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Drogen

Cannabis auf Rezept: Die Bundesregierung hat sich mal wieder blamiert

Es gibt viel mehr Patienten als gedacht – die Drogenbeauftragte klopft sich trotzdem auf die Schulter.
Foto: imago | epd

Man muss offenbar kein hochgezüchtetes Killerweed rauchen, um zeitweise den Bezug zur Realität zu verlieren: Die Bundesregierung hat sich beim erwarteten Bedarf für medizinisches Cannabis in Deutschland auch im nüchternen Zustand grandios verschätzt.

Die Rheinische Post hat nach einer Umfrage bei den größten gesetzlichen Krankenkassen – AOK, Techniker (TK) und Barmer – herausgefunden, dass in den letzten zehn Monaten 18-mal so viele Menschen Anträge auf Kostenerstattung von medizinischem Cannabis gestellt haben wie erwartet. Als die Legalisierung von Gras auf Rezept Anfang 2017 in Kraft trat, rechnete die Bundesregierung mit 700 Neuanträgen – zusätzlich zu den 1.000 Patienten, die bereits eine Sondergenehmigung für Gras vom Apotheker hatten. Bis Ende letzten Jahres baten aber bereits mehr als 13.000 Patienten bei den Kassen darum, dass sie die Kosten für ihre Cannabis-Rezepte übernehmen.

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Die meisten Patienten wendeten sich an die AOK. Dort gingen bis Ende letzten Jahres rund 7.600 Anträge ein. Bei Barmer waren es etwa 3.200 Anträge, die TK erhielt rund 2.200 Anfragen. Durchschnittlich genehmigten die Kassen davon knapp zwei Drittel. Selbst wenn einem gerade Amnesia Kush aus der Nase dampft, als wäre man ein Kraftwerkskühlturm, kann man erahnen, dass jetzt Tausende Cannabis-Patienten mit genehmigten Rezepten herumlaufen und irgendwer den völlig unterschätzten Gras-Bedarf decken muss. Damit hatten schon im letzten Jahr viele Apotheken Schwierigkeiten. "Auch in Zukunft wird es wohl immer wieder Engpässe geben, weil die Nachfrage ständig steigt", sagte der stellvertretende Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes, Florian Rister gegenüber VICE.

Noch kommt der Nachschub vor allem noch aus Kanada und den Niederlanden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) will per Ausschreibung bis 2019 einen deutschen Produzenten finden, der das Gras nach regierungszertifizierten Standards züchtet. Ein bayerischer Unternehmer baut dafür gerade einen ehemaligen Atombunker um und das Karlsruher Start-up Lexamed verklagt gerade das BfArM, weil dieses in seiner Ausschreibung ausländische Produzenten bevorzugt.

Marlene Mortler (CSU), die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, hat in der Vergangenheit unter anderem mit erfundenen Zahlen gegen die vollständige Cannabislegalisierung "argumentiert". Jetzt klopft sie sich trotz der völligen Fehleinschätzung sogar noch auf die Schulter: "Die steigende Zahl der Genehmigungen zeigt, wie wichtig es war, dieses Gesetz im letzten Jahr auf den Weg zu bringen", sagte sie laut Rheinische Post. Tatsächlich dürfte sich die Zahl noch erhöhen. Viele der abgelehnten Anträge sind laut Krankenkassen einfach nur unvollständig. Neu überarbeitet könnte man aber auch diese genehmigen. Die Engpässe bei Ärzten und Apotheken dürften dann noch gravierender werden.

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