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Justiz

Für deutsche Richter sind Drumsticks offenbar eine größere Bedrohung als Nazisymbole

Eine Umweltaktivistin trommelt im Hambacher Forst. Ein Neonazi zeigt den Hitlergruß und greift einen Polizisten an. Na, wer wird härter bestraft?
Collage: imago | Science Photo Library || imago | Michael Trammer

Das Demonstrationsrecht ist eine große Errungenschaft unserer Demokratie. Egal ob für getötete Kampfhunde oder gegen Chemtrails: Du kannst dein Anliegen auf die Straße tragen – solange du keine volksverhetzenden Gesten zeigst oder die öffentliche Sicherheit gefährdest. Verstößt du gegen diese Regeln, kannst du vor Gericht landen. Daran, was dann mit dir passiert, lässt sich ablesen, wie unterschiedlich die Justiz solche Regeln auslegt. Das zeigen zwei aktuelle Urteile, die fassungslos machen.

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Der erste Fall spielt im Hambacher Forst, einem Naturschutzgebiet zwischen Köln und der holländischen Grenze, in dem der Energieriese RWE Braunkohle abbauen will. Seit Monaten demonstrierten Umweltaktivistinnen und -aktivisten gegen die Abholzung des Waldes. Im Moment eskaliert dieser Konflikt. Bereits im März sollen einige Demonstrierende Böller in Richtung von Polizisten geworfen haben. Bei den Auseinandersetzungen verhafteten die Beamten eine 23-jährige Frau. Nicht etwa, weil sie sich direkt an den Auseinandersetzungen beteiligt hätte. Sie habe die Aktionen vielmehr "trommelnd unterstützt", sagte ein Sprecher nach dem Urteil.

Im August sprach das Amtsgericht Kerpen das Urteil: neun Monate ohne Bewährung wegen Landfriedensbruchs und Beihilfe zur versuchten gefährlichen Körperverletzung. Der Richter sagte, die Strafe solle einen "generalpräventiven Charakter" haben, also Nachahmer abschrecken.

Der zweite Fall ist nur etwas mehr als zwei Wochen her. Er gehört zu der fremdenfeindlichen Kundgebung Ende August in Chemnitz. Zu der Demonstration mit mehreren tausend Teilnehmern hatten Neonazi-Parteien wie die NPD und Der III. Weg aufgerufen. Sie skandierten rechtsextreme Parolen ("Deutschland den Deutschen, Ausländer raus"), riefen zur Gewalt auf ("Für jeden toten Deutschen ein toter Ausländer") und streckten den Arm zum Hitlergruß. Die Geste steht unter Strafe, niemand darf sich in Deutschland als Fan von Adolf Hitler outen. Ein 33-Jähriger hatte genau das getan. Doch nicht nur das: Der Mann, der als Fußball-Hooligan gilt und mehrfach vorbestraft ist, soll nach einem Polizisten geschlagen haben. Am Donnerstag sprach das Amtsgericht Chemnitz den Mann per Eilverfahren schuldig. Das Urteil: acht Monaten auf Bewährung.

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Vorsicht bei der nächsten Trommel-Demo!

Man muss kein ausgewiesener Jura-Nerd sein, um den Eindruck zu bekommen, dass die Urteile ein ziemlich schräges Licht auf den deutschen Rechtsstaat werfen. Offenbar halten Gerichte eine trommelnde Umweltaktivistin für ein größeres Problem als gewaltbereite Neonazis. Die Fälle erinnern an zwei Urteile aus Dresden von 2013. Damals verurteilte das Amtsgericht einen 36-jährigen Antifaschisten zu einem Jahr und zehn Monaten Freiheitsstrafe, weil er gegen eine Neonazi-Demonstration protestiert und sich der Staatsgewalt widersetzt hatte. Zeitgleich wurden fünf führende Köpfe der rechtsextremen Gruppierung "Sturm 34" wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt.

Wenn du das nächste Mal mit einer Trommel protestieren willst, mach dich also darauf gefasst, dass ein Gericht deinen Aktivismus als perkussives Anstacheln zum Werfen von Feuerwerkskörpern werten könnte. Damit landet man natürlich zu Recht im Kittchen.

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