Geht’s denn noch romantischer, als sich für ein erstes Date in eine enge, graue Gefängniszelle einsperren zu lassen? Damit man auch wirklich nicht abhauen kann, wenn die Smalltalk-Themen durchgekaut sind und die betretene Stille einsetzt. Oder das Gegenüber von üblem Mundgeruch befallen ist und creepy Annäherungsversuche startet. Zum Glück bleibt uns das alles erspart. Denn der Berner Rapper Cobee und ich haben Wichtigeres zu tun, als uns mit Smalltalk rumzuschlagen.
Auch Cobees Album, Chaos, welches er am 7. Dezember veröffentlicht, lässt nicht viel Platz für oberflächliches Geschwätz. Der 21-jährige Newcomer aus dem S.O.S-Umfeld zieht uns direkt in das Gefühlschaos, das in seinem Kopf wimmelt. “Chaos i mim Gring, ich weiss nüme wiiter”, singt er über einen schwermütigen Emo-Trap-Beat. Das scheinbar konzeptlose Album bezeugt somit vor allem eines: Cobees unverblümte Ehrlichkeit.
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Wir treffen Cobee vor dem Escape Room in Zürich. Der Game-Master führt uns in die kahle Gefängniszelle, die schwere Tür knallt laut in ihr Schloss. Die Zeit läuft – wir haben eine Stunde Zeit, um da rauszukommen.
Der erste Schlüssel baumelt hinter einem rostigen Gitter – genau so weit weg, dass man ihn mit der Hand nicht erreichen kann. Wir geben schon fast auf, als wir bemerken, dass sich einer der Gitterstäbe zu einer Angel umfunktionieren lässt. Und voilà, das erste Schloss ist geknackt und die erste schwere Zellentür lässt sich ächzend aufstossen.
Wir flüchten gerade aus einem Gefängnis. Ist Musik für dich Realitätsflucht?
Jeder sucht doch nach einem Weg, vor der Realität zu flüchten.
Seit wann spielt Musik für dich eine solch wichtige Rolle?
Ich wusste schon immer, dass ich Musik machen will. Früher wollte ich Sänger werden. In der Schule haben da alle immer gelacht. “Das ist doch kein Job!” Naja, it is what it is.
Wieso Sänger und nicht grad von Anfang an Rap?
Weil ich früher hauptsächlich Rock gehört habe. Meine Role-Models waren zum Beispiel Chester Bennington und Billie Joe Armstrong.
Der typische Skater-Sound.
Ja, hat was. Skaten konnte ich aber nie. Ich hab’s versucht, hab aber zwei linke Füsse. Viele Freunde von mir gingen immer skaten, aber Sport war wohl einfach nie so mein Ding.
Was hast du stattdessen gemacht?
Weiss nicht … gekifft?
Die erste Zellentür war erst der Anfang des Rätsel-Marathons, der uns in der nächsten Stunde erwartet. Wir sind jetzt in der Hauptzelle. Am Boden liegt ein Schuh und auf dem kleinen Ecktisch liegen eine Pistole und ein Ordner. Darin sind alle Gefangenen aufgelistet. Wir checken schnell: Alles hier drin hat eine Bedeutung. Also fangen wir an, eins und eins zusammenzuzählen.
Du hast eine Lehre gemacht, ja?
Ja, eine KV-Lehre. Standard. Ich hab’s gehasst. Es ist einfach so ein 0815-Job mit einem 0815-Lebensstandard. Du gehst morgens arbeiten, kommst abends nach Hause, triffst am Weekend deine Freunde. Ausserdem hatte ich schon immer ein richtig grosses Autoritätsproblem. Ich war immer der, der sich mit den Lehrern zerstritten hat. Das war auch im Betrieb so: Ich hatte immer bisschen Beef mit allen.
Wo holst du deine Inspiration her?
Es gibt viele Inspirationsquellen in verschiedenen Lebenssituationen. Liebe, zum Beispiel. Manchmal inspiriert mich auch eine Zugfahrt oder ein Spaziergang. Und auch die Musik, die ich höre. Allgemein Kunst. Dies wissen viele nicht: Die Kunst, die du machst, inspiriert die Kunst anderer. Das ist ja irgendwie das Ziel des Ganzen.
