Mit den sommerlichen Temperaturen drängen sich auch die unangenehmeren Aspekte des Daseins im Freien auf. So zum Beispiel die ewig dumpfe Gewissheit, dass das Wasser im öffentlichen Schwimmbad wohl kaum klinisch rein sein kann. Abgesehen von dem gelegentlich vorbeiziehenden verschrumpelten Pflaster konntest du diese Tatsache bisher aber vielleicht mehr oder weniger qualifiziert ignorieren, denn „Chlor tötet doch alles ab.”
Doch manchmal ist auch die Alltagsweisheit zu schön um wahr zu sein und nach Lektüre dieser Studie, dämmert mir, wie wenig metaphorisch der Begriff Pinkelbecken eigentlich ist. Für die von der altehrwürdigen „American Chemical Society” im Magazin Environmetal Science & Technology veröffentlichte Untersuchung mischten Wissenschaftler Harnsäure, die in Urin und auch in Schweiß enthalten ist, mit Chlor und erhielten innerhalb einer Stunde die Substanzen Stickstofftrichlorid und Zyan. Diese Chemikalien geistern demzufolge fröhlich durch unsere Pools und Hallenbäder.
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Ernest Blatchley III, einer der Autoren der Studie, sagte: „Wir untersuchen jetzt seit 10 Jahren die unterschiedlichsten Schwimmbecken und haben diese beiden Substanzen in jeder Wasserprobe gefunden.”
Die Chemiker sind jedoch nicht zur Beunruhigung deiner Bio-Phobie so fleißig, sondern um herauszufinden, ob das Urin- und Schweißproblem auch gesundheitsgefährdend sein könnte. Das gefundene Stickstoffchlorid kann nämlich tatsächlich Atemprobleme verursachen, während Zyan die Lungen, das zentrale Nervensystem und das Herz-Kreislauf-System schädigen kann.
Schwitzen lässt sich bei ausdauerndem Schwimmen jedoch kaum verhindern, selbst wenn du bei deinen sportlichen Kraulbahnen nicht sofort bemerkst, dass dir die Suppe vom Körper läuft. Und ins Wasser pinkeln ist zwar wirklich unfein, aber im Durchschnitt hinterlässt angeblich jeder Mensch, um die 30 bis 80 Milliliter Urin im Becken. Sogar Michael Phelps oder Ryan Lochte geben zu, ins Becken zu pullern und finden das völlig normal.
Die größte Sorge bereiten dem Forscherteam der Angewandten Chemie von der Universität Peking viele Leute, die sich gleichzeitig in einem Pool befinden—zum Beispiel bei einem Schwimmwettbewerb. Das Zyan entsteht nicht nur schnell im Chlor, es zerfällt ebenso in kurzer Zeit, doch wenn Urin von besonders vielen Personen zusammenkommt und nicht genug Chlor im Becken ist, könnte das zu einem größeren Problem werden.
Viel dringender als vor den möglichen gesundheitlichen Risiken, der sich im Wasser bildenden Bakterien zu warnen—die gewissenhafte Internet-Kommentatoren übrigens schnell in Zweifel zu ziehen versuchten—sollten die Wissenschaftler aber finde ich Kinder vor der guten alten Dummheit warnen, das Wasser in Freibädern zu trinken.
Ob die Zugabe von mehr Chlor eine geschickte Lösung darstellt, darf getrost bezweifelt werden. Am meisten hilft wohl doch weiterhin die Ignoranz des Problems—getreu dem alten angestrengt-abstossenden Öko-Motto, mit dem Freibadbesucher aber letztlich schon seit Jahrzehnten überleben: „Don’t Panic, it’s organic.”
Es lässt sich also nur hoffen, dass du dir jetzt bei jedem entgegenschwimmenden Pflaster und jedem vorbeigleitenden Haarbüschel nicht noch schneller vor Angst ins Höschen pinkelst.