'High Fidelity' lieferte einer Generation von Musiknerds ein Arschloch-Vorbild
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At The Movies

'High Fidelity' lieferte einer Generation von Musiknerds ein Arschloch-Vorbild

John Cusacks Filmfigur, der Plattenverkäufer Rob Gordon, wurde unter Musik-Fanboys Kult. Dabei sollte das Publikum ihn gar nicht mögen.
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Übersetzt von Elvira Rosales

In Zeiten von iTunes und Spotify braucht so gut wie niemand noch einen Plattenladen, aber in den 1990ern waren sie noch die heiligen Hallen aller Musikkenner. Nick Hornbys Roman High Fidelity von 1995 folgt einem Plattenladeninhaber, der mit seinen Kollegen über Musik fachsimpelt, wenn er nicht gerade seiner Ex nachtrauert. 2000 wurde das Buch mit John Cusack in der Hauptrolle verfilmt, und vor Kurzem hat Disney eine Serie angekündigt, die auf High Fidelity basieren soll – in der die Hauptfigur allerdings eine Frau sein wird.

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Hornbys männliche Hauptfigur heißt Rob Gordon, ist besessen von Musik und leidet unter seiner kürzlichen Trennung. Für viele Jungs, die Popkultur-Wissen wichtiger fanden als Sport, wurde Rob zu einer Kultfigur. Aus der Sicht eines Typen, der noch bei seinen Eltern wohnt, hat er schließlich einen beneidenswerten Lifestyle: Er hat den Traumjob "Plattenladenbesitzer", in seinem sozial unbeholfenen Freundeskreis ist er noch der Coolste, und außerdem schafft er es regelmäßig, mit Frauen im Bett zu landen, die viel attraktiver sind als er – letzteres dürfte die romantisch Benachteiligten besonders beeindrucken. Entweder ist Rob der coolste Nerd oder der nerdigste coole Typ. Trotz all dem ist Rob Gordon kein Held, den man bewundern sollte. Eigentlich ist Rob Gordon ein Antiheld, ein schlechter Mensch. Er ist ein soziopathischer Aufreißer, ein Stalker-Ex und ein beschissener Partner.

"Ja. Ich bin ein verdammtes Arschloch."

Der Autor Hornby hatte das natürlich verstanden, immerhin war es sein Werk. Die Fans, besonders die des Films, begriffen das aber nicht unbedingt. Ein Stück weit geht die unvollkommene Persönlichkeit der Romanfigur Rob in der Filmadaption verloren. Zum Teil ist daran der Hauptdarsteller schuld, John Cusacks Charme bringt Rob einen Sympathiebonus, den er nicht verdient hat. Sein trauriger Dackelblick ruft Erinnerungen an seine romantischen Teenie-Rollen der 1980er wach. Gleichzeitig versucht der Film fast zwei Stunden lang, dem Publikum zu vermitteln, was für ein Arschloch Rob ist. An einer Stelle sagt er sogar: "Habe ich diese Dinge gesagt und getan? Ja. Ich bin ein verdammtes Arschloch."

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Am Anfang von High Fidelity hört Rob "You're Gonna Miss Me" von The 13th Floor Elevators, während seine Freundin Laura aus der gemeinsamen Wohnung auszieht. Um über die Trennung hinwegzukommen, beschließt Rob, einige Ex-Freundinnen aufzusuchen, um sich von der Schuld am jeweiligen Beziehungsende reinzuwaschen. In der ersten Hälfte des Films stuft Rob seine Verflossenen nach der Intensität des Liebeskummers ein – so wie er mit seinen Freunden im Plattenladen ständig alles in persönliche Chart-Listen einordnet. Das hier ist ein Mann, der Frauen wie Platten sammelt und nach Gefallen katalogisiert. Der erste von vielen Hinweisen darauf, dass Rob keine Figur ist, die man sich zum Vorbild nehmen sollte.


