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Popkultur

Diese Organisation bekämpft sexuellen Missbrauch von Kindern im Internet

Sie suchen nach Missbrauchs-Material, schauen es an und lassen es löschen. Manchmal können die Analystinnen und Analysten der Internet Watch Foundation die Opfer sogar retten.
In der Internet Watch Foundation
Alle Fotos: Chris Bethell

Das Hauptquartier im Cambridge Research Park, sieben Kilometer nördlich der berühmten Universitätsstadt, sieht erstmal aus wie ein ganz normales Büro: In einer Vitrine in der Lobby stehen eine Handvoll Auszeichnungen, im Pausenraum eine Tischtennisplatte, einige haben ihre Arbeitsplätze mit billiger Weihnachtsdeko geschmückt. Wenn man aber in den Hotline-Raum der Internet Watch Foundation will, das Herzstück der Organisation, muss man eine Reihe Türen passieren und alle elektronischen Geräte in ein Schließfach legen – auch das Handy. Schließlich betätigt man eine Klingel und wartet darauf, reingebeten zu werden.

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In Anbetracht der Tätigkeit, die hier 13 mit einer Sondererlaubnis ausgestattete Analystinnen und Analysten hinter verschlossenen Türen erledigen, sind diese Sicherheitsvorkehrungen nur zu verständlich. Kurz gesagt, man will auf keinen Fall zufällig in diesen Raum spazieren und sehen, was sich dort vielleicht auf den Bildschirmen abspielt.

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Die Internet Watch Foundation (IWF) wurde am 10. Dezember 1996 gegründet. Chris, der Leiter des Hotline-Teams, gibt eine kleine Büroführung und erzählt dabei in knappen Worten die Geschichte der Organisation. Der Rundgang endet in einem Meetingraum.

Es sind zwei Jahrzehnte seit der Gründung vergangen, aber die Kernaufgabe der Internetwächter ist immer noch die gleiche: Missbrauchsdarstellungen von Minderjährigen aus dem Internet entfernen. Ihrem aktuellsten Bericht zufolge hat die Foundation 2017 knapp 80.000 URLs identifiziert, die Bildmaterial von Kindesmissbrauch enthalten. Das sind 38 Prozent mehr als die 57.335 im Jahr davor.

"Wir sind die britische Hotline für die Identifizierung, Lokalisierung und Entfernung von Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger", erklärt Chris. Die IWF sei eine von 52 oder 53 Organisationen, die diese Arbeit Weltweit erledigen. "Wir bearbeiten vor allem Hinweise aus der Bevölkerung. Privatmenschen leiten Websites und URLs an uns weiter. Wir schauen uns die Inhalte an und entscheiden, ob diese in unseren Aufgabenbereich fallen und gegen Gesetze verstoßen."

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Aber das Team begibt sich auch proaktiv auf die Suche nach solchen Inhalten. Nach zwei brutalen Morden an britischen Schulmädchen hielt der damalige Premierminister David Cameron im April 2014 eine Konferenz in der Downing Street ab. Es sollte darum gehen, was man noch mehr zum Schutz von Kindern tun kann. Seitdem haben die Analystinnen und Analysten des IWF ihre Expertise genutzt, um in den finstersten Ecken des Internet nach entsprechendem Material zu suchen und es zu entfernen.

Dank einer Absichtserklärung, auf die man sich auf Grundlage des Sexual Offences Act geeinigt hat, genießen Chris und sein gut ausgebildetes Team rechtlichen Schutz bei der Suche nach solchen Inhalten. "Sobald wir entschieden haben, dass etwas illegal ist und in unseren Aufgabenbereich fällt, teilen wir die Bilder oder Videos einer Kategorie zu", sagt er.

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Gerade als Chris beginnt, auf die einzelnen Kategorien einzugehen, öffnet sich die Tür und eine Frau tritt mit einem Tablett Sandwiches ein. Chris bricht mitten im Satz ab und wartet, bis wir wieder alleine sind. "Selbst wenn Menschen hier arbeiten, können ihnen manche Begrifflichkeiten extrem zusetzen", sagt er.

Ohne mehr als nötig ins Detail zu gehen, erklärt Chris, dass Bilder und Videos mit Missbrauchsdarstellungen in die Kategorien A, B oder C eingeordnet werden. "Inhalte der Kategorie A beinhalten die Vergewaltigung und sexuelle Folter von Kindern", sagt er trocken. "Unter B fallen sexuelle Aktivitäten mit einem Kind ohne Penetration und/oder Solo-Masturbation." Die Kategorie des niedrigsten Schweregrads ist C: anstößige Bilder von Minderjährigen.

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Sobald das Material eingeordnet ist, lokalisiert das Team mit spezieller Software und Technologie den Ort, an dem die Inhalte physisch gehostet werden. Anschließend arbeitet das Team eng mit internationalen Strafverfolgungsbehörden zusammen, die die Ermittlungen aufnehmen, und kümmert sich darum, dass das Material entfernt wird.

Seit sechseinhalb Jahren arbeitet Chris bei der IWF-Hotline. In dieser Zeit hat er online einen Anstieg von Missbrauchsdarstellungen beobachtet: "Vor allem ist das Internet mit der Zeit global zugänglicher geworden", sagt er, "und immer mehr Geräte können Bilder und Videos aufnehmen. Das allein lässt die Zahl steigen. Dazu kommt relativ neu, dass immer mehr junge Menschen eigene Smartphones besitzen. Damit machen sie Bilder und Videos von sich selbst und teilen diese mit vermeintlich vertrauenswürdigen Partnern oder Freunden. Aber auch diese Bilder stehen irgendwann im Netz."