Am 7. Dezember droppst du dein Album, Chaos. Was hat dich für das Album inspiriert?
Einen grossen Teil der Inspiration zog ich aus einer Trennung. Hast du dir das Album angehört?
Ja, ich find’s richtig nice. Was mir vor allem gefällt, ist der Stilmix. Jeder Track klingt komplett anders. Der rote Faden ist da, aber etwas versteckt.
Ja, das stimmt. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich einfach randomly Songs produziert habe. Einige Songs dienten zur Verarbeitung von etwas, in anderen ging’s einfach darum, zu flexen. Als ich mir dann alles angehört hab, ist mir aufgefallen, dass ich mir manchmal selbst voll widerspreche.
Inwiefern?
Auf der einen Seite sage ich, dass ich eine Beziehung brauche. Und auf der anderen Seite sage ich, dass ich eine Beziehung nicht nötig habe. Der Albumtitel ist genau daraus entstanden. Das Chaos in mir, nicht genau zu wissen, was ich eigentlich will.
Und wie stehst du im Moment zum Thema Beziehung?
Ich habe realisiert, dass ich niemanden brauche, um glücklich zu sein. Du kannst nicht mit einer Person ein Loch in dir selbst füllen. Man muss als Mensch erst mit sich selbst glücklich sein, damit eine Beziehung überhaupt funktioniert.
Man fühlt sich doch schnell mal zu jemandem hingezogen, der das Gegenstück zu einem selbst ist. Als introvertierte Person sucht man vielleicht eher jemanden, der extrovertiert ist, nicht?
Du bist eher introvertiert?
Nein, würde ich jetzt nicht sagen. Du?
Sehr.
Wie zeigt sich das?
Wenn ich in einer grossen Gruppe bin, bin ich still und höre zu. Ich bin der Beobachter, der in der Ecke sitzt und seine Notizen macht.
Und über die anderen urteilt?
Jeder macht das schlussendlich. Aber ich versuche gerade, dagegen anzukämpfen. Das ist im Menschen mega tief verankert.
Cobees Beobachtungs-Instinkt hilft uns leider nicht weiter. Wir einigen uns schliesslich darauf, unseren Stolz wegzustecken und den Gamemaster um Hilfe zu bitten.
Mit seinen Tipps machen wir uns erneut an die Arbeit. Nicht aufgeben, wir sind schliesslich hier drin gefangen.
Warst du schon immer der Beobachter?
Ich denke, das alles hatte seine Gründe. Denn als ich ein Jahr alt war, habe ich mein Bein gebrochen. Während alle draussen spielten, sass ich zu Hause und las Bücher. So habe ich schon früh Lesen und Schreiben gelernt und wurde ein Jahr früher in die Schule geschickt. Somit war ich immer der Jüngste der Klasse. In der Schule war ich dann immer der Klassenclown. Ich weiss zwar nicht, ob das genau der Auslöser war, aber es hat bestimmt was damit zu tun, dass ich ein ruhiger Mensch bin.
Liest du denn jetzt auch noch so viel?
Leider nicht. Ich hab immer das Problem, dass ich das Buch zur Hälfte lese. Zuhause liegen bestimmt 20 Bücher rum, die ich angefangen und nie fertig gelesen habe.
Sieht bei mir ähnlich aus. Was liest du denn so?
Ich habe viele Bücher über Buddhismus.
Wieso Buddhismus?
Weil mich die Religion einfach flasht. Der Buddhismus verurteilt keine anderen Religionen. Er macht einfach sein Ding.
Würdest du dich als Buddhist bezeichnen?
Nein, gar nicht. Aber ich schau mir alle Religionen an und nehme das Gute von jeder raus. Natürlich gibt es auch viele schlechten Dinge. Wenn du voll drin bist, befolgst du ja auch wieder Regeln, die von einer anderen Person gemacht wurden. Schlussendlich ist es auch eine Geldmacherei. Ich bin aus der Kirche ausgetreten, als ich die erste Steuererklärung erhalten habe.
Dann hast du vielleicht ein Problem, wenn du kirchlich heiraten willst.
