“Lutschbonbons? Ja. CBD-Cannabisblüten? NEIN!” So ein Post, den die Polizei Berlin Anfang des Jahres auf Facebook teilte. Will heißen: Produkte, die CBD, also den Cannabis-Wirkstoff Cannabidiol, enthalten, sind legal, solange es sich eben nicht um richtige Grasblüten handelt.
Cannabidiol berauscht nicht. Stattdessen kann es Entzündungen, Übelkeit und Epilepsie hemmen sowie bei psychischen Problemen von Schizophrenie bis Angstzuständen helfen. Diese positiven Effekte sind vielen Konsumierenden die leichten Nebenwirkungen wert: Manche fühlen sich ein wenig matt, der Appetit kann sich verändern oder es kommt gelegentlich zu Durchfall. Dem aktuellen Forschungsstand nach ist CBD aber harmlos, zumindest kurz- und mittelfristig.
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Doch auch wenn CBD eine insgesamt gutartige Wirkung hat, muss das in Wechselwirkung mit anderen Arzneien nicht so bleiben. Sobald wir zwei Substanzen in unserem Körper mischen, kann es sein, dass sie sich aufeinander auswirken. Selbst einfache Lebensmittel wie schwarzer Pfeffer können die Aufnahme und Wirkung anderer Mittel beeinflussen, erklärt Donald Abrams, ein auf medizinisches Cannabis spezialisierter Medizinprofessor an der University of California, San Francisco. Wie die bisherige Forschung zeigt, könnte CBD mit zahlreichen anderen Mitteln in Wechselwirkung treten, allerdings ist noch wenig darüber bekannt, welche Dosierungen welcher Arzneien nennenswerte Probleme verursachen könnten.
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Denn systematische Forschung zu CBD-Wechselwirkungen gibt es noch nicht. Die einzige wissenschaftliche Aufzeichnung solcher Wirkungen stammt aus Studien zu Epidiolex, einem Mittel gegen einige seltene Epilepsieformen, das größtenteils aus Cannabidiol besteht. In den USA ist es bereits zugelassen, im Herstellerland Großbritannien und dem restlichen Europa geht man von einer Zulassung um Mitte 2019 aus. Die Epidiolex-Studien zeigen, dass besonders hohe Dosen CBD bei manchen Patienten die Konzentration anderer Epilepsie-Mittel im Blut erhöhten – darunter Clobazam, Zebinix, Inovelon, Topamax, Valproinsäure und Zonisamid.
Bei Clobazam kam es durch die Interaktion zu einer besonders sedativen, also einer dämpfenden Wirkung. Bei Valproinsäure wurde die Leber auf eine Art angeregt, die auf Dauer zu einer giftigen Wirkung führen könnte. Eine Fallstudie kam außerdem zu dem Ergebnis, dass Patienten, die den Blutverdünner Warfarin und dazu CBD nahmen, noch dünneres Blut hatten als erwartet. Bisher sind nicht viele solche Wechselwirkungen dokumentiert, möglicherweise ist hier also auch nicht von einer großen Gefahr für die Durchschnittspatientin auszugehen.
CBD interagiert mit Leberenzymen, mit denen auch Alprazolam und Diazepam interagieren
Wir wissen allerdings einiges darüber, was in unserem Körper passiert, während wir CBD verarbeiten. Wie die Forscherin Carola Rong von der University of Toronto festgestellt hat, interagiert Cannabidiol besonders stark mit einem Enzymsystem in der Leber. Einfach gesagt: CBD könnte andere Arzneien davon abhalten, an diese Enzyme heranzukommen, so dass diese Mittel nicht abgebaut werden und sich im Blutstrom ansammeln. Außerdem könnte dieser Effekt manche dieser Medikamente davon abhalten, zeitnah zu wirken.
Die betroffenen Leberenzyme interagieren aber nicht nur mit einer Sorte Medikament, sondern, so Rong, mit etwa 60 Prozent aller Pharmazeutika auf dem Markt, darunter verbreitete psychoaktive Mittel. Wie etwa mit Alprazolam – in den USA und der Schweiz unter dem Verkaufsnamen Xanax bekannt, in Deutschland unter anderem als Tafil. Oder mit dem Beruhigungsmittel Diazepam, auch als Valium bekannt, sowie mit einer langen Reihe Antihistaminen, antiretroviralen Mittel und Steroiden.
Zum Glück bedeutet die bloße Anwesenheit von CBD aber nicht, dass die anderen Medikamente eine völlig andere Wirkung auf den Körper haben. Wie Rong erklärt, wissen wir aber nicht, welche CBD-Dosierungen bei welchem Medikament eine nennenswerte Wechselwirkung auslösen.
