Ich war bei der Arbeit, als es passierte. Meine Kollegin nahm einen Anruf entgegen, dann schrie sie meinen Namen. Ihre Familie befinde sich in der Al-Nur-Moschee, sagte sie, und dort spiele sich gerade eine der schlimmsten Tragödien in der Geschichte Neuseelands ab: Ein offensichtlich rechtsextremer Terrorist hatte in dem islamischen Gotteshaus das Feuer auf die Betenden eröffnet. Der Vater meiner Kollegin wurde verletzt. Wir machten uns sofort auf zum Ort des Geschehens. Als wir durch die Stadt rasten, googelten wir nach Informationen. Vier Menschen sollen erschossen worden sein, hieß es. Dann sechs. Später erfuhren wir, dass die Zahl noch viel höher ist.
In der Deans Avenue, in der wir beide wohnen, hielt uns die Polizei auf. Ich parkte mein Auto neben einer Ansammlung orangefarbener Verkehrshütchen. Sofort schickten uns die Beamten hinter eine Betonmauer außerhalb der Schusslinie. Sie befürchteten, dass noch mehr Kugeln fliegen könnten. Um uns herum tippten Männer hektisch auf ihren Mobiltelefonen herum. Sie kamen aus der Moschee, das erkannte ich an den fehlenden Schuhen.
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Verkehrshütchen sind auf den Straßen von Christchurch allgegenwärtig. Sie sind dort aber nicht nur für die Verkehrsregelung hilfreich. Acht Jahre nach dem verheerenden Erdbeben stecken Leute dort manchmal noch Blumen zum Gedenken an die vielen Todesopfer in die oberen Öffnungen der Verkehrshütchen hinein.
Jeden Freitag werden die Parkplätze der benachbarten Al-Nur-Moschee mit den orangefarbenen Kegeln abgesteckt, für die Besucher des Gebets. Die goldene Kuppel der Moschee spiegelt sich in den Fenstern der Zimmer meiner Kinder wieder. Meine Freunde fragen immer wieder, ob mich die Gebetsrufe nicht nerven würden. Ich höre diese Rufe gar nicht. Oft wünsche ich mir aber, dass ich das tun würde. Ich habe mit der Moschee und den Menschen darin nur positive Erfahrungen gemacht. Bei einem Besuch bekamen meine Kinder Schokolade geschenkt. Wieder zu Hause fragten sie mich ganz glücklich, wann wir wieder in die Moschee gehen.
Überraschenderweise ist die Moschee mit den Verkehrshütchen recht geizig. Dabei gibt es in Christchurch davon definitiv genug. Parkplätze vor der Moschee hingegen nicht. Manchmal ärgere ich mich, wenn fremde Autos die Auffahrt zu meinem Haus zuparken. Einmal erwischte ich einen Mann dabei, wie er von meinem Grundstück in Richtung Moschee spazierte und dabei nach einem Pfirsich griff, der von einem der Bäume der Moschee herunterhing. Ich hielt ihm eine kleine Standpauke, er zuckte nur lächelnd mit den Schultern, biss in seinen Pfirsich und fuhr sein Auto mit einigen beschwichtigenden Worten von meiner Auffahrt.
Vergangenen Freitag fuhr jemand anderes in meine Auffahrt. Und dieser Person ging es um mehr als nur um einen Parkplatz oder einen Pfirsich.
Ich habe die Polizei noch nie so schwer bewaffnet gesehen wie an diesem 14. März. Immer mehr Einsatzfahrzeuge kamen in die Straße gefahren. Die Verkehrshütchen waren ihnen dabei völlig egal. Entweder knickten die Kunststoffkegel unter dem Gewicht der Fahrzeuge einfach weg oder sie flogen in hohem Bogen aus dem Weg – wie SOS-Leuchtsignale.
Meine Kollegin eilte mit ihrer Familie ins Krankenhaus. Später rief sie mich von dort aus an. Anscheinend parkte der Schütze in meiner Auffahrt. Ich schaltete die Nachrichten ein und sah meine struppige Gartenhecke, die ich schon so lange auf Vordermann bringen wollte. Daneben holte ein Mann eine halbautomatische Schusswaffe aus dem Kofferraum seines Autos.
Man hat mich in einem sicheren Haus am anderen Ende der Stadt untergebracht. Hier kann ich nur abwarten. Tatenlos. Dabei würde ich gerne zurück. Nicht zu meinem Haus, sondern zur Moschee. Ich will meiner Kollegin und meiner Community beistehen. Ich will dabei zusehen, wie die Sonne langsam hinter der goldenen Kuppel untergeht. Und ich will die Verkehrshütchen rund um die Moschee mit Blumen verzieren.