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Zehn gekochte Eier, ein paar Weintrauben, Kirschen und Pfirsiche: Würden die Türsteher des Berghains Cat nicht bereits kennen, sie müssten beim Anblick ihres Tascheninhalts meinen, sie hätte sich auf dem Weg zum Picknick verirrt. Doch Cat ist eine “professionelle Raverin”. Und sie weiß ganz genau, wo sie hin will – und wie sie 32 Stunden im Club übersteht. Immer dabei: zwei kleine schwarze Bücher, deren Inhalt noch viel sonderbarer ist als ihr Lunchpaket.
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Cat hat einen Weg gefunden, das Fotoverbot im Berghain zu umgehen. Jedes Wochenende ist die Grafikdesignerin im Club und holt ihre zwei Tagebücher mit allerhand Stiften aus einer kleinen wasserfesten Tasche. Jeder, der möchte kann, sich dann auf dem Papier verwirklichen. Die skurrilen bis wilden Zeichnungen veröffentlicht die 33-Jährige anschließend auf ihrem Instagram-Account @bh.diary.
Auf die Idee kam die gebürtige Taiwanesin, als sie mal wieder Verständigungsschwierigkeiten im Club hatte. Cat kann nicht sehr laut sprechen und wenn die Musik wirklich gut ist, hat sie auch keine große Lust dazu. Also fing sie an kurze Notizen zu machen, später kam ihr ein Gedanke: Was wäre, wenn man noch mehr Dinge und Momente, die im Berghain stattfanden, mit Stift und Zettel festhalten würde?
Also legte sie sich im Dezember 2016 Tagebuch Nummer 1 zu. Die erste Seite ließ sie sich von Sven Marquardt unterschreiben. Auf die zweite schrieb sie die Frage, ob man etwas für sie zeichnen wolle. Doch zunächst scribbelte sie selbst Gegenstände wie Aschenbecher und Skulpturen hinein. Irgendwann wagte sie sich dann aber auch an wildfremde Leute heran. Heute kommen viele von allein auf sie zu.
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Die meisten Zeichnungen entstehen bereits kurz nach Mitternacht. Danach ist ein Großteil eh zu high, um irgendetwas zustande zu bringen und außerdem will Cat auch mal in Ruhe tanzen. Schließlich ist sie nur wegen des Technos nach Berlin gezogen und ganz bewusst in die Nähe ihres Lieblingsclubs, den sie vor drei Jahren während eines Urlaubs für sich entdeckte.
Wochenende für Wochenende geht sie dort hin, lässt zeichnen, tanzt, isst ihre Eier und ihr Obst. “Ab einem bestimmten Punkt helfen keine Drogen mehr”, erklärt sie. Zwischendrin mal das Dunkel für eine Pause zu verlassen, kommt auch nicht infrage: “Dann wäre ich nur komplett verwirrt und müsste bei meiner Rückkehr wieder ganz von vorne anfangen.”
Inzwischen ist schließlich auch ihr zweites Tagebuch so gut wie voll. Cat geht dabei wahnsinnig gut organisiert vor. Sie trägt immer eine giftgrüne Liste mit sich, in welche die Zeichner ihren Namen, ihren Instagram-Account, das Datum, die Uhrzeit, den Ort und die Seitenzahl im Buch notieren sollen. So kann Cat später genau nachvollziehen, wer was wann und wo gezeichnet hat. Wenn ihr ein Bild besonders gefällt, schreibt sie der Person eine Nachricht via Instagram, um zu erfahren, worum es in dem Kunstwerk eigentlich geht. Manchmal sind die Erklärungen seitenlang und so kompliziert, dass sie kaum nachvollziehbar sind. Manchmal sind die Leute regelrecht verärgert und erklären ihr, sie hätten diese Zeichnung nie gemacht.
Cat plant, das alles demnächst als richtiges Kunstbuch zu veröffentlichen. Vorher hat sie uns aber schon mal die besten Geschichten zu ihren Bildern erzählt.
Die Spirituelle
Cat: Das ist von Leva und sieht irgendwie aus wie ein Footballfeld. Oder ein dreckiger Teller. Sie hat das mal früh morgens gezeichnet. Zu dem Zeitpunkt spielte Spencer Parker ein ziemlich fröhliches, energiegeladenes Set in der Bar, weshalb sie total gut drauf war. Sie war mit ihrem Freund da und als ich Leva ansprach, sagte sie, es sei der perfekte Moment. Sie hatte eh gerade genau dieses Bild im Kopf und konnte es so sofort aufzeichnen. Es sollte die besondere Atmosphäre des Clubs wiederspiegeln. Ihrer Meinung nach würde man im Berghain jedes Mal über sich selbst hinauswachsen, sich quasi selbst ausdehnen. Das würde dieses Gemeinschaftsgefühl des Clubs möglich machen. Dort hätte jeder eine ähnliche Denkweise, so dass man sich gegenseitig problemlos verstehen würde. Sie hat zu mir gesagt: “Berghain ist Entdeckung und Bildung zugleich.” Ich finde, das klingt sehr tiefgründig. Man lernt ja wirklich so viel durch die Leute, die man da trifft. Ich habe einiges über Respekt gelernt. Jeder sollte mehr auf sich achten. Gerade, weil man in dieser Stadt so schnell verloren gehen kann. Aber im Berghain beschützt man einander.
