Letzten Mittwoch, irgendwo im Nirgendwo: Ein Hells Angel und ein Spiegel TV-Reporter treffen sich um Mitternacht auf einem Acker. Der Hells Angel sagt ein paar Worte, dann übergibt er dem Reporter einen roten Stoffbeutel und fährt weg. Der Reporter schaut in den Beutel und sieht: eine Lübecker Bibel, eine der ersten gedruckten Bibeln der Welt, extrem selten, zwischen 10.000 und 15.000 Euro wert.
Klingt nach dem Drehbuch für eine typische deutsche Komödie mit Uwe Ochsenknecht, ist aber wirklich so passiert.
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Die Bibel ist wie gesagt steinalt, der Hells Angel eine jahrelange Quelle des Reporters. Statt das Buch einfach in ein Paket zu stecken und zurück an die Gemeinde Cadenberge bei Cuxhaven zu schicken, aus deren Tresor die Bibel 2014 entwendet wurde, entschied der Mann sich für die deutlich dramatischere Aktion auf dem Acker – und bescherte dem Reporter Claas Meyer-Heuer damit die Geschichte, die er jetzt Spiegel Online erzählt hat. Meyer-Heuer wusste bis zu dem Treffen auch nicht mehr, als dass er ein “gestohlenes Buch” in Empfang nehmen und an die Polizei übergeben sollte. Was für ein Schatz das werden würde, konnte er vorher nicht ahnen.
Bei dem Werk handelt es sich um eines der letzten 27 Exemplare der sogenannten Lübecker Bibel – eine vor knapp 500 Jahren in der Hansestadt auf niederdeutsch gedruckten Ausgabe der Lutherschen Übersetzung, die sogar noch älter ist als die erste hochdeutsche Version. Und vor allem ist sie prachtvoll illustriert: Adam und Eva im Paradies, die Arche Noah, die einstürzenden Mauern von Jericho – die Lübecker Bibel strotz nur so vor detaillierten Stichen, die dem Leser unmissverständlich klarmachen, welch schreckliche Strafen alle Sünder erwarten.
Ob es die Bilder waren, die den vorbestraften Verbrecher umgestimmt haben – wir wissen es nicht. Der Inhalt kann es nicht gewesen sein, denn Niederdeutsch ist ziemlich schwer zu verstehen. (Ein Beispiel, wie sich das anhört: Ein Kapitel heißt einfach “Dat ander Deel des Olden Testaments”, was offenbar “Der zweite Teil” bedeutet.) Die Art und Weise der Rückgabe hätte dem mittelalterlichen Illustrator jedenfalls sicher gut gefallen.
Wie genau das Buch in die Hände eines Hells Angel geriet, ist noch unklar. Der Rocker selbst behauptet, mit dem Diebstahl 2014 nichts zu tun gehabt zu haben, stattdessen habe ihm jemand das Buch überlassen, um Spielschulden zu begleichen. Unklar ist auch, warum er es jetzt zurückgibt. Der Rocker erklärte dem Reporter, es sei “ganz einfach ein schlechtes Omen, wenn man so eine alte Bibel verstecke”. Meyer-Heuer spekuliert, dass er vielleicht einfach niemanden gefunden hat, dem er den alten Schinken verkaufen konnte.
Der Reporter hat die Bibel jetzt nach Cadenberge zurückgebracht, wo es allerdings erstmal vom Landeskriminalamt auf Spuren untersucht wird, bevor es wieder in die Gemeinde zurückkehren kann. Bei den Ermittlungen wird der Reporter den Behörden allerdings nicht helfen: Er will seine Quelle, den reuigen Rocker, auch weiterhin schützen.
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