Juju Ploch ist aufgeregt. Der YouTuberin ist etwas ziemlich Gutes passiert – sie hat bei einem Gewinnspiel eine Bluetooth-Box gewonnen. Bei vielen anderen Kolleginnen würde jetzt die Marke der Box genannt und das Stück zu klimperndem Motivationspop noch einmal von Nahem gezeigt werden. Nicht bei Juju. Die will uns nämlich keine Elektronikartikel verkaufen, sondern etwas, was sich nicht so einfach bei Amazon bestellen lässt: Gott.
Dem hat sie nach eigener Aussage auch zu verdanken, dass sie sich überhaupt so über besagte Bluetooth-Box freuen kann. “Gott, wenn ich was gewinne, dann bitte diese Bluetooth-Box”, will sie sich gedacht haben. “Und jetzt habe ich die Bluetooth-Box gewonnen. Ist das nicht geil?!” Ihr Fazit: “Gott ist so cool!”
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Juju Ploch hat um die 5.500 Abos auf YouTube, auf Instagram folgen ihr fast 800 Menschen. Das klingt für Influencer-Verhältnisse nach ziemlich wenig, aber Juju ist eben auch keine normale Influencerin. Sie ist überzeugte Christin und will ihren Glauben an andere weitergeben, eine Christfluencerin quasi.
Was die 19-jährige Juju über ihren Glauben erzählt, klingt nicht schlecht. Gebete, Andachten, die Bibel an sich – all das kann und soll man kreativ auslegen. So, dass es einem Spaß macht und im Leben weiterhilft. Die Bibel mag die heilige Schrift des Christentums sein, das soll aber nicht bedeuten, dass man nicht in ihr herumkritzeln und sich seine Lieblingspassagen farblich markieren kann. Juju, die sehr oft “cool” sagt und sich aufgekratzt die blautürkisenen Haare aus dem Gesicht wischt, wirkt so gar nicht, wie man sich tief religiöse Menschen vorstellt. Wenn man nicht gerade auf das Video klickt, indem sie sich gegen Homosexualität ausspricht.
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Auch Jennifer K.C. (10.000 Abos) widmet sich auf YouTube Fragen wie “Woran erkennt man einen echten Christen?” oder “War Jesus vegan?”. Auf Instagram teilen Accounts wie togetheringod täglich Bibelsprüche als motivierende Spruchbilder und werden dafür von Tausenden gelikt.
Li Marie hat knapp 6.000 Instagram-Fans, auf YouTube haben 8.500 ihren Kanal abonniert, auf dem sie zeigt, wie man Ostereier in Glückskekse umfunktioniert oder “5 Tipps für mehr Entspannung im Alltag” gibt.
Ihr Zimmer, in dem Li Marie den Großteil ihres Contents dreht, ist durchgestylt aber gemütlich, und komplett in Weiß- und Beigetönen gehalten. Wie man es aus klassischen Lifestyle-Vlogs kennt, oder aus einem Til-Schweiger-Film. Es gibt kein Video, in dem ihr Glauben kein Thema ist, wobei auch Li Marie immer wieder betont, dass man die Bibel nicht allzu wörtlich nehmen müsse. Gerade wenn es um die geforderte Unterordnung der Frau gegenüber dem Mann gehe. Das klingt modern, lebensnah, aufgeschlossen. Zumindest auf den ersten Blick.
In ihrem mit 243.000 Views erfolgreichstem Video “Kein Sex vor der Ehe 1 | Warum wir warten”, spricht Li Marie mit ihrem Verlobten Lukas über die Entscheidung, enthaltsam zu leben. Die Vloggerin und ihr dauerstrahlender Partner erzählen eindringlich und beschwörend, wie nur eine zu Beginn sexlose Beziehung zu wahrem Glück führen könne – und dass Sex vor der Ehe zu hunderttausenden Abtreibungen führe. In ihren Augen “Massenmord”. Das klingt nicht mehr nach christlicher Nächstenliebe und dem Wunsch, anderen dabei zu helfen, Sinn in ihrem Dasein zu finden. Das klingt nach Missionierung mit möglichst apokalyptischen Sprachbildern.
Alle Influencerinnen und Influencer wollen etwas verkaufen. Sei es Lippenstift, sich selbst, oder eben Jesus. Davon profitiert aber nicht nur die Person vor der Kamera, sondern auch die, die sich ihrer Reichweite, ihres Einflusses auf junge Menschen bedienen.
