Ceremony sind nie zu alt fürs Schreien

Fotos: Nadja Sayej

Ceremony sind alt geworden und finden alles scheiße. Vor allem Black Flag und Cro-Mags. Und überhaupt die ganze Hardcore-Szene. Finde ich auch. Und weil ich auch viel zu alt bin für alles, haben wir uns bei einer gemütlichen Pfeife und einer Tasse Tee über die besten Wärmedecken und billigsten Bestattungsformen unterhalten. Geld haben wir nämlich alle keins. Alles falsch gemacht die letzten Jahre.
Deswegen sind wir zusammen auf eine Kaffeefahrt gefahren und haben uns über Krematorien in Polen informiert. Das alles ist niemals passiert. Ceremony sind nämlich ganz einfach immer noch die tollste Band aller Zeiten und haben jedes Recht alles und jeden zu verachten. Was sie eigentlich auch gar nicht mehr tun. Vielleicht werden sie ja doch alt. Auf jeden Fall hat JD eine ganz besondere Bong.
Wer die neuesten Nachrichten aus dem Zoo von Ceremony erfahren will, der liest jetzt dieses Interview, das wir am Montag vor ihrer Show in Berlin mit JD und Ross geführt haben.

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Noisey: Als meine Freunde und ich früher zum ersten Mal Ceremony hörten, hatten wir keine Ahnung, wie ihr ausseht. Wir dachten, ihr seid fette, alte, glatzköpfige White Trash Typen aus dem Trailerpark.
Beide: Hahahahahaha.
Ross: Ja, sind wir nicht.

Ich habe euch das letzte Mal in Seattle live gesehen. Im Januar 2011 bei der YMCA Downtown Show.
Ross: Wirklich? Hahaha. Das war eine kranke Show. War das nicht eine Geburtstagsparty?

Ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich mit dir direkt vor der Show gesprochen habe, Ross. Wir standen, die Band fing schon fast an zu spielen und du meintest, du seist nicht wirklich fit genug, um jetzt zu singen. Die Show war aber eine eurer besten. Doch mal ehrlich: Seid ihr zu alt fürs Schreien und schnell spielen?
Beide: Hahaha. Nein!
JD: Nein, ich denke nicht. Vielleicht bringen wir ja demnächst wieder irgendeine verrückte EP raus. Wer weiß?
Ross: Ich will schon lange eine experimentelle Punkplatte aufnehmen, die einfach das verdammt bizarrste Ding aller Zeiten ist.
JD: Ich finde nicht, dass du sagen kannst, jemand sei für irgendwas zu alt. Es ist halt einfach so, dass du älter wirst und dich veränderst.

Einer meiner Kollegen hat euch am Samstag in Oslo gesehen. Er meinte, dass du, Ross, noch exzentrischer als sonst gewesen bist. Was ist da passiert?
Ross: Haha. Ich weiß nicht genau. Ich glaube unsere Liveshows haben sich in den letzten sechs Monaten ein bisschen geändert, seit Zoo draußen ist. Ganz einfach, weil diese Songs so anders sind als alles, was wir früher gemacht haben. Ich drehe ein bisschen mehr durch bei den neuen Songs. Ich werde verschroben, verstehst du?

Haha. Deine Ankündigung war bei Zoo „verschroben“ zu werden.
Ross: Ja. Das ist auch passiert. Ich habe erst kürzlich die Fugazi Dokumentation Instrument gesehen und das war schon eine Inspiration für mich, weil Guy so ein abgedrehter Kerl ist. Da gibt’s einige Parallelen zwischen uns, finde ich. Zumindest was unsere Performance auf der Bühne angeht. Ich führe seine Art auf meine Art weiter.

Wolltest du nicht Englisch studieren?
Ross: Ja, aber das ist gerade irgendwie auch auf Eis gelegt wegen der Tour und der Band.

Scott Phillips von ex-Life Long Tragedy (LLT) bat mich JD nach „math“ und „his bong“ zu fragen. Hat er sich verschrieben? Meinte er „meth“?
JD: Nein, nein! Nicht Meth. Haha. Ich habe kürzlich meinen Bachelor in Mathematik von Berkeley erhalten. Und ich rauche viel Gras. Haha.
Ross: Hast du deine Bong kaputtgemacht? Warum fragt er denn danach? Ist er in die verliebt?
JD: Ich habe keine Ahnung. Vielleicht.
Ross: Egal. Auf jeden Fall hat er eine neue Band. Creative Adult. Wird bestimmt gut.

Purple Mercy ist tot?
JD: Ja. Ich glaube, sie beenden das gerade. Ich weiß es nicht. Sie sind irgendwie unorganisiert.

