Veganer sind fett. Veganer leben ungesund. Veganer sind arm. Veganer scheren sich einen Scheiß um gesundes Essen. Ganz egal, was man dir in den letzten Jahren versucht hat, auf Instagram weiszumachen, diese Aussagen treffen auf gar nicht mal so wenige Veganer zu.
Hier sind zum Beispiel ein paar Dinge, die ich im Laufe der letzten Woche als Veganerin konsumiert habe: eine ganze Packung Eiscreme, drei Pizzen, vegane Chicken Wings, Pasta, ein Glas Erdnussbutter, Wein, Bier, ein Burrito, zwei Pfannkuchen, Schokolade, eine Packung Oreos und ein paar Margaritas. Und das sind nur die Dinge, die mir gerade spontan einfallen. Sehr wahrscheinlich habe ich noch ein paar andere Lebensmittel zu mir genommen, die zusammengenommen furchtbare Auswirkungen auf meinen Körper haben werden. Ich weiß, dass das keiner ausgewogenen Ernährung entspricht, aber manchmal ist einfach Monatsende, dein Überziehungsrahmen ist ausgereizt und du brauchst eine Ausrede, um alle beigefarbenen Lebensmittel aus deinem Gefrierfach zu essen.
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Für mich persönlich spielte Gewicht keine Rolle, als ich für mich die Entscheidung traf, tierische Produkte zu meiden. Mir gefällt einfach die Vorstellung nicht, dass Tiere unglücklich sind oder sterben müssen, nur damit ich sie oder ihre Erzeugnisse essen kann. Selbst wenn ich Fleisch essen wollen würde, könnte ich mir keins leisten, das nicht vom Boden eines Schlachtbetriebs gekärchert und dann zu einer hackähnlichen Masse zusammengematscht wurde. Ich bin auch Veganerin, weil ich versuche, meinen CO2-Fußabdruck etwas zu verkleinern, und in lächerlich winzigem Rahmen etwas gegen die Waldrodung unternehmen möchte. Ich vermeide tierische Produkte, weil ich Cowspiracy gesehen habe und danach von Schuldgefühlen geplagt wurde. Da ich aus gesundheitlichen Gründen sowieso auf Eier und Milchprodukte (zusammen mit rotem Fleisch) verzichten sollte, war die Sache für mich klar.
Ich zeige aber nicht vorwurfsvoll mit dem Finger auf dich, wenn du Fleisch oder Tierprodukte isst. Jeder hat das Recht zu tun oder zu lassen, was er oder sie will—aus welchen Gründen auch immer. Ich hoffe nur, dass dich deine Lebensweise auch glücklich macht. Essen gehört nämlich zu den letzten Annehmlichkeiten, die uns in dieser beschissenen Welt noch bleiben. Ich bringe meine gar nicht mal so ausgefallene Ernährung an dieser Stelle auch nur zur Sprache, weil Veganismus in letzter Zeit immer wieder mit “Clean Eating” und “Wellness” in einen Topf geworfen wird. Und diese zwei Eckpfeiler einer paranoiden Bullshitkultur lassen Veganer für alle Außenstehenden nur noch alberner aussehen als ohnehin schon.
Zum Glück haben die Clean-Eating-Snobs, die hinter dem Wohlfühlkult stecken, nun etwas berechtigten Gegenwind bekommen. Ruby Tandoh schrieb erst im Mai in ihrem VICE-Artikel: “Wenn die einzigen ‘guten’ Lebensmittel in dem ganzen Wellness- und Wohlfühlzirkus Lebensmittel sind, die dich nicht dick machen, dann unterscheidet sich dieses sogenannte Wohlfühlen kaum noch von einer Diät. Der größte Wellness-Mythos ist vielleicht, dass es dabei im Grunde nie um Wellness, also Wohlfühlen, ging.”