Ich werde nicht heiraten. Ich brauche kein Blatt, das mir bestätigt, dass ich eine Person liebe und sie mich. Um das Finanzielle zu regeln, kannst du ja einfach auf dem Standesamt heiraten. Aber sonst, fuck it!
Die nächsten paar Schlösser knacken wir ohne weitere Hilfe. Und es ist verdammt satisfying. Dreamteam!
Wir sind ja jetzt quasi Zellen-Mitbewohner. Wohnst du in einer WG?
Nein, ich wohne alleine. In einem kleinen Studio mitten in der Stadt.
Gefällt’s dir da?
Es gibt Momente, in denen ich es voll geniesse, alleine zu wohnen. Dann gibt’s aber auch Zeiten, in denen ich den sozialen Kontakt brauche. Dafür hab ich niemanden, der seine scheiss Pfanne in der Küche rumstehen lässt. Ich kann mich nur über mich selbst aufregen.
Vielleicht ein Papagei, mit dem man noch quatschen kann?
Nein, der würde nur anfangen zu fluchen.
Ein Spiegelbild von dir selbst, also?
Schlussendlich sind wir doch alle Spiegelbilder von anderen.
Jetzt ist Konzentration gefragt. Wir müssen ein TicTacToe-Spiel zu Ende bringen und die Koordinaten des letzten Kreuzes ins Zahlenschloss reindrehen.
Hast du schon was im Kopf für ein neues Album?
Noch nicht konkret. Es wird wahrscheinlich eher alternativ. Mit Tracks, in denen ich nur Gitarre spiele und singe vielleicht. Ich singe ja eh den ganzen Tag. Sobald ich alleine bin, fange ich an zu singen. Wenn ich merke, dass ich in einen schlechten Mood rutsche, holt mich das wieder raus. Aber an Konzerten rappe ich lieber.
Wieso das?
Ich vertraue meinem Gesang noch nicht 100 Prozent auf der Bühne. Vielleicht auch, weil ich immer mit S.O.S auf der Bühne war. Das ist halt so voll Rap und dann komme ich und mach bisschen “lalala”. Die Leute wären so: “Daaamn, was geht hier?!”
Der Gig auf der Hauptbühne des Openair Frauenfeld war schon sick. Aber das Geilste war das Splash!. Uuuuuh, das Splash!, auf jeden Fall. Da sind so viele Dinge passiert.
Erzähl mal!
Du musst dir das so vorstellen: Es gibt einen Backstage, wo alle sind. Swae Lee, Sido und so weiter. Du stellst dich da rein und niemand kennt dich. Niemand schaut dich an. Du bist sozusagen ein Nobody neben all diesen Legenden. Es gibt da ein Studio mit zwei Produzenten vom Splash!. Da konntest du dich einschreiben und deine Zeit booken, um etwas aufzunehmen.
Nativ und ich waren drunk und wollten da ins Studio und einen auf Ami machen. Wir gingen also da hin und sagten: “Yeah, you know man, we’re straight outta Florida man, you got some beats?” Die beiden Dudes drehten sich um, schauten uns an und dachten wohl sofort: “Wow, jetzt kommen die big Fishes!” Und die kickten den Dude, der grad am Aufnehmen war, einfach aus dem Studio raus und zeigten uns ihre Beats. Nativ hat dazu irgendwas unverständliches gemurmelt. Die waren dann so: “Whoa schau mal, der nickt mit dem Kopf, er fühlt den Beat!” Dann haben sie einen anderen Beat abgespielt, der nicht so nice war. “Lass den, er fühlt ihn nicht, spiel wieder den anderen!”
Wir waren einfach besoffen und haben Scheiss gemacht. Sie fragten uns, wo wir her seien und wir sagten: “Yeah you know, we’re from the Netherlands but now we’re in Florida.” Und sie haben es uns echt voll abgekauft.
OK wow.
Ja, es war voll krass zu sehen, wie das hinter den Kulissen so abgeht. Kommt ein Ami rein, scheissen die einfach voll auf den anderen Dude. Wahrscheinlich war das sogar ein Homie von ihnen. Wir haben das dann auch noch weitergezogen und bestellten an der Bar jeweils auf Englisch. Und kriegten natürlich alle Extras, die wir wollten.
