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Musik

Patti Smith im Interview: „Wir Frauen müssen uns immer mehr beweisen“

Patti Smith ist eine der einflussreichsten Rock'n'Roll-Musikerinnen der Geschichte und „Godmother of Punk“. Wir haben uns erklären lassen, warum man aufhören sollte Kompromisse einzugehen.
Foto: imago | ZUMA Press

Patti Smith wollte nie Sängerin sein, dennoch ist sie heute eine der einflussreichsten Rock'n'Roll-Musikerinnen der Geschichte und Punk-Ikone. Die US-Amerikanerin sieht sich selbst jedoch eher als Lyrikerin, Poetin, Schriftstellerin und Malerin, sagt sie. Aber mit Schubladendenken und lahmen Berufsbezeichnungen kommt man bei Smith sowieso nicht weit: Sie ist eine Künstlerin, die mit fast 70 Jahren noch immer für ihre Arbeit brennt, sich nicht scheut, ständig Neues auszuprobieren und gerade deshalb auch für junge Generationen immer noch spannend ist.

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Im Rahmen der Viennale war sie in Wien zu Gast, um ihre Fotoausstellung „28 Photographs", die noch bis 10. November im Metrokino in Wien zu sehen ist, zu eröffnen. Wir haben sie zum Interview getroffen und mit ihr über Fotografie, das Außenseiterdasein, Diskriminierung und Hass im Internet gesprochen.

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Broadly: Fotografie war neben der Musik immer ein Teil deines Lebens: Was bedeutet dir die Fotografie—auch im Bezug auf die Ausstellung „28 Photographs", die jetzt im Rahmen der Viennale gezeigt wird?
Patti Smith: Ich bin in einer sehr rohen, mittelständischen Umwelt aufgewachsen. Da war alles sehr einfach, sehr schlicht. Es gab keine Cafés, Museen, Galerien oder so. Deshalb fing ich an, mir die Dinge und Menschen zusammenzusuchen, die mich inspirierten und ästhetisch forderten: Und zwar durch Modezeitschriften. Ich war ein junges Mädchen in den 50er-Jahren und Menschen haben ihre Vogues und Bazaars weggeworfen. Dadurch kam ich in Kontakt mit Irving Penn. Die Art, wie damals Haute Couture fotografiert wurde, fand ich beeindruckend. Und die viktorianische Fotografie fand ich auch immer schon sehr anziehend! In einer Bibliothek habe ich mal ein Buch mit Bildern von Juliet Margaret Cameron gefunden. Dadurch habe ich gelernt, dass es da draußen noch eine ganz andere Welt gibt—nicht nur die, die ich immer zu sehen bekam.

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Und wie bist du dann zur Fotografie gekommen?
Ich habe zwar immer schon fotografiert, aber seit dem Tod meines Mannes habe ich wirklich viele Fotos gemacht. Ich hatte zwei kleine Kinder und er war die Liebe meines Lebens. Als er starb, war ich am Boden zerstört, ich wollte aber trotzdem arbeiten. Zu dieser Zeit war ich emotional nicht in der Lage, irgendwas zu schreiben, zu malen oder zu performen. Ich lebte sehr zurückgezogen. Mein Mann hatte diese alte Polaroid-Kamera und eines Tages habe ich ein bisschen damit experimentiert, ich machte ein Foto und das machte mich glücklich. An diesem Tag hatte ich etwas geschaffen. Ich habe dann täglich fotografiert. Als ich wieder gesünder wurde und wieder auf Tour gehen konnte, habe ich angefangen, richtig zu fotografieren. Aber ich war nie daran interessiert, eine Fotografin zu sein. Ich wollte einfach Bilder von Dingen machen, die mich faszinierten. Das erfüllte mich. Beim Fotografieren habe ich sehr einfache Ziele. Erstens, dass mir das Bild gefällt und dann noch, dass jemand beim Betrachten das Gefühl hat, sich dieses Bild über den Schreibtisch hängen zu wollen.

Wenn man Künstler oder Aktivist sein will, muss man gewisse Opfer bringen. Du wirst ausgelacht, man wird auf dich herabsehen, dich missverstehen.

Was hältst du von Fotoplattformen wie Instagram und der Selbstdarstellung auf Social Media? Wie wirkt sich das auf Künstler aus?
Ich finde, dass jedes Werkzeug, wenn man es als solches betrachtet, seine Berechtigung hat. Aber wenn man zum Sklaven seines Werkzeugs wird, ist man nicht mehr der Meister. Wenn Menschen Sklaven ihrer Handys werden, wenn sie süchtig nach Social Media werden und sich nur noch darum kümmern, wie viele Likes sie bekommen, dann ist das gefährlich. Social Media ist ein völlig neues Feld, vor allem für mich. Aber es ist auch ein großartiger Weg, um politische oder soziale Probleme zu thematisieren und die eigene Kunst einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Es ist nur wichtig, dass man es gemäßigt verwendet und sich genau überlegt, welche Informationen man teilen will. Es gibt so viele Arschlöcher da draußen und klar, jeder darf seine Meinung frei sagen, aber diese Freiheit geht auch mit Verantwortung einher. Nur weil ich die Freiheit habe, alles sagen zu dürfen, heißt das ja auch nicht, dass ich zu irgendjemandem hingehe und ihn beschimpfe, nur, weil ich es theoretisch könnte.