Bei einem Markenprodukt ist das relativ einfach. Wenn Kopfhörer in die Kamera gehalten werden, kann man davon ausgehen, dass die Firma, die die Kopfhörer produziert, Geld dafür bezahlt hat, im Video aufzutauchen. Bei den Christfluencern ist das schwieriger, denn “Gott” ist keine Institution, die wirtschaftlich von der Reichweite ihrer Fürsprecher profitiert. Religiöse Organisationen hingegen schon.
Mit Influencern auf Gläubigenfang
Hinter dem Kanal von Li Marie steckt GIVICI, eine christliche Organisation, die es sich auf die Fahne geschrieben hat, “Kirche für jedermann. Zu jederzeit. Überall” zu liefern. Laut der Huffington Post soll es sich bei der “Global Video Church” allerdings um eine radikale Christengruppe handeln, die ganz bewusst junge YouTube-Persönlichkeiten rekrutiert, um die eigenen Inhalte zu verbreiten.
Auf ihrer Website rufen die Verantwortlichen dazu auf, eigene Hauskirchen zu gründen – deren Gottesdienste und Treffen natürlich streng nach GIVICI-Vorgaben durchgeführt werden sollen. Und je mehr Menschen in der Organisation ihren Heilsbringer sehen, umso mehr spenden natürlich auch.
Um zu verstehen, welche Art von christlicher Überzeugung in den Hauskirchen gelehrt und parallel unter vermeintlich jugendaffinem Anstrich im Internet verbreitet wird, muss man sich nur einmal kurz durch den YouTube-Kanal GIVICI Youth klicken. In einem der erfolgreicheren Videos diskutiert Li Marie mit einem weiteren Christfluencer, Michi, über die Frage, ob es OK sei, als Christ Pornos zu gucken. Wobei diskutieren das falsche Wort ist. Es scheint zu diesem Thema im christlichen Influencer-Universum nur eine Position zu geben: natürlich nicht. Und weil Bibelstellen manchmal einfach nicht genug Angst machen, scheinen sich Li Marie und Michi einfach ein paar vermeintliche “Fakten” auszudenken, mit denen sie ihren Anti-Porno-Standpunkt untermauern.
“Pornografische Bilder speichern sich in deinem Kopf fünf Jahre”, sagt Michi da beispielsweise. Wenig später behauptet er, wer schon als Teenager Pornos gucke, laufe statistisch gesehen eher Gefahr, pädophil zu werden. “Du musst immer extremer werden”, erklärt Michi, “und auch da ist die Frage: Wie weit will ich irgendwann in meiner Ehe so extrem werden, dass mir nichtmal der Sex mit meiner Freundin (sic) ausreicht, sondern ich vielleicht irgendwann, wie es heute immer öfter passiert auch, mit meiner Tochter schlafen muss, meinen Sohn vergewaltigen muss?”. Li Marie reagiert mit einem gespielt geschockten “Krass”. Vielleicht glaubt sie aber auch, was ihr Kollege da erzählt.
In den Kommentaren unter dem Video teilen Nutzerinnen und Nutzer passende Bibelstellen. Die Tatsache, dass die katholische Kirche (mutmaßlich) ganz ohne Pornos einen Kindesmissbrauchsskandal nach dem nächsten durchlebt, findet keine Erwähnung.
Es mag Christfluencer geben, die es sich ganz ehrlich und ernsthaft zur Aufgabe gemacht haben, das Positive ihres Glaubens zu teilen. Die ihre Geschichte erzählen, weil der Glaube an Gott und Jesus ihnen in ganz realen Lebenssituationen weitergeholfen hat. Das Problem daran ist: Auf den ersten Blick lassen sie sich nur schwer von denen unterscheiden, die für sektenähnliche Gruppierungen auf Menschenfang gehen. Die Nächstenliebe predigen und gleichzeitig fest davon überzeugt sind, dass manche Personen wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung weniger wert sind.
Christfluencer geben weiter, was sie in ihrer Familie oder ihrer Gemeinde oder ihrer spendenbasierten Online-Christengruppe gelernt haben. Und das ist nicht nur kritikwürdiger, sondern auch deutlich gefährlicher als eine unzureichend gekennzeichnete Produktplatzierung bei Dagi Bee.
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