Alles begann mit gutsituierten, weißen Bloggerinnen, die behaupteten, dass sie diese neue virtuose Art zu essen geheilt habe—und natürlich auch dich heilen kann. Anstatt aber unser aller Gesundheit zu verbessern, sind es die Blogger, Verleger, Fernsehsender und ganze Industriezweige, die eine Kultur der Angst verbreiten und davon profitieren. Der Anstieg von Orthorexie (einer Essstörung mit Fixierung auf gesundes Essen) ist die Kehrseite dieses Trends. Tandoh schrieb dazu bei Twitter: “Immer ‘leicht’ essen, ‘leere’ Kalorien vermeiden, kleine Mahlzeiten so ‘nährstoffreich’ wie möglich machen—das alles sieht sehr nach einer Angst vor dem Sattsein aus.”
An irgendeiner Stelle ist die vegane Ernährungsweise bei der Kritik des Clean Eating mit unter die Räder gekommen. Ein paar vegane Freunde waren etwas besorgt, als die BBC-Dokumentation Clean Eating’s Dirty Secrets die Kritik verschiedener Ernährungsformen einfach über einen Kamm scherte und Veganismus nur in seiner bizarrsten und extremsten Ausprägung (und glaub mir, es kann ziemlich bizarr und extrem werden) darstellte. Die Sendung konzentrierte sich lediglich auf die bedenklichen und gefährlichen Trends, die genau wie Clean Eating über Social Media verbreitet werden.
Da wäre “Raw Til 4″—eine Diät, bei der Menschen bis 16 Uhr nur ungekochte Nahrung zu sich nehmen dürfen. Dann gibt es “Mono-Mealer” wie die berühmte YouTuberin Freelee the Banana Girl, die bis zu 30 Bananen pro Tag verdrückt, oder High Carb Hannah, die die Fahne für “Potato Cleanse” hochhält—eine Diät, bei der man sich einen Monat lang nur von Kartoffeln ernährt. Dann gibt es noch “HCLF”-Veganer(High Carb, Low Fat), die haufenweise Obst und Gemüse, dafür aber kaum Öl, Nüsse oder Avocados essen. Genau wie beim Clean Eating steht außer Frage, dass viele Menschen durch ihre Essstörung bei einer veganen Ernährungsweise landen und sich ihr Krankheitsbild dadurch wiederum verschlimmert. Dennoch muss man zwischen beiden Dingen unterscheiden, da die Prinzipien des Clean Eatings vor allem sozialchauvinistischer, elitärer und fettphobischer Natur sind.
Wenn du dir diese ganzen Wellness-Kochbücher anschaust mit ihrem “Raw”, “Zuckerfrei”, “Weizenfrei”, “Glutenfrei”, dann tragen sie oft auch das Label “Vegan”. Es gibt einfach viele Überschneidungen zwischen einer veganen und einer Wellness-Ernährung. Wenn du als Veganer in ein angesagtes Café gehst, zuckst du wahrscheinlich einfach mit den Schultern und wählst den Süßkartoffelbrownie (richtig widerliches Zeug), weil das das einzige ist, was du von der Karte essen kannst. Im Alltag allerdings ernährt sich der durchschnittliche, weniger betuchte Veganer allerdings nicht von diesem ganzen ausgefallenen und vor allem teuren Zeug; Zeug, von dem deine Oma noch nie in ihrem Leben gehört hat und die für Clean Eating erforderlich zu sein scheinen—Kastanienpollen, Mandelmehl, getrockneter Grünkohl etc. Veganer greifen eher zu Bohnen, Linsen, Kichererbsen und ganz normale Zutaten, die man im nächsten Hofer oder Lidl bekommt.
