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Inklusion

Ein Bremer Gymnasium klagt, um keine Schüler mit Behinderung aufnehmen zu müssen

Seitdem steht die Schule öffentlich in der Kritik.
Symbolfoto: imago | ZUMA Press

Eine geistige oder körperliche Behinderung zu haben, sollte in Deutschland schon lange niemanden mehr hindern, am gesellschaftlichen Leben genauso teilnehmen zu können wie Menschen ohne Behinderung. Die Realität sieht oft anders aus: Menschen, die eine Betreuung in allen Lebensbereichen erhalten, dürfen nicht zu Wahlen gehen, und Frauen mit geistiger Behinderung werden teilweise zur Sterilisation gedrängt, ohne zu wissen, was das überhaupt ist. Seit 2009 gilt in Deutschland eine UN-Konvention, der zufolge Kinder mit Behinderung nicht von Regelschulen ausgeschlossen werden sollen. Und doch wehrt sich die Schulleitung eines Bremer Gymnasiums zurzeit mit rechtlichen Mitteln, um die Einrichtung von einer Inklusionsklasse an ihrer Schule zu verhindern.

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Kinder mit schweren geistigen Behinderungen könnten das Anforderungsniveau von Gymnasien nicht erreichen, so die Schulleiterin vom Gymnasium Horn, Christel Kelm, im Weser Kurier. Das Bildungsressort Bremen sieht nun aber vor, in der fünften Klasse des Gymnasiums Horn und in vier weiteren Schulen ab dem nächsten Schuljahr eine sogenannte W+E-Klasse einzuführen. W+E steht für "Beeinträchtigung in Wahrnehmung und Entwicklung", meint also körperliche und geistige Behinderungen. Die Schulleitung hat daraufhin Klage gegen das zuständige Bildungsressort eingereicht. Zurzeit prüft das Verwaltungsgericht, ob die Schule überhaupt klagebefugt ist. Im Büro der Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) reagiert man wegen des Klageverfahrens eher verhalten: "Wir sind der Auffassung, dass die Einrichtung des W+E-Standortes ein zulässiger innerdienstlicher Organisationsakt ist, der auch mit der Schulform des Gymnasiums vereinbar ist. Gymnasien führen zu allen Abschlüssen und können auch ein Allgemeines Zeugnis erteilen." Mehr wolle man derzeit nicht dazu sagen. Schulleiterin Christel Kelm war für eine Stellungnahme bisher nicht zu erreichen.


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"Inklusion hat nichts mit Anforderungsniveau zu tun. Ich muss immer auf die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten von Schülern eingehen. So wie wir alle einen unterschiedlichen IQ haben, ist auch jede Behinderung unterschiedlich", sagt die Lehrerin Birgit Wiesenbach, Leiterin des Zentrums für unterstützende Pädagogik am Gymnasium Links der Weser. Das Gymnasium ist eines von zweien, die in Bremen bereits Inklusionsunterricht ermöglichen. "Inklusion ist Haltungssache", ist Wiesenbach überzeugt. Und sie ist nicht die einzige, die die Klage von der Schulleitung des Gymnasiums Horn kritisiert. Bremens Landesbehindertenbeauftragter, Joachim Steinbrück, sieht vor allem das gerichtliche Vorgehen kritisch: "Der Klageweg polarisiert ungemein. Eine gerichtsnahe Mediation wäre die bessere Lösung", zitiert ihn das Hamburger Abendblatt.

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2015 lernten nur 10,5 Prozent der Schüler, die zu dieser Zeit inklusiven Unterricht in Schulen der Sekundarstufen erhielten, in Realschulen und Gymnasien. In Bremen will man weiter daran arbeiten, dass Kinder von der Einschulung bis zum Abitur im Sinne der Inklusion unterrichtet werden können – dazu zählen auch Gymnasien. "Wenn Kinder in der Schule nicht lernen, dass beeinträchtigte Menschen genauso dazugehören, dann lernen sie es als Erwachsene auch nicht mehr", so Wiesenbach.

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