Popkultur

Profi-Skater Ryan Sheckler über sein Leben, Alkohol und die Lüge, die ihn bis heute verfolgt

Tony Hawk + Justin Bieber = Ryan Sheckler! Aber was macht es mit einem, wenn man schon als Teenager wie ein Rockstar lebt?
Der Profi-Skateboarder Ryan Sheckler posiert auf einer Treppe
Foto: bereitgestellt von Shecklers PR

Wir schreiben das Jahr 2003. Ryan Sheckler hat gerade seine erste Goldmedaille bei den X-Games gewonnen, quasi den Olympischen Spielen des Extremsports. Mit 13 ist er der jüngste Champion aller Zeiten – und wird so mit einem Schlag zum bekanntesten Skateboarder seit Tony Hawk.

In den darauffolgenden Jahren gleicht Shecklers Leben einer wilden Achterbahnfahrt. Der Teenager landet auf Magazincovern, er unterschreibt lukrative Sponsoren-Deals, er bekommt eine eigene Reality-TV-Show, er hat einen Gastauftritt in der Scooby Doo-Cartoonserie und er muss gegen seine Suchtprobleme ankämpfen.

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Heute ist Ryan Sheckler 29 Jahre alt und eher abseits des Rampenlichts unterwegs, um sein Leben neu zu ordnen. Der Celebrity-Lifestyle ist ihm inzwischen ziemlich egal, er konzentriert sich lieber wieder auf das, was ihn überhaupt erst berühmt gemacht hat: Skateboarden. Sheckler lebt in der Nähe der kalifornischen Küstenstadt San Clemente, in der er aufwuchs. Und er ist gut drauf: "Zu Hause zu sein, tut mir richtig gut", sagt Sheckler während des Skype-Gesprächs und strahlt. "Mein Leben verlief bisher ziemlich hektisch, das hier fühlt sich deshalb wie ein Urlaub an. Und deswegen bin ich hier nie wirklich weggezogen."


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"Ziemlich hektisch" ist noch milde ausgedrückt. Nach seinen Erfolgen bei den X-Games vor 16 Jahren wurde es für Sheckler sehr schnell sehr schwierig, ein normales Leben zu führen. Sein Bruder Shane sagt dazu: "Große Unternehmen wollten ihn unter Vertrag nehmen, verschiedene TV-Sender wollten ihn interviewen. Es war klar, dass das alles durch die Decke gehen würde."

Schon bald skatete Sheckler nicht nur zusammen mit den Pro-Skateboardern, die er schon sein ganzes Leben lang bewundert hatte. Er besiegte sie auch noch bei Wettbewerben.

"Plötzlich gehörte ich zu den Typen, die ich als Kind angehimmelt hatte", sagt Sheckler. "Ich war immer so nervös, dass ich fast das Heulen angefangen hätte. Dann wurde mir aber klar, wie gut ich es eigentlich fand, mich zusammenzureißen und meine Runs bei den Wettbewerben richtig durchzuplanen. Damals kam es mir so vor, als könnte mich niemand aufhalten."

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Ryan Sheckler interview 2019

Foto: PR

Skateboard-Unternehmen schicken ihre Teams regelmäßig auf Promo-Touren. Das stellte Sheckler vor neue Probleme, denn bei diesen Trips kann es schnell sehr chaotisch und wild zugehen – vielleicht nicht die besten Umstände, in denen ein 13-Jähriger aufwachsen sollte. Ein gutes Beispiel dafür ist die berüchtigte Thrasher/VICE-Show King of the Road, bei der Sheckler mit 14 teilnahm und damit in die Skateboard-Geschichte einging.

Obwohl er bei King of the Road auch mit seinen waghalsigen Tricks für offene Münder sorgte, ist es vor allem Shecklers Knutsch-Szene mit einer älteren Frau, die im Gedächtnis hängenbleibt. "Ich glaube, ich war zwölf Jahre jünger als sie", sagt der Skateboarder lachend. "Aber alle meine Freunde feuerten mich an. Und ich wollte dazugehören. Das klingt dumm, wenn ich das jetzt laut ausspreche, aber ich war halt ein Kind, das mit seinen Idolen unterwegs war. Absolut verrückt."

Shecklers gutes Aussehen sorgte zusammen mit seiner freundlich-lockeren Art dafür, dass er schnell zum Teenie-Schwarm avancierte. Genau darauf setzte MTV, als der Sender dem Skateboarder eine eigene Reality-TV-Serie anbot. Bei Life of Ryan wurde Sheckler dann in seinem Alltag von Kameras begleitet, die alles einfingen – egal ob Partys, Skateboard-Contests, Teenager-Liebe oder Familienstreits. Man kann sich das Ganze wie eine Mischung aus Viva la Bam und Keeping Up with the Kardashians vorstellen, bloß mit dem angesagtesten Skateboarder der Welt in der Hauptrolle.