Haha. Aber sie hatten den besten Albumtitel aller Zeiten: „1970’s Acid Fuck Fest”. Auch egal. Suicidal Tendencies ist einer eurer wichtigsten Einflüsse, oder?
Ross: Ja. Definitiv. California punk. Yeaaaah!
JD: Das war eine der ersten Punk Bands, die ich je gehört habe. Wahrscheinlich als ich etwa 10 Jahre alt war. Mein Stiefvater hat sie mir gezeigt. Ich war Skateboarder und bei ST geht es nur ums Skateboarden.
Ross: „I just wanted a Pepsi“. Haha. „Institutionalized“ war, glaube ich, der erste Song, den ich jemals von ihnen gehört habe.
JD: ST war außerdem einer meiner wichtigsten Einflüsse, was Bassspielen angeht. Der Bass auf ihren Platten ist genial.

Ich habe Mike Muir letzte Woche interviewt. Wir haben aber weniger über Musik geredet. Er hat sich die ganze Zeit über die Dummheit der Menschen heute aufgeregt und die Fassade aller Dinge. Wie kaputt und aufgesetzt alles ist.
Beide: Hahahaha. Mann, der Typ ist so geil!

Behandelt ihr in euren Texten nicht auch gesellschaftliche Probleme? Die Zeile „Drive your car through the house” erinnert mich immer an The War of the Roses.
Ross: Haha. Ja das stimmt. Aber eigentlich ist eher unser altes Zeug gesellschaftskritisch. Die neuen Songs sind eher persönlich. Ich finde schon, dass jeder sich seiner politischen Verantwortung und Umwelt bewusst sein sollte. Wir leben in dieser Welt und sind alle davon beeinflusst. Es ist wichtig, aber in letzter Zeit habe ich mich davon weg bewegt. Ich will nicht, dass die Leute denken, wir seien eine politische Band.
JD: Unsere alten Lyrics waren eher deine Perspektive von außen auf die Dinge. Heute schreibst du eher davon, wie es sich anfühlt du selbst zu sein und wie deine Beziehung zu den anderen ist.
Ross: Ja, das beschreibt es ziemlich gut.

Ging Rohnert Park schon in diese Richtung?
Ross: Jein. Einerseits ist es ein Album, auf dem wir auf unsere Jugend zurückblicken. Andererseits ist es halt eine typische Punkplatte mit Punkthemen, finde ich. Zoo ist ein viel persönlicheres Album.

Kotzt euch Hardcore mittlerweile so richtig an? Oder schon immer? Ich nenne das Ganze ja manchmal „Stylecore“.
Beide: Hahaha. Ja, das passt.
JD: Weißt du als Band, kotzt dich immer irgendetwas an. In der Fugazi Dokumentation reden sie darüber, wie etwas einfach immer schwächer wird, je mehr es stagniert. Schau mal, früher war das HC-Ding etwas ganz anderes. Heute wird es ja fast traditionell. Immer das Gleiche. Damals war HC etwas Ursprüngliches, weil die Bands noch keinen HC Einfluss hatten. Die hörten harte Rock’n’Roll Bands und Punk aus den 70ern. Aber wenn Bands anfangen alle das Gleiche zu hören und das Gleiche zu schreiben, dann wird’s scheiße. Also brauchst du andere Einflüsse.

Wie waren die ersten Reaktionen des Publikums auf die neuen Songs bei den Shows?
JD: Meistens recht gut, aber manchmal schreien sie so etwas wie: „Spielt das alte Zeug!“ Oder: „Violence Violence“.

Aber ihr spielt die alten Songs doch auch noch.
Ross: Ja schon.
JD: Ich habe mehr neue Fans erlebt, denen wir richtig gut gefallen als Fans von früher, die uns jetzt hassen

Erschafft ihr euch eure eigene Szene im Moment?
Ross: Was? Wieso?

Hey, das habe ich im Internet gelesen.
Both: Hahahahaha. Ja. Muss ja stimmen …

Mike Muir nennt Wikipedia „Lieapedia“.
Ross: Großartiger Typ. Haha.

OK. Was anderes: „Nosebleed”. Song auf Zoo: „My nose bleeds like my father’s did. I’ll never be pure. I’ll always be loved.“ Worum geht’s da?
Ross: Es hat etwas mit meiner seltsamen Familiengeschichte zu tun.
JD: Der Song handelt davon, dass du mit deinem Vater bestimmte Probleme teilst und wie euch das näher zusammenbringt.
Ross: Ja. Es geht eben um meine Familie und besonders um meinen Vater. Wir sind uns ziemlich ähnlich. Ich werde dir nicht sagen, was genau meine Gemeinsamkeiten mit ihm sind, die ich da anspreche, aber du verstehst, was ich meine, oder? In meiner Familie sind alle sehr eng miteinander. Wir lieben uns sehr. „Nosebleed“ ist wirklich ein sehr persönlicher Song.

Was bringt die Zukunft?
Ross: Auf jeden Fall noch eine Platte mit Matador. Wir schreiben gerade alle daran. Die wird wohl im Januar oder Dezember rauskommen. Und dann wird es eine kleine Anfang 2013 geben.

OK. Ich bin durch. Wollt ihr noch irgendwas hinzufügen?
Ross: Nee. Auf keinen Fall. Haha.

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