Die Freundin
Cat: Das hat meine Freundin Wenjei gezeichnet. Sie steht da unter Spotlights, wobei ich keine Ahnung habe, wieso sie ihr Gesicht so gezeichnet hat. Ziemlich fucked up. Andererseits hatte sie, die sonst nie Drogen nimmt, auch eine halbe Pille geschluckt und danach zu Gott gebetet … Ansonsten hat sie halt das festgehalten, was sie so gesehen hat. Ein Klofenster und ein paar Ärsche. Wenjei ist Fotografin und hat hier Urlaub gemacht. Davor wusste sie überhaupt nichts über’s Berghain. Aber ich erzählte ihr, dass wir hier den besten Club der Welt hätten. Nur ist sie 40, kein wirkliches Partytier, und es war ihr erst mal völlig egal, was ich ihr da sagte. Aber dann kam sie letztlich doch vorbei, weil sie vor ihrer Heimreise noch ein bisschen Zeit totschlagen wollte. Sie konnte ohne Probleme rein, was schon lustig ist, weil sie sich gar keinen Kopf um’s Styling und so gemacht hatte. Sie war dann auf jeden Fall ganz begeistert und wollte gar nicht mehr gehen. Seitdem schreibt sie auf ihrem Facebook oft darüber, wie genial es im Berghain ist und das sie dringend wiederkommen will.
Der Crush
Cat: Der Typ, der das gezeichnet hat, arbeitet im Berghain. Nennen wir ihn Mister S. Er hat auch noch einen Job als Zimmermann, und der ist seine Leidenschaft. Einmal hat er mir aber zugezwinkert. Er ist genau mein Typ. Schöner Körper, rasierter Kopf. In der Regel sind die Männer, auf die ich stehe, schwul. Aber er nicht, das habe ich mir auch noch mal von Freunden bestätigen lassen. Nur bin ich total schüchtern, wenn ich jemanden gut finde. Mit viel Überredungskunst meiner Freundin habe ich ihm dann das Buch gegeben. Ich glaube, Mister S nimmt keine Drogen. Deshalb hat er sich wohl so in der Mitte selbst gezeichnet. Wenn er im Club arbeitet, sehen für ihn halt irgendwie alle aus wie Monster. Er hat wirklich ewig dafür gebraucht, aber es ist toll geworden. Und danach haben wir uns auf Facebook connected. Nur ist Mister S so einer, der nicht häufig online ist und ich könnte mir sogar vorstellen, dass er in ein Internetcafé geht, wenn er seine Mails checken möchte. Ich glaube fast, er hat nicht mal ein iPhone. Das ist schon komisch, weil das Berghain ja voll ist mit Leuten, die immer die neueste Technologie haben. Halt so reiche Kids, die von ihren Eltern immer noch mehr Geld hinterhergeschoben kriegen. Aber er ist nicht so. Jetzt muss ich nur noch auf seine Antwort auf meine Facebook-Nachricht warten.
Das Pärchen
Cat: Diana und Léon haben sich im Berghain kennengelernt. Als ich sie dieses etwas trashige highschoolmäßige Bild zeichnen ließ, waren sie gerade mal vier Wochen zusammen. Bevor sie sich kennenlernten, hat Diana ständig andere Typen gehabt. Sie war die Diva vom Berghain, ständig oben ohne. Einmal hatte sie mit drei schwulen Typen Sex, die sonst nie was mit Frauen anfangen. Danach waren sie alle total verliebt in Diana. Aber ihr war das ganz egal. Sie war einfach total hypersexuell. Und das passt ja zum Berghain, wo jeder einen Schritt weiter geht, um seine Gelüste zu befriedigen. Diana nennt das Berghain “die beste Workout-Umgebung überhaupt”. Aber seit sie auf Léon traf, gibt es keinen anderen mehr für sie. Nun folgen sie sich im Club gegenseitig überall hin.
Der Designer
Cat: Jost ist Modedesigner und kam im Januar auf mich zu. Er wollte unbedingt sein selbstkreiertes Kleid zeichnen. Die Idee für das Design kam ihm im Club und nun lässt er im Spätsommer sogar eine ganze Kollektion produzieren, die dem Berghain-Vibe entspricht. Ein Model hat er auch gleich noch dort gefunden. Und das Fitting soll ebenfalls da drin stattfinden.