Der Großteil der Wohlfühl-Blogger vermeidet sogar das Label “Vegan”, obwohl ihre Ernährungsweise einem extrem eingeschränkten Veganismus sehr nah kommt. Sie verwenden stattdessen Ausdrücke wie “plant-based” [also “pflanzlich”], wenn sie keine Milchprodukte und Eier verwenden. Witzigerweise hasst “Deliciously Ella” sogar den Begriff Vegan. “Du lebst nicht unbedingt gesund, wenn du Veganer bist”, sagt sie gegenüber dem Telegraph. “Es geht dabei nur darum, ungeheuer exklusiv zu sein. Und ich finde, dass das oft eng mit einer Kritik an anderen Leuten verbunden ist. Auch wenn ich eine pflanzliche Ernährung liebe und sie so vielen Menschen wie möglich ans Herz legen möchte, verurteile Menschen nicht. Für mich geht es um natürliches Essen, eine gesunde Ernährung, aber auch darum, sie so zugänglich wie möglich zu gestalten.” Die Tochter einer Sainsbury’s-Erbin und eines britischen Abgeordneten will uns hier weismachen, dass der exklusivste und sozialchauvinistischste Ernährungstrend der letzten Jahre in keinem Vergleich zum wertenden Gehabe der Veganer steht.
Wir reden hier immerhin von einem Trend, der im Kern darauf basiert, die Ernährungsentscheidungen anderer Menschen in den Dreck zu ziehen, und maßgeblich für die Ausbreitung von Orthorexie verantwortlich ist. Es ist eine geradezu ironische Unterscheidung, die diese Menschen selbst zwischen beiden Idealen treffen. Gleichzeitig entlarvt ihre eigene Sprache sie eindeutig als einen weiteren Diättrend, den man clever in das Gewandt des positiven Lebenswandels und Wohlfühlens gepackt hat.
Viele Veganer leben nicht nach der gleichen Clean/Schmutzig-, Gut/Böse-Dichotomie. Essen ist Essen. Und viele Veganer, natürlich nicht alle, sind dermaßen vom Essen besessen—bestimmt auch, weil es einfach schwieriger zu kriegen ist—, dass sie durchdrehen und direkt eine ganze Kiste davon kaufen, wenn du ihnen eine neue Schokolade zeigst. Und weil sie sich so über die neue Schokolade freuen, schicken sie auch gleich einen Haufen Fotos davon an ihre Veganerfreunde. Dafür, dass es eine Ernährungsform ist, die viele Lebensmittelgruppen verbietet, habe ich die Erfahrung gemacht, dass es dabei nur selten um Selbsteinschränkung und Verzicht geht. Kalorien werden nicht gezählt und überhaupt basiert das System nicht auf Scham. Ich kenne viele Veganer, die Zucker lieben—ja, sogar den bösen, weißen Raffinade-Zucker—und Obst, Weizen, Gluten und Kohlenhydrate. Wenn wir knapp bei Kasse sind, essen wir halt Unmengen Kartoffeln, Brot und Reis.
Wir leben in einer Zeit, in der Lebensmittel nicht nur Nahrung, sondern für viele Menschen auch eine Obsession sind. Das hat seine guten und schlechten Seiten. Den ganzen Lärm, die Angst, die Warnungen und die Panikmache um unser Essen können wir eigentlich nur beenden, indem wir herausfinden, was für uns am besten funktioniert—für unseren Körper, für unseren Geist und für unser Leben. Am Ende sollte man sich fragen: Wollen wir wirklich Ernährungstipps von einer reichen, äußerst gut vernetzten und schlanken 21-Jährigen, die zum Mittagessen etwas Grünkohl und eine Banane in den Mixer schmeißt? Ich hoffe wirklich, dass wir uns einem Zustand annähern, indem wir wieder mehr auf unseren Bauch hören und Genuss den gleichen Stellenwert wie unsere Gesundheit hat.
Wellness, Wohlbefinden, frei von Milchprodukten, glutenfrei, Low-Carb, Clean Eating, Raw, zuckerfrei, … Für dich mag Veganismus vielleicht nach der Hölle auf Erden klingen, aber vegane Ernährung gehört definitiv nicht in diese Liste des Grauens.