesagt.

Die Menschen, die diese Partys veranstalten, müssen hohe Kautionen zahlen und spüren die Absagen besonders hart. Nichtsdestotrotz zeigt die ganze Community großes Verständnis. Darum geht es bei Sex- und Fetisch-Partys ja auch: das Gemeinschaftsgefühl.

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Ich kann vieles online tun, wie Fotos teilen und meine persönliche Seite pflegen, für die Menschen Geld bezahlen. Aber ein großer Teil meiner Arbeit findet offline statt. Bis vor Kurzem durften wir noch Partys und Treffen mit weniger als 100 Menschen veranstalten, aber das fand ich da schon unverantwortlich. Jetzt ist auch das verboten.

Was meine Gesundheit angeht: Ich hatte bereits haufenweise Gummihandschuhe und antibakterielle Gels zu Hause. Wenn du Sexpartys veranstaltest, ist dir viel bewusster, wie wichtig Hygiene ist. Ich finde es ziemlich witzig, dass dank Corona endlich alle ihre Hände vernünftig waschen."

Bobby Groenteman, Eigentümer des Swingerclubs Fun4Two

"Als einer der größeren Sexclubs in Europa haben wir täglich Menschen aus aller Welt zu Gast. Wir veranstalten Partys, betreiben ein großes Restaurant und haben viele Räume, in denen Paare Sex haben können – miteinander oder mit anderen.

Wir haben früher als andere Clubs geschlossen. Die Entscheidung ist uns schwergefallen, aber sie war sinnvoll: Die Gesundheit meiner Mitarbeitenden und Gäste kommt an erster Stelle. Unsere Zimmer waren auch vorher schon mit Handdesinfektionsmittel ausgestattet. Aber noch so gründliches Händewaschen bringt auch nichts, wenn du mit mehreren Menschen intim wirst.

Bereits vor den Einschränkungen ist mir aufgefallen, dass weniger Gäste kommen. Man merkt, dass die Leute Angst haben. Aber komischerweise interessieren sich nicht alle für die Regeln. Ich bekomme immer noch Anrufe, ob wir geöffnet sind."

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Mandy Slim, Go-Go-Tänzerin und Stripperin

"Ich arbeite als Go-Go-Tänzerin und Stripperin auf Veranstaltungen und bei Privatpartys. Es ist ein ziemlich körperlicher Job. Wenn ich jemanden begrüße, dann meistens mit einem Kuss auf die Wange. Und wenn ich einen Lapdance mache, komme ich Menschen näher, als man es momentan sollte. Ich war immer sehr vorsichtig. Wenn mir auffiel, dass ein Kunde stark schwitzte oder hustete, bin ich einen Schritt zurückgetreten und habe höflich gefragt, ob die Person erkältet ist. Ich will nicht überreagieren, aber ich muss auf meine eigene Gesundheit achten. Mein Sohn ist fünf und ich will kein Risiko eingehen.

"Sobald ich mich einlogge, ist da eine virtuelle Schlange mit Menschen, die den ganzen Tag in ihrer Bude hocken und super geil sind"

Das Coroanvirus hat große Auswirkungen auf unseren Beruf. Die ganzen Partys, zu denen ich gebucht war, wurden wie erwartet abgesagt. Ich habe das große Glück, dass man als Erotik-Unterhalterin Dinge tun kann, die keine körperliche Anwesenheit erfordern. Ich habe früher eine Zeitlang Webcam-Sessions gemacht und bin froh, dass ich das jetzt wieder aufgreifen kann. Die Nachfrage ist gestiegen, weil alle zu Hause bleiben. Sobald ich mich einlogge, ist da eine virtuelle Schlange Menschen, die den ganzen Tag in ihrer Bude hocken und super geil sind.

Abgesehen davon befürchte ich, dass wir da jetzt einfach durchmüssen. Es ist nicht sinnvoll, Stripperinnen für Privatpartys zu buchen, um sie finanziell zu unterstützen. Das würde sie auch nur einem Risiko aussetzen."

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