Es gibt Carpool Karaoke jetzt auch auf deutsch—und es ist niederschmetternd

James Corden ist ein verdammter Rockstar. Der britische Moderator hat in Musicals gezeigt, dass er fantastisch singen kann, wurde als Drehbuchautor und Schauspieler für sein Comedy-Talent ausgezeichnet und trällert mit Michelle Obama, Stevie Wonder, Adele oder Sir Elton fucking John in seinem Auto gutgelaunt ihre Songs. Das Format “Carpool Karaoke” aus seiner Late Night-Show verzaubert mit jeder neuen Ausgabe Millionen von Menschen. Und wie es sich für einen Rockstar gehört, ziert er gerade die Titelseite des aktuelles Rolling Stone. Hätten wir so einen doch nur hier in Deutschland, für eine eigene Version der “Carpool Karaoke”. Haben wir aber nicht. Dafür haben wir: Tim Bendzko.

Um sein im Oktober erscheinendes Album zu promoten, lädt sich der ewige Weltenretter gerade alle zwei Wochen Musiker in sein Auto, plaudert heiter drauf los und singt mit reflexartigem Hundeblick die Lieder seiner Gäste mit. Also vom Konzept her alles wie bei James Corden—nur eben mit Tim Bendzko. Während man beim Original jedes Mal aufs Neue damit überrascht wird, welche Hochkaräter da neben dem sympathischen Entertainer die Seele baumeln lassen, steigt bei Bendzko … Glasperlenspiel ins Auto.

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Glasperlenspiel. Die Band, die lange Zeit als netter Lückenfüller zwischen den echten Hits im Radio rumdudelte—bevor sie mit “Geiles Leben” in die Nerven-zermürbende Dauerrotation gerieten. Jetzt dürfen wir dabei zusehen, wie Glasperlenspiel in Tim Bendzkos Auto steigen und nach kurzem Abkumpeln einen Song von Xavier Naidoo singen. Ein Szenario, das so zum Verzweifeln Deutschpop ’11 bis ’16 beschreibt, dass selbst Mark Forster frustriert mit dem Fuß aufstampft.

Als Rausschmeißer gibt es ein Musik-Ratespiel, an dem nur Bendzko Spaß hat und das war sie dann auch, die erste Folge “#TIMTRIFFT 2.0”. Laut Trailer werden sich noch Curse, Henning Wehland, Chima, Lary und Peter Maffay ins Auto zwängen. Alles Musiker, mit denen Bendzko gut kann. Nicht, dass in so einem Promoformat unerwartete Spannungen auftreten, die am Ende noch für legendäre Momente sorgen könnten. Sollte der Pilot Gradmesser für die restlichen Folgen sein, erwarten uns erschreckend harmlose Treffen von Freunden, die weder für Lacher noch für Fremscham oder Gänsehaut sorgen—eben genau das Richtige für Bendzko-Fans.

Dass Team Bendzko so dreist vom britischen Original klaut, ist dabei nicht das Problem. In Sachen Unterhaltung ist Deutschland eben nach wie vor der Typ, der erst lacht, wenn du ihm den Witz nochmal erklärt hast und noch ein “Ist nur Spaß” hinterher schiebst. Also wird ins englischsprachige Fernsehen geschaut und deren Ideen übernommen. Leider geht das zu oft schief und wird meist durch den unvermeidbaren Almanfaktor bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Kannst du Chris Tall fragen.

Dabei kann dieses “Wir machen Interviews in Autos, weil das eine total entspannte Atmosphäre erzeugt” auch auf Deutsch funktionieren. Bestes Beispiel hierfür: “Hotbox” von 16bars. Die Formatidee kommt ursprünglich von Cypress Hills B-Real und seiner “Smokebox”. Während der US-Rapper mit Wiz Khalifa, Snoop Dogg oder Schoolboy Q kifft als wäre Cannabis Sauerstoff, zieht hierzulande Marvin Game mit Hanybal, Olexesh und RAF Camora unzählige Joints durch. Zusammen die aktuelle Tracks des Gastrappers hören, andere Newcomer abchecken, ein bisschen selber Bars abliefern, dazwischen Rumgehuste und Kiffer-und Rap-Talk—die perfekte Unterhaltung für einen zurückgelehnten Abend auf der Couch.

Bei Bendzko ist das Problem Bendzko selbst. Er ist der zuvorkommende Junge von nebenan, der zum ersten Date seine Gitarre mitbringt, dir “Wonderwall” vorspielt und dabei nicht mal in die Augen schaut. Er singt lieber mit geschlossenen Augen, denn er fühlt es nun mal. Aber ich fühle ihn nicht. Weder als verständnisvoller Juror der Kinder-Castingshow “The Voice Kids” noch als ewig freundlicher Autofahrer sorgt er dafür, dass ich wissen will, wie denn ein Tim Bendzko so auf Andere reagiert. Er ist keine Frontsau, sondern der milde lächelnde, stocksteif vor sich hinwackelnde, Bassist.

Vielleicht sind Indie-Popsänger aber auch einfach von Natur aus ungeeignet für so ein Popformat. Sind Rapper nicht sowieso spannender und die besseren Entertainer? Genau das versucht gerade TV Strassensound herauszufinden. Da setzt sich neuerdings Davud hinters Steuer, rappt zusammen mit seinen Mitfahrern und nennt das “Music Car”. Die Views der ersten Folge: überschaubar. Die Kommentare: überwiegend positiv. Da sie mit einer Länge von fast einer Stunde deutlich zu lang ist und wie auch “Hotbox” auf eine zu enge Zuschauerschaft zugeschnitten ist, bleibt sie nur eine nerdige Variante des Originals (was vollkommen OK ist).

Wir müssen also weiter darauf warten, dass es eine würdige Version des Corden-Orignals gibt, die uns nicht Messer in die Augen und Tränen in die Pulsadern jagt—metaphorisch natürlich. Oder wir finden uns damit ab, dass es einfach nicht sein soll. Wer soll ihn auch schon als deutschen Host vertreten? Luke Mockridge?? Oliver Pocher? Bülent Ceylan? Elton? Oder doch Jan Böhmermann? Allein die Vorstellung daran lässt mich traurig alte Ausgaben “Carpool Karaoke” schauen. James Corden ist eben ein verdammter Rockstar.

Julius ist auch auf Twitter: @BackToSchoolius

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