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Als erstes trifft sich Rob mit der Nummer zwei in seiner Herzschmerz-Liste, seiner Freundin aus Schulzeiten, Penny. Er machte damals mit ihr Schluss, weil sie ihn wiederholt zurückwies, als er fummeln wollte. ("Ich war nicht an Pennys guten Eigenschaften interessiert, nur an ihren Brüsten, also brachte sie mir nichts", sagt er dazu.) Beim Abendessen fragt Rob Penny, warum sie nicht williger gewesen sei. Sie erzählt daraufhin, was Robs Verhalten bei ihr auslöste: Als Rob sie verließ, sei sie so verletzt gewesen, dass sie quasi zugelassen habe, dass ihr nächster Freund sie vergewaltigte. Daraufhin habe sie bis nach dem Studium große Probleme mit Sex gehabt. Am Ende des Gesprächs rennt sie weinend aus dem Restaurant. Robs Reaktion? Er ist im Grunde einfach nur erleichtert. "Wow, ich sollte mich mit mehr Ex-Freundinnen treffen und mich von dem Leid distanzieren, das ich verursacht habe", scheint er zu denken.

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"Ich war nicht an Pennys guten Eigenschaften interessiert, nur an ihren Brüsten."

Die nächste Ex in seiner Liste gesteht, dass es ihr in letzter Zeit schlecht gehe und sie mit verschiedenen Medikamenten experimentiere, um klarzukommen. Rob begleitet sie zur Haustür und wendet sich danach ans Publikum: "Ich hätte jetzt Sex mit ihr haben können", sagt er. "Was ist besser, um die Dämonen der Zurückweisung auszutreiben, als die Person zu vögeln, die einen zurückgewiesen hat?" Man muss schon ein ziemlicher Soziopath sein, um sich auch noch dafür zu feiern, dass man eine emotional labile Frau nicht sexuell ausgenutzt hat, um sich an ihr zu rächen.

Was seine aktuelle Trennung angeht, ist Rob entsetzt, dass Laura seinen ehemaligen Nachbarn Ian Raymond (großartig gespielt von Tim Robbins) datet. Er ist erleichtert, als er erfährt, dass die beiden noch keinen Sex hatten. Rob feiert diese Tatsache, indem er zu "We Are the Champions" von Queen triumphierend die Fäuste reckt. So hoch ist seine Hochstimmung, dass er gleich loszieht, um mit der Musikerin Marie de Salle (Lisa Bonet) zu schlafen. Kurz nach seinem eigenen Schäferstündchen teilt Laura ihm mit, dass sie endlich Sex mit Ian hatte, woraufhin Rob wieder deprimiert ist. Obwohl er selbst noch eine Stunde zuvor mit einer anderen geschlafen hat. Rob hat die sexuelle Schachpartie verloren und fängt an, Laura und Ian zu belästigen.

Mit einem Haufen Kleingeld bewaffnet steht Rob bei Regen in einer Telefonzelle vor Ians Wohnung und wählt ständig dessen Festnetznummer. Was bei einem Teenager mit gebrochenem Herzen vielleicht noch einigermaßen romantisch wirken könnte, ist bei einem Mann in seinen 30ern Grund für eine einstweilige Verfügung. Eine Flashback-Szene aus dem Film fasst Robs erstaunlichen Mangel an Selbstreflexion gut zusammen: Er steht – natürlich wieder bei Regen – vor dem Fenster einer Ex und schreit: "Du verdammtes Miststück! Lass uns drüber reden!"

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Ian Raymond ist so eine schmierige Figur, ein Patchouli-getränkter Hippie mit einem hässlichen Pferdeschwanz, dass der Kontrast zwischen den Nebenbuhlern das Publikum auf Robs Seite zieht. Doch minus mal minus ergibt in solchen Fragen nicht plus. Nur weil Rob eine bessere Plattensammlung hat und weniger Ringe am kleinen Finger trägt als Ian, ist er nicht automatisch die bessere Partie für Laura. Das ist der "Nice Guy"-Mythos, den realitätsferne Männer lieben: Der Typ, der bei der Frau nicht landen kann, muss automatisch auch der Typ sein, der sie am ehesten verdient hätte. Dieselbe Mentalität sieht die nerdigen Loser in Teenie-Filmen als Helden, die etwa Mädchen unter der Dusche filmen – nur weil die Sportler-Typen der Schule auch ohne kriminelle Tricks in den Genuss dieses Anblicks kommen.