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Alle vier Minuten bewerteten IWF-Analysten 2017 eine Website; alle sieben Minuten zeigte diese Website den sexuellen Missbrauch eines Kindes. Um sicherzustellen, dass die Personen an vorderster Front die psychische Wucht, die das Gesehene auslösen kann, nicht alleine meistern müssen, hat die Organisation einige Schutzmaßen eingebaut.

Ein Arbeitstag bei der Hotline dauert siebeneinhalb Stunden, Pausen können bei Bedarf jederzeit genommen werden. Alle Mitarbeitenden müssen mindestens eine therapeutische Sprechstunde pro Monat in Anspruch nehmen.

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"Es hinterlässt seine Spuren, es ist ein harter Job", sagt Analyst Henri*, der sich zu uns in den Meetingraum gesetzt hat. "Auch wenn wir im Team alle sehr verschieden sind, ist unsere gemeinsame Stärke unsere Widerstandsfähigkeit. Wir sehen, dass die Inhalte furchtbar sind, aber wir wissen auch, dass wir damit klarkommen und weitermachen können." Er vergleicht die Arbeit mit der eines Feuerwehrmanns, einer Ärztin oder eines Pflegers in der Notaufnahme. Es sei unangenehm und schmerzvoll, aber man könne lernen, damit umzugehen.

Mit einem Background in Kriminal- und Rechtspsychologie ist Henri vor elf Monaten zur Internet Watch Foundation gestoßen. Nachdem er eine Zeit lang im akademischen Rahmen zu sexuellem Missbrauch von Kindern geforscht hatte, habe er das Bedürfnis verspürt, praktisch etwas dagegen unternehmen zu wollen.

"Es gibt bestimmte Darstellungen, die man sehr oft sieht", sagt Henri. "Offenbar werden bestimmte Bilder und Videos von Pädophilen besonders gerne geteilt. Etwas, das ich nur schwer loswerde, ist, dass du den Kindern fast beim Aufwachsen zusehen kannst. Eines Tages siehst du ein Kind vielleicht mit fünf Jahren, am nächsten Tag ist es 13 oder 14, dann 16 oder 17. Es ist eine furchtbare Vorstellung, dass sie in ihrem Leben so lange missbraucht wurden. Ich habe eine Weile gebraucht, um damit klarzukommen."

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Natürlich, macht Henri klar, wolle man am liebsten in den Bildschirm greifen und sie retten. "Das Beste, was wir allerdings tun können, ist, die Angelegenheit umfassend zu untersuchen und die Inhalte entfernen zu lassen. Damit lässt sich vermeiden, dass Betroffene erneut zu Opfern werden. Natürlich hofft man, dass sie eines Tages gerettet werden." Wenn Henri und seine Kolleginnen und Kollegen auf illegale Inhalte stoßen, schauen sie penibel nach Hinweisen, die auf die Identität des Kindes oder des Täters schließen lassen. Das kann manchmal zur Rettung eines Kindes führen.

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"Wir hatten vor Kurzem einen Fall, bei dem einer unserer Analysten auf ein Video gestoßen ist", sagt Henri. "Auch wenn vieles, was wir sehen, recycletes Material ist, gibt es immer wieder neue Bilder und Videos." Besagtes Video enthielt Aufnahmen eines zwölfjährigen Mädchens. Es stellte sich heraus, dass sie Britin war. Mithilfe seiner Expertise konnte der Analyst mehrere Details ausmachen. "Er leitete den Bericht an die National Crime Agency weiter, wie wir es mit allen Fällen tun", sagt Henri und zum ersten Mal zeichnet sich auf seinem Gesicht so etwas wie ein Lächeln ab. "Sie konnten eingreifen und das Mädchen nur wenige Tage später vor weiterem Missbrauch retten."

Genau aus diesem Grund ist es so wichtig, dass die Bevölkerung entsprechende Inhalte bei der Organisation meldet. Eine vergleichbare Organisation gibt es in Deutschland nicht. Entsprechende Funde gibt man hier am besten ans Bundeskriminalamt oder die Online-Wachen der örtlichen Polizei weiter. Das IWF-Meldeformular ist allerdings weltweit nutzbar. 2017 allein meldete die britische Öffentlichkeit knapp 60.000 verdächtige Bilder oder Videos bei der IWF. Bei über 35 Prozent handelte es sich tatsächlich um illegale Missbrauchsdarstellungen von Minderjährigen.

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Die größte Hürde für viele Menschen bleibt, dass sie nicht wissen, wie und was sie melden sollen. "Für uns ist es sehr hilfreich, wenn wir Inhalte zugesandt bekommen", sagt Henri. "Es ist wichtig, dass du uns entsprechendes Material meldest, wenn du darauf stößt – bei uns geht das anonym. Wir benötigen keine Kontaktdetails, auch wenn wir dich ermutigen, sie bei uns zu hinterlassen, falls du eine Rückmeldung bekommen willst. Diese eine Meldung – selbst, wenn du nur durch einen unglücklichen Zufall darüber gestolpert bist – rettet vielleicht ein Kind vor sexuellem Missbrauch."

Auf keinen Fall will die Internet Watch Foundation, dass du dich selbstständig auf die Suche nach solchem Material machst. Das wäre illegal. Wenn du allerdings zufällig auf Inhalte stößt, die den Missbrauch Minderjähriger darstellen könnten, dann solltest du sie melden, bevor du das Tab wieder schließt. Wer weiß, wohin das führt.

*Name geändert.

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