Hat man da überhaupt noch Bock mit denen zu arbeiten, wenn man so was checkt?
Ich krieg jetzt die ersten Anfragen von Labels. Da frag ich mich einfach, was jeweils ihre Absichten sind, weisst du? Schlussendlich wollen die mit dir Geld machen. Du bist der Lieferer und deine Musik ist das Produkt. Mit diesem Konzept komme ich noch nicht so klar. Musik ist für mich Kunst, sie ist mein Alles und meine Lebensenergie.
Machst du neben der Musik noch irgendwas anderes, was dir Spass macht?
Nein, das ist das Problem. Ich brauche einen Ausgleich. Ich würde zum Beispiel gerne malen.
Was würdest du denn malen?
Keine Ahnung. Monster und Superhelden. So im Manga-Stil und etwas abstrakt. In meiner Familie väterlicherseits sind alle künstlerisch talentiert. Auch mein Grossvater war Künstler. Bevor er vor einigen Wochen gestorben ist, schenkte er mir eines seiner Bilder. Das wurde schlussendlich auch das Albumcover von Chaos.
Was hindert dich daran, mit dem Malen anzufangen?
Eigentlich nichts. Ich bin einfach voll der Procrastinator. Das ist definitiv eine Schwäche von mir. Und von irgendwo brauchst du ja Inspiration. Ich muss in die Welt rausgehen, mit echten Menschen und echten Farben. Und dann kann ich mich wieder einsperren.
Echte Menschen – so scary.
Absolut!
Da sind wir wohl etwas verschieden – ich finde es scary, mega lange alleine zu sein. Da muss man sich aktiv ablenken.
Alles ist Ablenkung. Die Welt ist hier, um uns abzulenken.
Wovor ablenken?
Davor, die ultimative Wahrheit zu finden: Warum man hier ist, warum man lebt, warum man stirbt. In der heutigen Gesellschaft bist du von Ablenkungen überflutet. Du sitzt an der Bushaltestelle und starrst in dein Handy. Das wurde mir erst klar, als ich mal einen Tag ohne Handy überleben musste.
So. viele. Schlösser! Eine Kinderzeichnung an der Wand hält weitere Hints versteckt. Der Gefangene hatte also eine Familie. Der Name seiner Tochter ist ganz klein auf’s Blatt gekritzelt. Aber LORI ist nicht der Code! Wir suchen weiter. Nur noch 5 Minuten!
Ich habe jetzt schon einige Male gehört, dass Künstler, die vor einem grösseren Publikum performen, introvertiert sind. Bist du auf der Bühne jemand anders?
Absolut, ganz klar. Auf der Bühne bin ich confident. Weil ich da confident wirken muss. Ich habe das Gefühl, dass viele Leute Konzerte als Hilfsmittel benötigen, ihr Selbstvertrauen aufzubauen. Ich hatte nie viel Selbstvertrauen in meinem Leben.
Gehst du denn von dir aus auf Leute zu?
Wirklich selten. Ich gehe auch in Clubs nicht irgendwelche Frauen antanzen. Das bin ich einfach nicht und war ich auch nie. Aber dieses Stigma ist in der Gesellschaft so krass verankert. Ich distanziere mich von all dem. Ich will nicht, dass mir die Gesellschaft irgendein Bild von etwas macht. Ich mach mir das Bild selber. Ob das mit der Gesellschaft übereinstimmt oder nicht, ist mir scheissegal. Ich will da auch Grenzen brechen. Vielleicht gerade mit Schweizer HipHop. Das ist in mir drin und widerspiegelt sich schlussendlich auch in meiner Kunst.
Nach einer Stunde dröhnt der Alarm – Time’s up. Wir haben’s leider nicht aus der Zelle geschafft. Dafür gibt’s in einer Bar in der Nähe noch ein grosses Verlierer-Bier und einen romantischen Spaziergang im kalten Regen zurück zum Bahnhof, um unser Date standardmässig abzurunden.
Cobees Album Chaos erscheint am 7. Dezember auf allen Streaming-Plattformen und auf YouTube.
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