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Menstruation

Wissenschaftler bestätigen: Frauen können auch während ihrer Tage klar denken

Unser Zyklus hat keinen Einfluss auf unsere kognitiven Fähigkeiten und wir sind auch nicht zu "emotional" für Führungspositionen.
Illustration: Imago | Ikon Images

Eine aktuelle Studie hat bestätigt, was wir schon seit Jahren immer wieder genervt vorbeten müssen: Ja, es ist nicht sonderlich angenehm, seine Tage zu kriegen. Trotzdem hat der Menstruationszyklus eines Menschen grundsätzlich keine Auswirkungen auf seine Fähigkeit, klar zu denken, Entscheidungen zu fällen oder sich auf zwei Dinge gleichzeitig zu konzentrieren.

Die aktuelle Studie ist eine der umfangreichsten ihrer Art und wurde am 4. Juli 2017 vom Journal Frontiers in Behavioral Neuroscience veröffentlicht. Die Forscher_innen der Studie begleiteten 68 Frauen über einen Zeitraum von zwei Menstruationszyklen und untersuchten ihr Gedächtnis, ihre Aufmerksamkeit, ihre kognitiven Fähigkeiten und ihren Hormonspiegel. "Die Ergebnisse sind nicht weiter überraschend", sagt Joan Chrisler, die als Psychologieprofessorin am Connecticut College in den USA und Präsidentin der Society for Menstrual Cycle Research tätig ist. "Wir wissen seit Jahren, dass der Zyklus keine Auswirkungen hat."

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Allerdings waren da viele Ärzte über lange Zeit anderer Ansicht. Die Vorstellung, dass Frauen während ihrer Menstruation "verrückt spielen", hält sich seit der griechischen Antike. Damals ging Hippokrates noch davon aus, dass der Uterus im Bauchraum herumwandern würde und die Ursache für Depressionen und Wahnsinn wäre.

Mitte des 19. Jahrhunderts begannen Ärzte dann ganze Artikel über den vermeintlichen Zusammenhang zwischen "Geisteskrankheiten" und der Menstruation zu schreiben. Historiker Michael Stolberg erklärt, dass schon im Jahr 1840 ein französischer Arzt behauptete, dass menstruierende Frauen "in ihren intellektuellen Kapazitäten eingeschränkt [wären], wodurch sie sehr sonderbaren Launen und charakterlichen wie geschmacklichen Marotten ausgeliefert [seien]". Und ein englischer Gynäkologe, Dr. Robert Barnes, beschrieb 1891 in einem Vortrag vor der British Gynecological Society eine Patientin, bei der angeblich "eine absolute Koinzidenz zwischen der Menstruation und der Manifestation von Wahnsinn" feststellbar war.


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Barnes begründete das so: "Die am häufigsten vorkommende seelische Störung äußert sich in Form einer Veränderung des natürlichen Gemütszustands, die die Patientin streitsüchtig und widersinnig macht und sie zu einer Belastung für den Haushalt werden lässt."

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Im Jahr 1931 veröffentlichte der Arzt Dr. Robert Frank in Archives of Neurology & Psychiatry eine Arbeit über die vermeintlichen hormonellen Ursachen "prämenstrueller Anspannung". Darin heißt es, dass diese Anspannung durch ein hormonelles Ungleichgewicht verursacht würde und Frauen daher unter "Störungen" wie Reizbarkeit und Konzentrationsschwierigkeiten leiden würden. Seine Empfehlung: Das Ungleichgewicht müsste behandelt werden, indem man "die überschüssigen Hormone über den Urin und den Stuhl mithilfe verschiedener harntreibender Mittel ausführt."

"Wenn man Frauen untergraben und es so aussehen lassen möchte, als würden sie nicht in Führungspositionen gehören, dann muss man nur sagen, dass sie instabil wären."

Was dann folgte, waren unzählige Studien, die über Jahrzehnte hinweg die psychologischen Auswirkungen der Menstruation untersuchten. Allerdings wurden dazu in vielen Fällen Methoden angewandt, die inzwischen als "problematisch" beurteilt werden. Dies macht die entsprechenden Ergebnisse eher irrelevant, da sie durch veraltete und somit unzuverlässige Forschungsmethoden zustande kamen.

