Popkultur

Kurt Krömer ist der letzte Anarchist im deutschen Fernsehen

Screenshot aus dem YouTube-Video "Chez Krömer (1/4)​" von rbb​

Nicht immer ist sofort der Sinn erkennbar, warum der Schöpfer (oder wer auch immer) die unwirtliche Stadt Berlin erschaffen hat. Nicht, wenn man auf dem Alexanderplatz steht. Und auch nicht, wenn die Busfahrerin mault, weil man nicht eilig genug eingestiegen ist. Sehr klar erkennbar ist dieser Sinn beim Anblick von Kurt Krömer, diesem grenzenlos unfreundlichen Genie aus Neukölln, dem Virtuose der Bratzigkeit. Vielleicht gibt es Berlin nur, damit es Kurt Krömer geben kann?

Seit Dienstag ist er nach vierjähriger Pause zurück im Fernsehen, rbb, mit einem Sendungstitel, der nach Puff oder Bierkneipe klingt: Chez Krömer. Und es ist ein Segen, dass er zurück ist. Er kommt im richtigen Moment.

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Krömer empfängt seine Gäste neuerdings in einem Verhörzimmer. Als sei es nicht Qual genug, Gast seiner Show zu sein. Noch immer, wie schon in früheren Sendungen, steht Krömer mitten im Gespräch, wenn man das denn überhaupt als Gespräch bezeichnen kann, unvermittelt auf, redet dazwischen, gähnt oder motzt kindisch rum, weil ihm langweilig ist. Krömer, ein Monument gegen lanzhafte Geschmeidigkeit. Ein Monument mit sehr hässlichen Anzügen. Gregor Gysi und Helge Schneider begrüßte er in seiner Sendung mal mit dem liebevollen Satz: “So, ihr fetten Schnecken.”

In der ersten Folge von Chez Krömer ist Jürgen Höller zu Gast, ein bekannter Motivationscoach und Autor. Zu Beginn scheint Höller noch zu glauben, er könne die Sendung mit Bordmittel bestehen: joviales Erklären, Kalendersprüche, Handauflegen. Doch Krömer durchkreuzt alles. Öffnet unvermittelt seinen Aktenkoffer, stellt türkisches Duftwasser auf den Tisch, wie es in Neuköllner Imbissen gereicht wird. Kneift die Augen zusammen: “Hamse auf die Frage jetzt richtig geantwortet?” Oder er fragt: “Is dit jetzt der Versuch, hier witzig zu sein?” Krömer spielt einen Clip ein. Man sieht Höller auf einer Bühne, messiashaft erleuchtet, vom eigenen Vortrag ergriffen. Und bevor Höller etwas sagen kann über sein Wirken und Schaffen, lässt Krömer die Luft raus und fragt: “Und jetzt hier auf Arbeit was machense?”

Es ist nicht so, dass hinter der Anarchie, die Krömer verbreitet, kein Plan stehen würde, Krömer trampelt querfeldein, ohne Rücksicht auf Verluste, zum Kern der Dinge. Überraschend, und für den Zuschauer nicht absehbar, ist aber der Weg dorthin: Wird er gleich ein Dosenbier aus dem Kühlschrank holen? Wird Krömer wortlos den Raum verlassen? Reinigt er seine Hände mit türkischem Duftwasser? Dreht er eine kommissarhafte Runde um den Verhörtisch? Als Höller erzählt, dass er mit dem Jet nur “35, 40 Minuten” von seinem Wortort Schweinfurt in die Schweiz braucht, stiert Krömer in seinen Schnellhefter und murmelt: “Ja, das ist ja gar nicht mal so interessant.”

Bei Krömer gibt es keine Exzesse der Erwartbarkeit.

Krömer lässt hier nicht nur Höller zerschellen und verpuffen, sondern eine ganze Branche. Mentoren, Coaches, Motivationstrainer. Eine Branche, die darauf angewiesen ist, dass man sie nicht an die Aufgeblasenheit ihres Angebots erinnert – und die teils absurden Preise. Krömer überführt. Aber er überführt so viel wilder und lustiger als die Konkurrenz.

Bei Krömer gibt es keine Exzesse der Erwartbarkeit. Er führt kein hölzernes Schülertheater auf wie Die Anstalt im ZDF. Er ist nicht hyperaktiver Schiedsrichter wie Böhmermann, der sich in fahrigen Politaktionen verheddert wie zuletzt bei seiner Bewerbung für den SPD-Vorsitz. Für Krömer taugt das Vokabular des deutschen Lehrerkabaretts nicht. Er ist nicht “bissig”, “frech”, “augenzwinkernd”. Er ist einfach sehr unfreundlich. Und ein Anarchist.

Vor seiner Pause, auf dem vorläufigen Höhepunkt der Anarchie, ließ sich Krömer in seiner Show von einer Bondage-Expertin fesseln, während seine Gäste auf dem Sofa saßen und zuschauten und Krömer schließlich, als sie teilhaben wollten am Wahnsinn, mit Erdnussflips bewarfen. Krömer wird noch eine Zeit brauchen, um wieder heiß zu laufen. Aber Chez Krömer macht große Hoffnung. Seine nächsten Gäste heißen Kevin Kühnert und Philipp Amthor.

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