Popkultur

Wir haben versucht, die Verantwortlichen für Camp David-Pullover zur Rede zu stellen

Dieter Bohlen (links) trägt Camp David, und zwei Fanboys (rechts), die schamlos seinen Style kopieren

Manchmal, seltener als man hofft, aber öfter als man befürchtet, passt im Leben einfach alles zusammen. Bei den Gründer des Textilunternehmens “Camp David” zum Beispiel. Die heißen tatsächlich und ausgerechnet exakt so, wie ihre Shirts und Pullover aussehen. Nämlich Thomas, Hans-Peter und Jürgen. Nachname: Finkbeiner.

Sie kommen, natürlich, aus Baden-Württemberg, sie haben bei Mercedes-Benz und der Post gearbeitet. Bevor sie mit Camp David ein Unternehmen mit 150 Millionen Euro Jahresumsatz erschufen. Bevor Thomas, Hans-Peter und Jürgen ihren Bruder Achim in die Firma holten – und unsere Innenstädte geschwemmt haben mit, nun ja, ihrer Mode.

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In diesen Wochen beginnt in Deutschland der Sommer. Es endet die Zeit des dümmsten Kleidungsstücks im Knallkopf-Deutschen-Kleiderschrank: der Übergangsjacke, hach, so herrlich praktisch. Das heißt: Endlich wieder freie Sicht auf Pullover mit Aufdrucken! Und die kann Camp David eben besonders schön. Sie strahlen nun wieder von Bäuchen, deren Träger vermutlich oft so heißen wie die Gründer selbst.


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Camp David, so fair muss man sein, ist nicht die einzige Marke, die der Meinung ist, scheinbar zufällig ausgewählte Zahlen, Worte und Logos gehören auf Pullover, untermalt mit Sonnenuntergängen und Strandpanoramen. Solche Mode gibt es mittlerweile auch bei Kik oder Zara. Aber Camp David dürfte das offensichtlichste Symbol für die Aufdruckisierung der Ü40-Männermode sein. Drei Beweisstücke aus der aktuellen Kollektion:

  • Camp David Pullover A): “perfect beaches, relaxing breezes and calm waters / drift dive, barracuda point / CAMP DAVID / blue edge / C19/63 / scuba diving, caribbean islands, a divers paradise”
  • Pullover B): “pure and raw sailing / CAMP DAVID / vintage yacht race / registered trademark authentic brand 25”
  • Pullover C): “CAMP DAVID / american south / wildlife in mangroves in 1963 / start your adventure / subtropical region / swamp boat experience / 25/01 / original / new orleans”

Man kann es sich einfach machen und darüber lachen. Haha, diese Aufdrucke, die ihre Träger bestimmt “frech” oder “peppig” finden. Wie doof die sind. Aber viel spannender ist doch die Frage: Warum zur Hölle drucken sie ganze Gedichte auf ihre Pullover? Und was hat hat es mit der mysteriösen Zahlenfolge 1963 auf sich?

Ein Anfrage von VICE lässt das Unternehmen unbeantwortet. Wir wollten wissen, nach welchen Kriterien entschieden wird, ob “Naval Team” oder “Adventure” auf den Pullovern steht. Das sei “nicht relevant”, teilt das Unternehmen mit. Man sehe intern “keinen Bedarf”, die Frage zu beantworten. Wir wissen also immer noch nicht, ob nun ein Algorithmus die Aufdrucke errechnet oder Mitarbeiter von Camp David mit Dartpfeilen auf eine Wortwand werfen.

Tja, Camp David, so einfach kommt ihr uns nicht davon. Denn glücklicherweise haben die drei Brüder Thomas, Hans-Peter und Jürgen vor ein paar Jahren dem Tagesspiegel ihre Geschichte erzählt.

Was steckt hinter den mysteriösen Zahlenkombinationen bei Camp David?

Anfang der 90er-Jahre waren die Brüder stramme Ultras von US-Politiker Bill Clinton. Ihr erstes eigenes Unternehmen ” Clinton” benannten sie 1992 nach ihm, da war Bill noch Gouverneur in Arkansas. 1997, Clinton war mittlerweile schon im vierten Jahr Präsident der USA, benannten die Brüder ihre Männerlinie nach seinem Wochenendsitz: Camp David in Maryland.

Wir hätten von der Firma gern gewusst, ob sie sich mit der Namensgebung im Nahostkonflikt positionieren wollte. Immerhin hatte Bill Clintons Vorvorvorgänger Jimmy Carter in Camp David einst mit Vertretern aus Israel und Ägypten ein Friedensabkommen ausgehandelt. Israel tauschte im Jahr 1979 die Sinai-Halbinsel gegen die Anerkennung als Staat seitens Ägypten. Womöglich haben sie bei Camp David auch seherische Fähigkeiten. Es gab nämlich im Jahr 2000 einen zweite Versuch eines US-Präsidenten im Nahostkonflikt zu vermitteln – und zwar von Bill Clinton in Camp David!

Jedenfalls, die Geschichte der Bill-Clinton-Ultras Thomas, Hans-Peter und Jürgen geht so weiter: Sie tauften eine Frauenlinie ” HRC”, nach Hillary Rodham Clinton. Eine andere nannten sie “Soccx”, nach der Präsidentenkatze. Sie waren nicht die einzigen, die die Clintons als Namensgeber nutzen, mittlerweile gibt es sogar eine Springbarsch-Art, die nach Bill Clinton benannt ist. Aber die echten Clinton-Benennungs-Pioniere – das waren Thomas, Hans-Peter und Jürgen.