All diese Situationen, in denen Rob sich besitzergreifend verhält, gehören zum Entwicklungsbogen seiner Figur, am Ende des Romans ist er ein neuer Mann, der Lauras Liebe tatsächlich verdient hat. Doch der Film vermasselt genau die Lektion, die Rob im Laufe der Handlung lernen soll. Laura nimmt Rob zwar zurück, aber er tut eigentlich gar nichts, um sich das zu verdienen. "Ich bin zu erschöpft, um nicht mit dir zusammen zu sein", gibt sie letztendlich nach. Im Grunde hat Robs anhaltende Belästigung und Manipulation sie also derart zermürbt, dass sie keine Energie mehr hat, um sich zu wehren. Wo man Männern eine strenge, aber gutgemeinte Botschaft über emotionale Reife hätte vermitteln können, signalisiert der Film stattdessen, dass Belästigung zum Erfolg führt. Sein größtes Maß an Reife beweist Rob am Ende, als er sich in eine Musikjournalistin verguckt und zähneknirschend Laura treu bleibt, die ihn trotz seiner offensichtlichen Fehler liebt.

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Wütende Eifersucht im Emo der frühen 2000er

Schwer zu sagen, wie sehr männliche Musiker, die High Fidelity gesehen haben, von dem Film geprägt wurden. Doch der Einfluss lässt sichin den Genres Pop-Punk und Emo durchaus nachzeichnen – in genau diesen Genres nämlich feierte man bereits John Cusacks Arbeit aus den 80ern. The Bouncing Souls widmeten 1994 einen ganzen Song Zitaten aus Cusacks Filmen. Die Pop-Punker Lanemeyer haben sich nach Cusacks Figur in dem Film Lanny dreht auf (1985) benannt und sich in ihrer Debut-EP ausgiebig auf den Film bezogen. Max Bemis von Say Anything hat auch angegeben, er habe die Band nach dem Film von 1989 benannt, weil er sich mit Cusacks Figur identifiziert habe (in Deutschland hieß der Film Teen Lover).

Seit High Fidelity erschienen ist, sind diese männlich dominierten Underground-Genres kommerziell erfolgreicher geworden. Gleichzeitig wurden die Songtexte, die zuvor oft gefühlsbetont und sentimental waren, deutlich besitzergreifender und bedienten manchmal auch Bilder der Gewalt. 2002 brachten Taking Back Sunday den Song "You're So Last Summer" heraus, in dem es heißt: "You could slit my throat and with my one last gasping breath I'd apologize for bleeding on your shirt". Brand New hatten 2003 großen Erfolg mit dem Song "The Boy Who Blocked His Own Shot", in dem sie singen: "It's cold as a tomb and it's dark in your room / When I sneak to your bed to pour salt in your wounds". Und dann ist da noch alles, was Drive-Thru Records jemals veröffentlicht hat. Wütende, manchmal mordlüsterne Eifersucht wurde im Emo der frühen 2000er zum Standardthema, und dabei wirkte es nicht immer so, als würden die Musiker sich deutlich von ihrem lyrischen Ich abgrenzen.

Aber war die Musik der Männer so daneben, weil sie High Fidelity gesehen hatten, oder war High Fidelity deshalb so daneben, weil es von der Musik der Männer lebte? Wer weiß. Fest steht, dass die Figur Rob Gordon ein täuschend charmantes Bild des romantisch benachteiligten Musik-Nerds zeichnete. Rob, wie er umgeben von Platten in seiner Wohnung auf dem Boden sitzt, diente vielen heterosexuellen männlichen Musikfans als Blaupause für die selbstmitleidigen, liebeskranken Figuren, die sie gern darstellten.

Vielleicht wird Disneys High Fidelity ja lediglich die Prämisse mit dem Plattenladen nehmen und mit der weiblichen Hauptfigur in eine völlig andere Richtung gehen. Begrüßenswert wäre aber, wenn die Serie Rob Gordons Schwächen als Ausgangspunkt nimmt und zeigt, welchen emotionalen Preis Frauen im Umgang mit solchen Typen bezahlen. Alles, nur keine weitere Generation von Rob Gordons.

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