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Im Internet gibt es so viel hirnloses, respektloses Gelaber, so viel Hass. Meine Tochter hat ebenfalls eine Website und äußert sich in manchen Beiträgen politisch, dafür wird sie manchmal extrem angefeindet. In solchen Situationen kommt sie zu mir und ist richtig fertig, weil Menschen so gemeine Sachen zu ihr sagen. Ich versuche dann ihr klarzumachen, dass es einen Unterschied zwischen konstruktiver Kritik und hirnlosem Beschimpfen gibt. Von Arschlöchern darf man sich nicht einschüchtern lassen. Solche Leute können einem nur leidtun.

Wenn du an die Zeit zurück denkst, als die Punk-Bewegung für große, soziale Umbrüche gesorgt hat: Glaubst du, dass diese Kraft immer noch in dieser Musikrichtung schlummert?
Ich glaube, viele Bewegungen gehen von den Menschen aus und ich drücke dem keinen Stempel auf. Nenne es, wie du willst. Manche Aspekte von Punk-Rock haben dazu geführt, dass sich gewisse Veränderungen abzeichneten, manche Aspekte haben gar nichts bewirkt. Am Ende sind die Menschen für sozialen Wandel verantwortlich: Musik, eine Einstellung oder eine Szene können sie vielleicht dazu inspirieren, etwas verändern zu wollen, aber am Ende sind es die Menschen. Ich bin aber keine Soziologin und deshalb nicht geeignet, solche Fragen zu beantworten, glaube ich. Ich mache einfach das, was ich mache. Ich meine, als wir damals Musik, Texte oder Bilder gemacht haben, haben wir ja auch nicht gedacht, „Oh, wir machen jetzt eine krasse Punk-Rock-Bewegung!" Wir haben einfach unsere Arbeit getan.

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Hattest du eigentlich nie Angst, Fehler zu machen?
Performen hat sich für mich immer sehr natürlich angefühlt. Ich bin wenig analytisch. Ich bin zwar sehr selbstkritisch, aber ich wollte nie eine Rock'n'Roll-Sängerin werden, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Ich wollte einfach schreiben und dann wollte ich malen. Ich fühle mich einfach wohl auf der Bühne und mit anderen Künstlern. Aber weißt du was? Ich habe mehr Angst, auf eine Dinnerparty mit Menschen zu gehen, die ich nicht kenne, als vor 100.000 Menschen aufzutreten.

Wurdest du im Laufe deiner Karriere jemals diskriminiert? Für dein Aussehen, deine Art zu Leben, deinen Job, deine Lebensentscheidungen?
Damit wurde ich mein ganzes Leben konfrontiert. Ich war in den 50ern sehr anders als die meisten Mädchen. Der Look der Mädchen damals war sehr aufwendig, sie machten sich die Haare zum Beehive hoch, man war stark geschminkt. Und ich? Ich trug Zöpfe und habe mich für sowas nicht wirklich interessiert. Das Einzige, was mich interessiert hat, waren Bücher, das Schreiben und neue Dinge zu lernen. Ich war immer schon eher ein Außenseiter. Aber ich habe immer geglaubt, dass, wenn man Künstler, Musiker, Schriftsteller oder Aktivist sein will, muss man eben gewisse Opfer bringen. Du wirst vielleicht ausgelacht, man wird auf dich herabsehen, dich missverstehen. Aber ich habe das schon sehr früh verstanden und deshalb habe ich mich damit abgefunden. Aber ja, eine Frau in den frühen 70ern zu sein, war wirklich nicht einfach. Aber es ist ganz egal, was man mit dem eigenen Leben anstellen will: Wir Frauen müssen uns immer mehr beweisen.

Immer noch?
Ja. Das macht uns aber härter. Im Endeffekt kommt es nur darauf an, dass du dich entscheidest, was du in deinem Leben tun willst. Wenn du für deine Arbeit brennst und großartige Arbeit leisten willst, dann muss dir sowas scheißegal sein. Ich kümmere mich nicht darum, ob die Menschen es gut finden, wie ich mich anziehe oder ob ich nicht in ihr Weltbild passe. Meine Musik wurde aus dem Radio verbannt, sie haben meine Alben nicht verkauft, mich boykottiert. Ich habe alles durchgemacht, was man sich nur vorstellen kann. Aber es war nicht mein Ziel, beliebt, reich und berühmt zu sein. Wenn es trotzdem passiert ist, dann ja, cool, ich nehme das gerne an. Aber mein Ziel war immer, gute Arbeit zu machen. Wenn du dieses Ziel immer verfolgst und keine Kompromisse eingehst, dann zahlt es sich aus.

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