Ebenfalls “irrelevant” für das Unternehmen: die Frage, ob die häufig aufgedruckte Zahlenfolge 1963 etwas zu bedeuten hat. Immerhin war 1963 das Jahr in dem der damalige US-Präsident John F. Kennedy erschossen wurde – und dessen Tod bis heute Verschwörungstheoriker auf YouTube aufzudecken versuchen. Offenbar ist es aber “nicht relevant”, zu beantworten, ob sie bei Camp David über Geheimakten verfügen, die womöglich dieses Rätsel klären könnten. Schade.

Im Tagesspiegel-Artikel haben die Brüder jedenfalls hoch und heilig versprochen: Alles, was sie bei Camp David auf Pullover drucken, habe seinen Sinn. Ein ganzes Designer-Team arbeite an den Slogans, darunter sogar ein Faktenchecker, der “jeden Breitengrad” überprüfe.

Laut einem Shirt, das man aktuell bei Amazon bestellen kann, befindet sich der sagenumwobene Ort “Atlantis” übrigens bei den Koordinaten 12°11’N/68°16’W. Camp David verfügt offenbar auch in diesem Fall über Geheimwissen, bei dem “kein Bedarf” besteht, ihn mit der Öffentlichkeit zu teilen. Denn: Laut diesen Koordinaten liegt Atlantis nicht im Meer vor Griechenland – sondern vor der Karibikinsel Curaçao.

Wie Dieter Bohlen zu Thomas, Hans-Peter und Jürgen von Camp David stieß

Die Finkbeiners bauten Camp David seit der Jahrtausendwende aus Berlin und Brandenburg heraus auf. Sie eroberten mühelos Ostdeutschland – die Expansion in den Western stockte jedoch. Dann half ausgerechnet Dieter Bohlen.

Im Herbst 2010 trug Bohlen ein Hemd von Camp David in der Sendung Das Supertalent. Die Verkaufszahlen explodierten. Man muss das mal festhalten: Es gab mal eine Zeit in Deutschland, Influencer waren noch längst nicht erfunden, und einer wie Dieter Bohlen inspirierte Zehntausende reihenhausbesitzende, krombacherbechernde, sportschauguckende Familienväter mit Igelfrisuren von Sylt bis Passau, Pullover mit riesigen, schnörkeligen Aufdrucken zu kaufen.

Ein Pullover aus der aktuellen Kollektion verspricht passend dazu: “Your way to an awesome style”. Als Camp David anfing, Pullover mit solchen Sprüchen vollzubomben, nahm das Unternehmen einen Trend auf: Aufdrucke als Versprechen, etwas sein zu dürfen, was man nicht ist. Fake it till you make it.

Dank Camp David kannst du endlich sein, was du nie werden wirst

Das Label Ed Hardy zum Beispiel: Jeder, der sich Mitte der 00er-Jahre nicht traute, sich exzentrische Tattoos in die Haut zu hacken, trug sie eben als Shirt-Aufdruck. Bei Ralph Lauren und La Martina durfte man sich als Teil eines imaginären Polo-Teams fühlen. Timberland ruft noch heute mit den beigen Arbeitsstiefeln nach dem inneren working class hero – und Camp David? Macht eben alles auf einmal. Eine textile Identität zum Überstreifen: Jachtkapitän, Tiefseetaucher oder Safari-Abenteurer, völlig egal. Du kannst alles sein, selbst wenn du dich mit Entscheidungen schwer tust oder keine Ahnung hast, was genau du sein willst.

Die Welt befragte 2016 einen Zahlenforscher nach dem Geheimnis unter anderem hinter den Aufdrucken von Thomas, Hans-Peter und Jürgen. Aufdrucke auf Kleidung, so der Zahlenforscher, seien ein exaktes Spiegelbild von dem, was in der Welt um uns herum passiert.

Während der Finanzkrise im Jahr 2008 etwa hatte der Zahlenforscher eine völlige Abstinenz von Aufdrucken auf Pullovern ausgemacht. Die Gleichung lautete: Zahlen = Krise = böse. Menschen wollten die Krise still überstehen, zogen sich ins private Glück zurück. Ins eigene Zuhause, in sich selbst. Der Forscher argumentiert, dass sogenannte Menschen aus “proletarischen und subproletarischen Haushalte” es liebten, die eigenen Wohnungen und ihre Körper mit Nippes zu dekorieren. Von dort habe man sich, nach durchgestandener Finanzkrise, wieder getraut, bedruckte Pullover gewissermaßen als “Verlängerung des Tattoos” zu tragen.

Camp David ist also Kleidung für den Zeitgeist. Nicht für jeden, aber wenigstens für manche. Bis jetzt hauptsächlich für Männer über 40. Aber! Markenbotschafter Dieter Bohlen arbeitet gerade an der endgültigen Veredelung seines berufsjugendlichen Lebenswerks. So trat er erst kürzlich gemeinsam mit Capital Bra auf, um dessen Cover vom Modern-Talking-Klassiker “Cherry Cherry Lady” zu präsentieren. Der Anfang von etwas Größerem? Die Abkehr von Camp David? Im Gegenteil!

Womöglich bereiten sie bei Camp David gerade den ganz großen Coup vor und sind deshalb so schmallippig: Kann es sein, dass Influencer Dieter Bohlen und Capital Bra bald eine Bratan x Camp David-Kollektion launchen werden? Der Sommerhit 2019 wäre dann: “Deutschland wird rasiert / denn ich trag Camp D-D-D-David.”

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