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Die Geschichte des genialen Bots, der aufdringliche Callcenter-Anrufe abwimmelt

Lenny ist alt, Lenny ist vergesslich, Lenny ist der Schrecken jedes Callcenters: Mit täuschend echter Stimme verwickelt der Bot nervige Werbeanrufer in absurde Gespräche.
Ein alter Mann benutzt ein Smartphone
Symbolbild: ShutterstockBild

"Hallo, hier spricht Lenny." Mit diesen Worten beginnen hunderte Mitschnitte, die die Telefonate eines sympathischen, leicht verwirrten Rentner mit verschiedenen Telemarketing-Mitarbeitenden, Vertretern oder Scammern zu dokumentieren scheinen. Was die meisten Anrufer jedoch nicht merken: Sie reden nicht mit einem vergesslichen alten Mann, dem sie ihr Produkt aufschwatzen können, sondern mit einem Chatbot.

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Ursprünglich wollte der Erfinder von Lenny nur einem Kumpel helfen: Dieser klagte über die zahlreichen Werbeanrufe, die bei seiner Firma eingingen. Darum setzte der anonyme IT-Mitarbeiter 2009 einen interaktiven Anrufbeantworter auf, den er auf den Namen Lenny taufte. Zehn Jahre später ist Chatbot Lenny zu einer Kultfigur geworden.

In einem Reddit-Post schreibt die Person, die sich als Erfinder und Sprecher von Lenny vorstellt, dass er "den schlimmsten Albtraum eines Telemarketers" schaffen wollte. Er hatte auch eine genaue Vorstellung, wie dieser Albtraum aussehen müsste: "ein einsamer alter Mann, der in Plauderlaune ist, stolz von seiner Familie erzählt und sich nicht auf das Anliegen des Werbeanrufers konzentrieren kann." Inspiration für diese Persönlichkeit soll der alte, schrullige Nachbar seines Freundes gewesen sein.

Lenny erzählt von seinen Töchtern – in der Endlosschleife

Telefongespräche mit Lenny laufen immer nach demselben Schema ab: Der Chatbot besteht aus 16 Nachrichten, die in einer bestimmten Reihenfolge abgespielt werden. Die ersten vier Sätze sollen den Anrufer ermutigen, seine Verkaufsmasche vorzutragen – die letzten 12 Sätze werden solange in der Endlosschleife gespielt, bis der Anrufer auflegt. Lenny läuft über ein interaktives Voice-Script. Das Software-Programm wartet auf Pausen von 1,5 Sekunden, um den nächsten Satz abzuspielen.

Lenny spricht mit einem australischen Akzent und extrem langsam. Während Lenny dem Anrufer anfangs scheinbar interessiert zuhört, schweift er mit seinen Antworten im Laufe des Gesprächs immer weiter ab. Irgendwann erzählt er stolz von seinen Töchtern und muss zwischendurch das Gespräch unterbrechen, um ein paar Enten zum Schweigen zu bringen, die man im Hintergrund quaken hört.

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Über die Jahre ist Lenny im Netz zu einer Art Kultfigur geworden. Der Chatbot ist über einen öffentlichen Server verfügbar, so dass jeder seine unerwünschten Werbeanrufe an ihn weiterleiten kann. Außerdem gibt es ein Subreddit, das akribisch Lennys Interaktionen mit telefonischen Vertretern und Spam-Anrufern festhält. Auch auf YouTube finden sich tausende Audioaufnahmen des Chatbots, die teilweise hunderttausendfach aufgerufen wurden. Um mehr über den Chatbot herauszufinden, haben wir mit der Person gesprochen, die Lennys Server heute betreibt, und mit einer Forscherin, die untersucht, wie effektiv Lenny als Anti-Spam-Tool ist.

Nur wenige Anrufer merken, dass sie mit einer Maschine sprechen

Lenny ist nicht der erste Chatbot, der Spam-Anrufer gnadenlos trollt. Vor Lenny gab es schon den Chatbot Asty-Crapper oder die Jolly Roger Telephone Company. Lenny ist jedoch der erste Chatbot seiner Art, den jeder kostenfrei nutzen kann.