Dave Bearman, ein Allgemeinarzt, der mehr als 3.000 Patientinnen und Patienten mit medizinischen Marihuana behandelt hat, er höre selten Beschwerden von ihnen, die auf eine Wechselwirkung mit anderen Medikamenten hindeuten könnten
Adrian Devitt-Lee ist Cannabinoid-Forscher und arbeitet für die Forschungsinitiative Project CBD. Er verweist auf einen weiteren Faktor, der zu beachten sei: Man wisse nicht, für wie lange CBD auf die Leberenzyme wirkt. Auch bei niedrigeren Dosen kommen Wechselwirkungen vor, doch Devitt-Lee geht davon aus, dass es ab einem Gramm CBD am Tag zu nennenswerten Effekten kommen kann.
Dave Bearman ist Allgemeinarzt in Kalifornien und arbeitet seit fast 20 Jahren mit medizinischem Marihuana. Er hat mehr als 3.000 Patientinnen und Patienten damit behandelt. Bearman sagt, er höre selten Beschwerden von ihnen, die auf eine Wechselwirkung mit anderen Medikamenten hindeuten könnten. Auch Devitt-Lee hebt hervor, dass er nur von ein paar Fällen wisse, in denen CBD in Wechselwirkung mit Blutverdünnern getreten ist. Die meisten CBD-Produkte enthalten außerdem viel geringere Konzentrationen des Wirkstoffs als das Epilepsie-Mittel Epidiolex, das in gewissen Dosierungen Probleme verursacht hat. Das bestätigt Timothy Welty, Pharmakologe an der Drake University im US-Staat Iowa.
Für Krebspatienten ist die Wechselwirkung ihrer Medikamente mit CBD unberechenbar
Einige Expertinnen haben sich besorgt gezeigt, dass Menschen, die regelmäßig hohe Dosen CBD nehmen, somit versehentlich eine Überdosis Beruhigungsmittel nehmen könnten. Devitt-Lee erklärt, die meisten Medikamente seien so sicher, dass sie immer noch helfen und höchstens ein paar kleinere Nebenwirkungen auslösen, selbst wenn sie sich im Blut ansammeln. Der Forscher macht sich eher Sorgen um Wechselwirkungen mit Medikamenten, die nur in einem kleinen Dosierungsfenster wirksam sind – das heißt: ein bisschen weniger, und sie haben keine Wirkung, ein bisschen mehr, und sie werden toxisch. CBD könnte solche Mittel also von therapeutisch nach toxisch “umschalten”, wenn das Cannabidiol dazu führt, dass sie nicht richtig abgebaut werden.
Dass wir nicht wissen, bei welchen Mitteln CBD-Wechselwirkungen besonders ausgeprägt sind, ist ein großes Problem. Denn es sind oft genau die Menschen, die ohnehin schon Medikamente nehmen, die sich mit CBD therapieren wollen. Wenn CBD etwa Auswirkungen auf die Verarbeitung von Chemotherapie hat, könnte das laut Devitt-Lee gefährlich werden: Mediziner geben Krebspatienten oft am Anfang die höchste verschmerzbare Dosis. Wenn das Chemo-Mittel nicht normal abgebaut wird, könnten es kranke Menschen vergiften.
Dass wir nicht wissen, bei welchen Mitteln CBD-Wechselwirkungen besonders ausgeprägt sind, ist ein großes Problem. Denn es sind oft genau die Menschen, die ohnehin schon Medikamente nehmen, die sich mit CBD therapieren wollen.
Es ist unmöglich, systematisch zu erforschen, welche Mittel in Wechselwirkung mit CBD gefährlich werden. Das liegt zum Teil daran, dass es für Cannabis-Forschung nur sehr limitierte Gelder gibt. Allerdings gibt es auch praktisch-ethische Grenzen. “Man wird nicht Leuten Hunderte verschiedene CBD-Dosierungen verabreichen, die Wechselwirkungen mit ihrer Chemotherapie haben, nur um an Daten zu kommen”, so Cannabismediziner Donald Abrams.
Selbst wenn wir solche Daten sammeln könnten, wären sie kein perfekter Indikator für die möglichen Risiken. Forscherin Rong betont, dass Menschen Substanzen unterschiedlich schnell verstoffwechseln. Wie sich derartige Unterschiede auf Toleranzen und Wechselwirkungen auswirken, wissen wir leider auch nicht.
Fürs erste ist also für Menschen, die CBD und gleichzeitig andere Medikamente nehmen, vor allem eins geboten: Vorsicht. Devitt-Lee zufolge sollten vor allem Menschen aufpassen, die eine Chemotherapie durchmachen oder den Blutverdünner Warfarin einnehmen. Hier könnten die Nebenwirkungen sehr ernst sein. Carol Rong ruft Medizinerinnen und Mediziner dazu auf, besonders gut aufzupassen, welche Medikamente sie Patienten verschreiben, die CBD-Produkte konsumieren.