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Die Serie wurde ein Hit, nach der ersten folgten noch zwei weitere Staffeln. Sheckler war plötzlich nicht mehr nur ein bekannter Skateboarder, sondern ein richtiger Celebrity. Steve Astephen, Shecklers langjähriger Manager, vergleicht ihn mit einem jungen Justin Bieber.

"Das war wie ein Bieber-Hype vor dem Bieber-Hype", sagt er. "Bei Autogrammstunden kamen regelmäßig über 2.000 Teenagerinnen, oft mussten die Einkaufszentren dicht gemacht werden. Ich kam mir vor wie damals bei den Beatles. Einmal musste sogar ein SWAT-Team für Ordnung sorgen."

"Egal wo wir waren, die Leute wollten immer Fotos mit Ryan machen", sagt Shecklers Bruder Shane. "Bei Contests warteten immer schon Hunderte Leute auf ihn. Das war total abgefahren."

Irgendwann holte der in Life of Ryan dokumentierte Party-Lifestyle Sheckler jedoch ein. Alkohol war für den Skateboarder nicht mehr nur ein lustiger Bestandteil von Hauspartys, sondern eine tägliche Notwendigkeit. Nach Jahren des heftigen Trinkens kam er mit 25 an einen Punkt, an dem der Alkohol drohte, sein Leben komplett zu bestimmen.

"Seit meinem siebten Lebensjahr habe ich quasi nur Vollgas gegeben", sagt Sheckler. "Ich wusste nicht, wie man in Maßen trinkt. Mit 18 kaufte ich mir ein Haus, in dem dann natürlich immer die Partys stattfanden. Das war einfach so. Mit 25 musste ich dann traurigerweise feststellen, dass ich meine Leidenschaft fürs Skateboarden langsam verlor, weil ich die ganze Zeit nur noch Party machen und saufen wollte. Das Ganze war so sinnlos."

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Und so entschied sich Sheckler für das in seinen Augen einzig Richtige: einen Entzug.

"Ich konnte nicht mehr und sagte meiner Familie und meinen Freunden, dass ich das jetzt machen muss", sagt Sheckler. "Ich kann mich echt glücklich schätzen, von so tollen Menschen umgeben zu sein. Ich beendete meine Tour und ging danach direkt in die Entzugsklinik. Jetzt bin ich seit vier Jahren trocken und kann mir nichts Besseres vorstellen. Mein Leben ist jetzt so viel klarer."

Dank des Neustarts kann sich Sheckler auch wieder voll aufs Skateboarden konzentrieren. Zudem hat er zu Gott gefunden und will in allen Aspekten seines Lebens als Vorbild wirken. So ist er mit seiner gemeinnützigen Organisation The Sheckler Foundation in den ganzen USA unterwegs und hat Stipendien über 10.000 Dollar an verschiedene benachteiligte Communitys verteilt. Und auch im Sport läuft es: Sheckler nimmt wieder an hochklassigen Contests teil, etwa an der aktuellsten Ausgabe der X-Games.

Als sich unser Skype-Gespräch dem Ende neigt, muss eine Frage aber noch gestellt werden: Was ist damals beim El-Toro-Gap wirklich passiert?

Zum Hintergrund: Beim berüchtigten El-Toro-Gap handelt es sich um eine riesige 20-Stufen-Treppe auf dem Gelände einer kalifornischen High School, die sich im Laufe der Jahre zu einem ikonischen Skateboard-Spot entwickelt hat. Wegen der immensen Ausmaße wurden dort nur eine Handvoll Tricks gestanden und es war in der Skateboard-Szene immer eine Sensation. Vor ein paar Jahren behauptete Sheckler dann in einem Thrasher-Interview, die Treppe mit einem Backside Kickflip bezwungen zu haben. Damit hätte er die Messlatte des Street-Skateboardens um ein gewaltiges Stück angehoben.

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Nachdem Sheckler jahrelange kein Videomaterial liefern konnte, das seine Behauptung bestätigte, gab er es schließlich zu: Er hatte den Backside Flip nie gestanden und damit gelogen. Diese Lüge sollte seine Karriere lange überschatten: "Noch nie zuvor hatte ich mich mit einer so großen Sache auseinandersetzen müssen", sagt der Skateboarder und seufzt. "Ich war noch so jung und wollte Jake [Anm. d. Red.: der inzwischen verstorbene Thrasher-Chefredakteur] bei dem Interview nicht enttäuschen. Er fragte mich immer wieder nach El Toro. Und weil ich kurz zuvor einen Backside Flip bei einer 17-Stufen-Treppe gestanden hatte, war ich mir sicher, das auch drei Stufen zusätzlich kein Problem seien."

Selbst heute zögen manche Skateboarder Sheckler wegen dieser Sache immer noch auf. "Ich finde, dass man in der Skateboard-Szene zusammenhalten sollte", sagt er. "Ich habe meine Lüge zugegeben und mich dafür entschuldigt. Ich weiß jetzt, welche Eigendynamik so etwas entwickeln kann – und ich habe seitdem nicht mehr gelogen!"

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