Seit seiner Veröffentlichung 2011 hat Lenny eine treue Fanbase gewonnen. Ihr verdanken wir zahlreiche Audiomitschnitte von frustrierten Abzockern, Telemarketing-Mitarbeitern und Scammern, die manchmal bis zu einer Stunde an der Strippe bleiben, um dem nicht-existierenden alten Mann alles von Domain-Namen bis hin zu Hausnotrufsystemen zu verkaufen. Manchmal rasten die Anrufer aus, wenn sie merken, dass sie mit einer Maschine sprechen, aber erstaunlich oft beenden die Anrufer das Telefonat unter einem höflichen Vorwand.

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Die aktuelle Version von Lenny wird von einem Programmierer betrieben, der sich Mango nennt. Mango hat Lenny nicht erfunden. Er sagte gegenüber Motherboard, dass er 2013 erstmal von Lenny hörte. Kurze Zeit später ging der Server des Chatbots offline. Weil er Lenny am Leben halten wollte, nutzte Mango frühere Tonaufnahmen und schrieb einen Algorithmus zur Stimmerkennung, damit er Lenny anderen Nutzern weiterhin zur Verfügung stellen konnte.

Der Chatbot soll ältere Menschen vor Betrügern schützen

Mango sagt, dass er viel zu oft erlebt hat, dass Menschen auf Scams hereinfallen. Lenny sieht er als Möglichkeit, sich zu wehren.

"In meiner Stadt wohnen überdurchschnittlich viele Senioren", sagte Mango gegenüber Motherboard. "Ich höre gefühlt alle zwei Wochen, dass einer meiner Freunde jemandem tausende Euro in iTunes-Gutscheinen geschickt hat oder eine "Servicegebühr" bezahlt, damit ein nicht existierender Virus von seinem Computer entfernt wird – nur weil ihnen das jemand am Telefon gesagt hat."

Mango betont, dass Lenny nur genutzt werden sollte, um Werbeanrufer zu trollen, nicht um anderen Menschen Streiche zu spielen. Als er den Server für Lenny 2013 einrichtete, wurde er anfangs von Telefonstreichen überrannt, sagt Mango. Er verstehe zwar, warum Menschen Lenny nutzen wollen, um ihre Freunde reinzulegen – aber leider überlasteten die Anrufe den Server, so dass Lenny nicht gegen echte Scam-Versuche eingesetzt werden konnte.

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Seit der Server die Anrufe per Algorithmus filtert, sind die Telefonstreiche fast auf null zurückgegangen, sagt Mango. Die Zahl der legitimen Anrufe bleibt hingegen konstant: Laut Mango liegt sie bei 300 Anrufen pro Tag.

"Die meisten Anrufe sind sehr kurz", sagt Mango. "Das kann verschiedene Gründe haben. Manchmal muss man eine Nummer drücken, um durchgestellt zu werden, oder es wird nur eine automatische Werbenachricht abgespielt. Nur ein bis zwei Prozent der Anrufe dauern länger als zehn Minuten."


Auch auf Motherboard: Der Vater des Mobiltelefons


Wie effektiv ist Lenny?

Lenny ist zweifelsohne sehr beliebt, aber wie effektiv ist der Chatbot gegen telefonischen Spam und unerwünschte Werbeanrufe? Die französische Sicherheitsforscherin Merve Sahin glaubt, dass Chatbots wie Lenny Werbeanrufe und Scams weniger profitabel machen könnten, wenn sie großflächig eingesetzt würden.

Zu diesem Ergebnis kamen Sahin und ihre Kollegen Marc Relieu und Aurélien Francillon im vergangenen Jahr. Eigentlich wollten die Forschenden selbst einen Chatbot entwickeln, um Daten über Scam-Anrufe zu sammeln – dann stießen sie auf Lenny.

Sahin und ihre Kollegen verwarfen ihren ursprünglichen Plan und analysierten stattdessen fast die Hälfte der 500 Mitschnitte von Lenny, die Mango auf YouTube hochgeladen hat. Sie stellten fest, dass die Telefonate mit Lenny, die hochgeladen wurden, durchschnittlich 9 Minuten und 43 Sekunden lang sind. Obwohl einige Gespräche fast eine Stunde dauern, sind über drei Viertel der Anrufe nur zwei Minuten lang.

