Drogenköche mit gelben Gummimänteln rühren in großen Metalltöpfen
Drogen-Köche des Sinaloa-Kartells stellen in der Nähe von Culiacán eine Mischung aus Heroin und Fentanyl her, Juli 2019 | Foto: Miguel Fernández-Flores/VICE News
Drogen

Drogenhändler des Sinaloa-Kartells erklären, warum das Coronavirus schlecht für ihr Geschäft ist

In Mexiko werden die Vorräte knapp. Die Grundstoffe für Meth und Fentanyl stammen nämlich aus China.

Die WhatsApp-Nachricht kam direkt vom Boss. Ismael "El Mayo" Zambada ordnete vergangene Woche an, dass Methamphetamin beim Sinaloa-Kartell ab sofort 15.000 Pesos – umgerechnet etwa 575 Euro – das Pfund kosten wird. Davor hatte der Pfundpreis noch bei 2.500 Pesos gelegen, keine 100 Euro.

Jesús, der in Wahrheit anders heißt, ist einer der Händler des mexikanischen Kartells, die diese Nachricht erhalten haben. "Dort stand auch: 'Wer sich nicht daran hält, muss Konsequenzen fürchten.'"

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Der Grund für den sechsfachen Preisanstieg: die Corona-Pandemie. Die Versorgungskette der Kartelle, des globalen Drogenmarkts, ist komplex und international verzahnt. Die chemischen Vorläuferstoffe für die Herstellung von Methamphetamin und dem synthetischen Opioid Fentanyl stammen vor allem aus China, wo das Virus zuerst ausgebrochen war. Gegenüber VICE sagte Jesús, dass seinen Köchen bereits die Vorräte ausgingen.


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Das Coronavirus hat die Weltwirtschaft schwer getroffen, vor allem die Industriezweige, die auf Materialien oder Arbeitskraft aus China angewiesen sind. Besonders stark spürt das die Pharmaindustrie. Aber auch der Drogenschwarzmarkt kommt an Corona nicht vorbei.

Laut Jesús haben die Köche immer Chemikalien für einen Monat auf Vorrat, aber jetzt gibt es Probleme beim Nachschub. Einer der Köche des Sinaloa-Kartells, er nennt sich Enrique, sagt, dass sich der Preis für Aceton in den vergangenen 15 Tagen mehr als verdoppelt habe. 20 Liter kosten jetzt umgerechnet 135 Euro. Davor waren es 55. Aceton wird zur Herstellung von Heroin benötigt.

Enrique hat auch Gerüchte gehört, dass ein Kilo Fentanyl inzwischen eine Million Pesos kostet, umgerechnet 38.000 Euro. Davor war Fentanyl im mexikanischen Bundesstaat Sinaloa noch umgerechnet 5.000 Euro billiger. Ursprünglich kam das extrem potente synthetische Opioid, das für die extrem hohe Zahl an Drogentoten in den USA verantwortlich ist, auf dem Postweg von China in die USA. Seitdem chinesische Behörden im Mai 2019 begonnen haben, dagegen vorzugehen, ist die Produktion vor Ort in Mexiko gestiegen. Die chemischen Grundstoffe kommen allerdings immer noch aus China.

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Eins der Zentren des chinesischen Fentanyl-Handels ist die Provinz Hubei – das Epizentrum der Corona-Pandemie. Seit Januar sind dort über 3.100 Menschen an dem Virus gestorben. Auch der Chemie-Unternehmer Yan Xiaobing hat ein Unternehmen mit Sitz in der Provinzhauptstadt Wuhan. Die US-Justizbehörde fordert seit 2017 seine Auslieferung. Sie sieht den Unternehmer als einen der Hauptverantwortlichen für die Opioid-Krise.

Fentanyl hatte bereits vor ein paar Jahren den mexikanischen Heroinmarkt aufgemischt. Der Preis für Roh-Opium, das zu Heroin verarbeitet wird, fiel innerhalb weniger Jahre von umgerechnet 1625 Euro pro Kilo auf aktuell 288 Euro. Für die Kartelle ist Fentanyl viel lukrativer: Es kann das ganze Jahr über hergestellt werden, die benötigten Chemikalien sind günstig und leicht zu beschaffen. Heroin hingegen benötigt riesige Mohnfelder, die nur einmal im Jahr geerntet werden können – von Bauern, die auch bezahlt werden müssen.

Kartellmitglieder zerstoßen einen Heroinziegel, angereichert mit Fentanyl, zu Pulver

Kartellmitglieder zerstoßen einen Heroinziegel, angereichert mit Fentanyl, zu Pulver | Foto: Miguel Fernández-Flores/VICE News

Spätestens seit Mitte der 2010er Jahre kontrollieren mexikanische Kartelle auch den Crystal-Meth-Handel in Nordamerika. Damals begannen die USA, die Abgabe von pseudoephedrin-haltigen Erkältungsmedikamenten stärker zu regulieren. Im Zuge ihrer Monopolstellung haben die Kartelle die Produktion ordentlich angezogen. Doch auch für das Ephedrin und andere Chemikalien sind sie auf chinesische Zulieferer angewiesen.