Selbst in den vergangenen Jahren noch gab es immer wieder Untersuchungen, die vorgeblich belegten, dass der Menstruationszyklus eines Menschen seine mentalen Funktionen beeinflussen würde. Eine Studie kam zu dem Schluss, dass die Menstruation die Bereiche des Gehirn beeinflusst, die unser Gedächtnis, unsere Urteilsfähigkeit und unsere Aufmerksamkeit steuern. In einem anderen Kontext hat man vermutet, dass die Veränderung des Östrogen-, Progesteron- und Testosteronspiegels den Serotonin- und Dopaminspiegel des Körpers beeinflussen würde, was zu Ängsten, Reizbarkeit und depressiven Verstimmungen führen könnte.

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Ein Gynäkologe bei der Untersuchung einer Patientin Anfang des 19. Jahrhunderts. Bild: Wellcome Images | Wikimedia Commons | CC BY 4.0

Professorin Brigitte Leeners, die führende Autorin der kürzlich veröffentlichten Studie, glaubt, dass viele dieser Untersuchungen wissenschaftlich voreingenommen sind. Viele Forscher kämen zu falsch-positiven Ergebnissen oder würden ihre Bedeutung aufbauschen. Außerdem wären die Ergebnisse solcher Studien meist schwer reproduzierbar. Die Mehrheit der Untersuchungen scheitere aber vor allem daran, "einen aussagekräftigen und konsequenten Zusammenhang zwischen Hormonen und der kognitiven Funktion von Frauen herzustellen", so Leeners. Zum Beispiel wurden im Rahmen einer Untersuchung 16 Frauen über einen Zeitraum von nur einem einzigen Menstruationszyklus betrachtet. Abschließend seien die Forscher aber zu dem weitreichenden Schluss gekommen, dass Östrogen das Gedächtnis beeinflussen würde. Da sich aber schon zwei Zyklen bei menstruierenden Personen immens unterscheiden können, sind solche Untersuchungen weder reproduzierbar, noch sind ihre Ergebnisse aussagekräftig.

Leeners ging für ihre Studie jedoch noch weiter. Neben der Untersuchung über zwei Menstruationszyklen hinweg wurden Betroffene mit einer prämenstruellen dysphorischen Störung (PMDS) von der Forscherin von vornherein ausgeschlossen, um die Ergebnisse nicht zu verfälschen. PMDS ist eine ernstzunehmende Befindlichkeitsstörung, die sich in einer Reihe von affektiven, verhaltensbezogenen und somatischen Symptomen äußert und monatlich wiederkehrend im Verlauf des Menstruationszyklus auftritt. In den USA wurde die depressive Störung 2013 offiziell als klinisch anerkannte Diagnose in das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders aufgenommen. In Deutschland ist PMDS dagegen noch weitestgehend unbekannt, was auch daran liegen könnte, dass die Erkrankung nicht im ICD-10 auftaucht. Experten schätzen derweil, dass zwischen drei und acht Prozent aller Frauen davon betroffen sein könnten – allerdings ist auch diese Zahl umstritten. Wie es scheint, mangelt es an allen Ecken und Enden weiblicher Gesundheit an weitreichenden Untersuchungen.

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Die Tage der "wandernden Uteri" haben wir zum Glück schon seit Langem hinter uns gelassen. Doch die Logik, die dieser Vorstellung zugrunde liegt – dass der Körper und die Psyche von Frauen prinzipiell widerspenstig und undurchsichtig sind –, scheint sich in unserer Gesellschaft dennoch hartnäckig zu halten. Der unbeirrbare Glaube, dass die Fähigkeit von Frauen, klar zu denken, durch die hormonellen Veränderungen während der Menstruation eingeschränkt würde, hält sich nach wie vor. Dieser liege jedoch in "Sexismus und Vorurteilen" begründet, sagt Chrysler von der amerikanischen Society for Menstrual Research.

"Wenn man Frauen untergraben und es so aussehen lassen möchte, als würden sie nicht in Führungspositionen gehören, dann muss man nur sagen, dass sie instabil wären. Zu sagen, dass man sich nicht auf sie verlassen könnte, weil sie eine hormonellen Zyklus haben, erscheint vielen logisch", sagt sie. Der Großteil der Wissenschaftler seien Männer, fährt Chrysler fort. Vielleicht gibt es deswegen kaum verlässliche Untersuchungen, die sich damit beschäftigen, wie sich der hormonelle Zyklus auf kognitive Funktionen auswirkt. Leeners und ihre Kolleg_innen gingen mit ihrer neuen Studie nun den ersten Schritt in eine neue Richtung.

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