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Erstaunlicherweise halten 72 Prozent der von Sahin untersuchten Anrufer zwei Durchgänge von Lennys automatischen Antworten durch, bevor sie aufgaben. In nur 11 von 200 untersuchten Fällen merkten die Anrufer, das sie mit einer Maschine sprachen. Sieben weitere glaubten, dass Lenny Alzheimer oder Demenz habe und wollten mit seiner Pflegerin sprechen. "Außerdem versuchten mehrere Spammer Lenny aggressiv zu unterbrechen, indem sie 'Bitte lassen Sie das' oder 'Hören Sie mir zu' riefen oder laut in die Hände klatschten", schreiben die Forschenden.

"Technisch gesehen ist Lenny ein sehr simpler Chatbot", schrieb Sahin Motherboard in einer E-Mail. Allerdings seien Lennys Sätze sehr schlau designt.

"Jede Minute, die Scammer mit Lenny telefonieren, fehlt ihnen, um einen echten älteren Menschen abzuzocken"

Lennys Aufnahmen seien sehr flexibel, sagt Sahin, da sie für viele verschiedene Werbeanrufe verwendet werden können. Außerdem ist der virtuelle Chatbot dazu in der Lage, das Gespräch zu kontrollieren und dem Anrufer eigene Gesprächsthemen aufzuzwängen. Darum bleiben laut Sahin auch so viele Anrufer zehn Minuten oder länger in der Leitung.

Offensichtlich ist Lenny also erfolgreich darin, Telefonvertreter zu trollen, aber könnte er Werbeanrufe tatsächlich weniger profitabel machen? Wahrscheinlich nicht, meint Sahin. Selbst wenn Lenny großflächig eingesetzt würde, würden Telemarketing-Unternehmen ihre Strategien vermutlich anpassen. Vielleicht würden sie mehr automatisierte Nachrichten einsetzen, da diese günstiger als menschliche Mitarbeiter sind.

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Auch wenn Sahin Lenny nicht als Patentlösung gegen Scam-Anrufe sieht, bezeichnet sie ihn als kreative Lösung für ein komplexes Problem. Auch Mango glaubt nicht, dass sich das Problem alleine durch Chatbots lösen lässt. Er meint, die Telefonanbieter müssten mehr in die Verantwortung genommen werden.

"Die beste Lösung wäre meiner Meinung nach, wenn Regierungen die Telefonanbieter zwingen würden, Problemkunden nicht länger zu versorgen", sagt Mango. Bis das passiert, gäbe es verschiedene Möglichkeiten, gegen Scams vorzugehen: Dienste wie NoMoRobo, die verdächtige Anrufe blockieren, Aufklärungskampagnen und Chatbots wie Lenny, die die Zeit der Scammer verschwenden.

"Jede Minute, die Scammer mit Lenny telefonieren, fehlt ihnen, um einen echten älteren Menschen abzuzocken", sagt Mango. "Ich betreibe Lenny, weil ich hoffe, dass Leute, die ihre Anrufe an Lenny weiterleiten, ein paar Menschen davor bewahrt haben, zum Opfer zu werden."

In Deutschland sind sogenannte Cold Calls, also unerwünschte Werbeanrufe ohne vorherige Einwilligung zur Kontaktaufnahme, eigentlich verboten. Gern behaupten die Anrufer zwar, dass die Angerufenen ihre Einwilligung irgendwann früher gegeben hätten – zum Beispiel durch die Teilnahme an einem Gewinnspiel – doch tatsächlich stammen die Telefonnummern oft auch aus gestohlenen Datensätzen, die online kursieren. Wer Ärger mit immer wiederkehrenden Telefonmarketern hat, findet bei der Bundesnetzagentur und der Verbraucherzentrale Tipps, um die nervigen Anrufe zu unterbinden.

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Dieser Artikel ist zuerst auf der englischsprachigen Seite von Motherboard erschienen.