Trotzdem glaubt Jesús, dass El Mayos Preiserhöhung mehr mit Opportunismus als mit echten Engpässen zu tun hat: "Das ist einfach eine Ausrede, um die Preise zu erhöhen", sagt er. "Es ist nicht mehr das Geschäft, das es war."

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Was er damit meint: Die extrem gesteigerte Meth-Produktion in den vergangenen Jahren zusammen mit dem Konkurrenzkampf zwischen den Kartellen habe deren Profite geschmälert.

"Sie investieren 100.000 US-Dollar und kriegen 200.000 raus. Das ist viel Geld, aber nicht genug für das Risiko. Sie wollen lieber weiter 100.000 US-Dollar investieren und 1,5 Millionen rausbekommen."

Katherine Pfaff, Sprecherin der US-Drogenvollzugsbehörde DEA, sagt, sie beobachteten, wie sich der Coronavirus-Ausbruch auf die illegalen Drogenmärkte auswirkt. Bislang sei es noch zu früh für Analysen. "Bis wir ein besseres Bild haben, wird es noch etwas dauern."

Die Situation in China scheint sich bereits zu verbessern. Seit einer Woche werden keine neuen Corona-Fälle mehr gemeldet. Fabriken nehmen die Produktion wieder auf, Menschen kehren zurück an ihre Arbeitsplätze. Doch in anderen Teilen der Welt beginnt die Krise gerade erst. In den USA gibt es inzwischen mehr gemeldete Fälle als in China, Tendenz steigend. Auch in Europa und Lateinamerika ist kein Abflachen der Kurve in Sicht. Im Gegenteil. Die globalen Folgen sind noch nicht abzusehen.

Seit vergangener Woche ist der Grenzverkehr zwischen Mexiko und den USA eingeschränkt. Das hat Folgen für Schmuggler, die die Drogen vor allem versteckt in Autos und Lastwagen über die Grenze bringen.

Ein geheimes Drogenlabor in Sinaloa mit Wachmann

Ein geheimes Drogenlabor in Sinaloa mit Wachmann | Foto: Miguel Fernández-Flores/VICE News

Ein Schmuggler, der für El Mayo in der Grenzstadt Mexicali arbeitet, sagt gegenüber VICE, dass man vor Kurzem noch 15 Kilo Meth und Heroin pro Woche über die Grenze gebracht habe. Jetzt seien es aufgrund der verstärkten Grenzkontrollen nur noch fünf. Der Schmuggler befürchtet auch, nicht länger Geld und Waffen aus den USA nach Mexiko schaffen zu können.

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Bryce Pardo, der für den US-Think Tank RAND Corporation illegale Drogenmärkte untersucht, prognostiziert, dass die Chemie-Lieferkette weiterhin unterbrochen sein werde, wenn Häfen schließen oder ihren Betrieb runterfahren müssen.

"Eine Menge Zeug dürfte in den Häfen hängenbleiben, weil es nicht genug Dockarbeiter zum Entladen geben wird", sagt Pardo. "Auch wenn das Problem irgendwann in Asien gelöst ist, wird es auf der Empfängerseite, in den USA und Mexiko, zu Verzögerungen kommen – bei legalen und bei illegalen Produkten."

Das Coronavirus wird voraussichtlich auch für Drogenkonsumierende verheerende Folgen haben. Menschen, die nur gelegentlich in ihrer Freizeit Drogen nehmen, schrauben ihren Konsum aufgrund von Social Distancing und Partyverbot tendenziell automatisch zurück. Stark Abhängige hingegen werden weiter konsumieren – egal, wie teuer die Substanzen auch werden.

"Selbst wenn sie sich beschweren – am Ende zahlen sie." – Jesús

"Außerdem sind chronische Konsumenten, insbesondere die von härteren Substanzen wie Methamphetamin und Heroin, in keinem guten körperlichen Zustand", sagt Pardo. "Sie leben sozial und ökonomisch an den Rändern der Gesellschaft. Corona wird sehr wahrscheinlich viele von ihnen umbringen. Das wird wiederum die Nachfrage senken, weil sie die größten Abnehmer sind."

Momentan gibt es etwas 585 registrierte Corona-Fälle in Mexiko und acht Tote. Wie überall dürfte die Dunkelziffer weitaus höher sein. Enrique ist allerdings davon überzeugt, dass das Virus nur Ablenkung ist oder eine Entschuldigung von Kartellbossen, um die Preise anzuziehen. Nervös ist er trotzdem.

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"Wir hören lauter verschiedene Sachen", sagt Enrique. "Manche sagen, es ist nur eine normale Grippe. Andere sagen, es kann einen töten. Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Alle haben Angst."

Jesús glaubt nicht an das Virus. "Das ist doch alles Schwachsinn", sagt er. "Ich kenne niemanden, der vom Coronavirus betroffen ist."

Generell ist Jesús optimistisch. Seine Betriebskosten mögen kurzzeitig steigen, wodurch auch er seine Preise anziehen muss. Aber er wird die Kosten nach unten weitergeben.

"Als Anbieter ist es gut, weil du mehr Geld verdienen kannst. Aber meine Kunden, also die Dealer, werden auch den Straßenpreis anheben müssen. Manchen wird das weniger gefallen", sagt er. "Aber sie sind abhängig. Selbst wenn sie sich beschweren – am Ende zahlen sie. Egal, wieviel wir von ihnen verlangen."

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