Robbie ist 28 und kommt aus Portsmouth, England. Seit drei Jahren nimmt der frühere Marktforscher regelmäßig Heroin. Hier erzählt er, wie sich der Lockdown auf sein Leben und seine Sucht auswirkt.
Ich leide unter Angststörungen. Als der Lockdown angekündigt wurde, sind mir die Nerven durchgegangen. Das gab es noch nie, dass das öffentliche Leben so stillgelegt wurde. Natürlich hat mich das extrem beunruhigt. Ich befürchtete, dass der Heroin-Nachschub ins Stocken geraten könnte, wenn sich die Dealer isolieren. Zum Glück stellte sich diese Sorge relativ schnell als unberechtigt heraus, was mein Stresslevel etwas linderte. Auf Heroin fühlst du dich, als gäbe es eine Lösung für alles – auch für die größte Pandemie.
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Vor dem Lockdown konsumierte ich Methadon und Heroin. Ich hatte ein Rezept für 50 Milliliter Substitution täglich. Ich sollte schrittweise die Menge reduzieren, bis ich clean bin. Aber offensichtlich war meine Dosis zu niedrig angesetzt, denn zusätzlich besorgte ich mir alle drei Tage Heroin. Mindestens.
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Täglich ging ich in die Apotheke, um dort mein Fläschchen Methadon vor den Augen der Apothekerin zu trinken. Damit soll sichergestellt werden, dass ich das Fläschchen nicht weiterverkaufe oder mehr als meine zugeteilte Dosis trinke, um mich high zu fühlen. Am ersten Tag des Lockdowns sagte mir die Apothekerin, dass ich von jetzt an sieben Fläschchen auf einmal mitnehmen könne. Ich hielt mich an die Regeln und trank nur eine Dosis pro Tag. Andere waren nicht so diszipliniert.
Nach drei Tagen rief ich meinen Stammdealer an, aber er konnte mir nicht helfen. Ich probierte ein paar andere Nummern, aber allen war die Lage zu riskant. Vor dem Lockdown funktionierte das System so: Dealer geben den Stoff an Runner, die sich mit den Konsumenten an vereinbarten Orten treffen. Die Runner waren in der Regel selbst Süchtige und wurden mit Heroin bezahlt. Eigentlich ist das ein beliebter Job in der Szene, mit dem man seine Sucht finanzieren kann, aber jetzt wollte niemand mit lauter Heroinpäckchen bestückt auf den ansonsten leeren Straßen abhängen. Viel zu auffällig.
“Unfassbar!”, dachte ich mir. “Ich habe Geld und muss trotzdem einen kalten Entzug machen.” Die Vorstellung, den Lockdown ohne Drogen durchstehen zu müssen, machte mir Angst. Die Entzugserscheinungen sind in guten Zeiten schon hart genug. Ich wusste nicht, ob und wie ich während Corona damit klarkommen würde.
In der Nacht konnte ich nicht einschlafen. Meine Beine begannen zu schmerzen und ich trat in alle Richtungen aus. Wir nennen das “Radfahren”, ein typisches Entzugssymptom. In meinem Kopf ratterten die Gedanken unkontrolliert. Wenn ich vom Heroin runterkomme, geht mein Stresslevel durch die Decke – und aktuell gibt es extrem viel, worüber man sich Sorgen machen kann.
Zum Glück normalisierte sich die Drogenversorgung in den folgenden Tagen ein bisschen. Wahrscheinlich war auch den Dealern und Runnern klar geworden, dass der Lockdown Monate dauern könnte. So lange wollten sie natürlich nicht auf ihr Einkommen verzichten. Aber ihr Vorgehen hatte sich angepasst: Jetzt soll man anrufen, kurz bevor man am Treffpunkt ist. So müssen die Runner nicht lange warten.
Wirkliche Sorgen schien Corona ihnen aber nicht zu machen. Oberste Priorität hatte noch immer, nicht erwischt zu werden. Ich hingegen hatte Schiss vor beidem. Als Asthmatiker gehöre ich zur Risikogruppe. Die Runner verstecken das Heroin in der Regel im Mund und spucken es vor der Übergabe in ihre Hand. Besser kann man das Virus eigentlich nicht verbreiten.
Nach einer Woche Lockdown begann ich, mich sehr isoliert zu fühlen. Ich lebe alleine. Die Runner waren die einzigen Gesichter, die ich täglich sah. Vor Corona hatte ich mich auf den Drogenkauf gefreut, weil ich später was zu rauchen hatte. Jetzt freute ich mich darauf, weil mir der Deal eine Entschuldigung gab, das Haus zu verlassen. Das änderte nichts an meinem Isolationsgefühl. Runner haben selten Interesse an Smalltalk. Sie geben dir das Päckchen und verschwinden.
Ohne sinnvolle Tätigkeit in meine Wohnung eingepfercht nahm ich bald täglich Heroin. Vor Corona besuchte ich Selbsthilfegruppen, jetzt hatte ich kein Netzwerk mehr. Bei den Treffen haben wir uns gegenseitig im Kampf gegen die Sucht bestärkt. Mir fehlt das sehr. Es gibt ein paar Online-Gruppen, aber die sind kaum Ersatz für echte Treffen.
Ich fragte mich, was für eine Welt uns nach dem Lockdown erwartet. Anfangs verfolgte ich noch die Nachrichten, aber irgendwann machte mir auch das zu viel Angst. Ich sorgte mich ständig um meine finanzielle Situation, von der natürlich auch abhängt, ob ich mir Drogen kaufen kann. Ich mache am Telefon Marktforschung für Unternehmen. Anfangs hatte ich das Glück, dass ich von zu Hause weiter arbeiten konnte.
Anfang April teilte mir mein Boss dann mit, dass die Kunden wegbleiben. Man werde mich entlassen. Gestern habe ich meinen Antrag für Universal Credit eingereicht, die Arbeitslosenhilfe des Vereinigten Königreichs. Bis dahin war ich immer stolz gewesen, dass ich trotz meiner Sucht einer geregelten Arbeit nachging. Es war ein heftiger Schlag für mein Selbstbewusstsein. Ich habe keine Ahnung, wie ich in den kommenden Monat meinen Konsum finanzieren soll – was ehrlich gesagt eine furchtbare Vorstellung ist. Der Gedanke, alleine in Isolation einen kalten Entzug durchzumachen, ist nicht auszuhalten.
Ich befürchte auch, dass der Heroinnachschub irgendwann abebben wird. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass irgendwo in der Lieferkette weitere Probleme entstehen. Aber wer weiß? Vielleicht wird der Drogenhandel auch als einziger Markt die Pandemie unbeschadet überstehen. Wir werden es sehen.
Mein Plan für den Rest des Lockdowns ist es, eine andere Einkommensquelle zu finden. Wenn das überhaupt möglich ist. Außerdem hoffe ich, beim Heroinkauf auf den leeren Straßen nicht erwischt zu werden, und dass ich vor Langeweile nicht verrückt werde. Mein Entzug ist erstmal aufgeschoben, bis die Quarantäne vorüber ist. Wann immer das sein mag. Bis dahin steht mir eine extrem schwierige und verstörende Zeit bevor. Wie für alle anderen auch. Egal ob süchtig oder nicht.
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