Eine bunte Illustration zeigt eine Person mit Sonnenbrille, die vor dem Weißen Haus und einem U-Boot ein Sandwich mit Speicherkarten isst; wir haben die skurrilsten Fälle zusammengetragen, in denen Spionage und Essen eine Rolle spielen
Illustration: François Dettwiler
Politik

Verhaftet wegen Wurst: Wie Geheimdienste Essen für Spionage nutzen

Wir haben die skurrilsten Crossover zusammengetragen – von in Erdnussbutter versteckten Speicherkarten bis zu Starbucks-Gutscheinen als Kommunikationsmittel.
Alexis Ferenczi
Paris, FR

Im September 1940 machte der deutsche Spion Karl Heinrich Meier einen kleinen, aber folgenschweren Fehler. Meier hatte sich nachts auf einem kleinen Fischerboot nach England geschmuggelt. Am Morgen versuchte er, sich in dem Küstenstädtchen Lydd unter die Leute zu mischen, und bestellte in einem Pub einen Cider. Was der Spion entweder vergessen hatte oder gar nicht wusste: Damals verbaten die britischen Gesetze den Alkoholverkauf vor 12 Uhr mittags. Meier wurde verhaftet, schuldig gesprochen und im Dezember 1940 erhängt. 

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Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts haben Spione und Agentinnen aus der ganzen Welt Essen in etwas verwandelt, das weit über ein leckere Mahlzeit hinausgeht: Für Mitglieder der internationalen Geheimdienst-Community kann Essen eine Waffe, ein Mittel zur Nachrichtenübertragung oder – wie im gescheiterten Fall von Karl Heinrich Meier – eine Möglichkeit sein, um in der Menge nicht aufzufallen.

Narrensicher ist das natürlich nicht. Meier war zum Beispiel nicht der einzige deutsche Spion, der 1940 in Sachen britischer Kulinarik einen schweren Fauxpas beging. Ein anderer Agent wurde durchschaut, als man in seiner Tasche Bratwürste fand. Das typisch deutsche Fleischgericht war ein verräterischer Hinweis. Beide Spione arbeiteten unter Operation "Lena", einer Spionage-Offensive des deutschen Geheimdienstes.

Der Zweite Weltkrieg war offensichtlich nicht die beste Zeit, um mit Essen die eigenen Spionageversuche zu verschleiern. Auch britische Geheimagenten, die während des Kriegs in den Mittelmeerraum geschickt wurden, riskierten aufzufliegen, weil ihre Essgewohnheiten so fad und anders waren. Laut dem Historiker und Autor Peter Taylor habe der britische Geheimdienst MI6 darüber nachgedacht, Schokoriegel mit Knoblauchgeschmack zu produzieren. Die Spione sollten so wie die Einheimischen riechen. Die Aktion ging nie über die Prototyp-Phase hinaus, aber sie zeigt dennoch: Wer als Geheimagent eine Menge Ärger vermeiden will, muss sich an die kulinarischen Gepflogenheiten des jeweiligen Landes anpassen.

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Auch Restaurants sind schon lange ein beliebtes Werkzeug von Agentinnen und Spionen. "Lokale und Cafés sind für die Spionage unentbehrlich", sagte die ehemalige CIA-Angestellte Amaryllis Fox 2019 in einem Interview. "Man kann dort die richtigen Leute treffen. Manchmal sind diese Treffen wirklich Zufall, aber meistens sollen sie nur wie ein Zufall wirken."

1938 wurde in Moskau das Restaurant Aragavi eröffnet. Dort ließen sich Schauspielerinnen, Schach-Großmeister und auch Agenten des sowjetischen Geheimdienstes das georgische Essen schmecken. Das Aragavi war beim KGB so beliebt, dass sogar das Gerücht herumging, Lawrenti Beria – der Chef des Geheimdienstes – habe das Restaurant gestaltet. Sogar Kim Philby, einer der berühmtesten Spione des 20. Jahrhunderts, war Stammgast im Aragavi, nachdem er in den Hochzeiten des Kalten Kriegs zur Sowjetunion übergelaufen war.

Im 21. Jahrhundert bevorzugen Geheimagenten aber Fast-Food-Restaurants. Denn solche Läden haben lange Öffnungszeiten, sind leicht zu erkennen und es geht dort sehr anonym zu. In ihrem Interview erinnerte sich die ehemalige CIA-Agentin Fox zum Beispiel an einen Kollegen, der den Agenten beibrachte, mit Starbucks-Gutscheinkarten zu kommunizieren: "Du gibst allen deinen Kontakten eine dieser Karten und weist sie an, sich einen Kaffee zu kaufen, wenn sie dich treffen wollen. Dann checkst du die Karten jeden Tag, und wenn bei einer weniger Guthaben drauf ist, weißt du, dass dich die jeweilige Person sehen will." So sei es nicht nötig, jeden Tag alle verschiedenen Signalorte abzuklappern und nach Kreidemarkierungen oder heruntergelassenen Jalousien zu suchen. Zudem seien die Gutscheinnummern nicht an Personen gebunden, was das System sehr sicher mache. 

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Eine der skurrileren Spionage-Storys der vergangenen Jahre hat mit dem FBI, einem Erdnussbutter-Sandwich und einem 42-jährigen Nuklearingenieur namens Jonathan Toebbe zu tun. Im April 2020 soll der US-Amerikaner versucht haben, Kontakt zu einem ausländischen Geheimdienst herzustellen und streng vertrauliche Infos zum Bau der Reaktoren von Atom-U-Booten zu verkaufen. Das FBI bekam Wind davon und schickte einen Geheimagenten ins Feld, der sich von da an als Vertreter der ausländischen Regierung ausgab und Toebbe überführen sollte.

Nach zähen Verhandlungen vereinbarten die beiden im Juni 2021 eine erste Datenlieferung für 10.000 Dollar in Kryptowährung. Laut Gerichtsunterlagen, die der Nachrichtenagentur Associated Press zugespielt wurden, soll der Nuklearingenieur die Speicherkarte für die Übergabe zwischen den Brotscheiben eines Erdnussbutter-Sandwiches versteckt haben.

Es folgten noch ein zweiter und ein dritter Austausch, bei einem davon soll Toebbe die Speicherkarte mit weiteren geheimen Informationen in einem Päckchen Kaugummis versteckt haben. Im Oktober 2021 verhaftete man den Nuklearingenieur schließlich, er sitzt jetzt zusammen mit seiner Frau in U-Haft und wartet auf seinen Prozess wegen versuchter Spionage.

Was wir allerdings nicht vergessen dürfen: Ohne Spione mit einem Sinn für Kulinarik könnten die Menschen in der nördlichen Hemisphäre heute wahrscheinlich nicht einfach in den Supermarkt gehen und große, saftige Erdbeeren kaufen. Die Erdbeeren, die wir heute essen, stammen nämlich von Pflanzen ab, die der französische Spion Amédée François Frézie Anfang des 18. Jahrhunderts aus Chile mitbrachte. Eigentlich hatte er den Auftrag, die militärischen Festungsanlagen der Chilenen auszukundschaften – und nicht die örtliche Flora. Aber wir wollen ihm das mal nicht verübeln.

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