Auch auf VICE: Hahnrupfen in Brandenburg
Das überrascht mich, um völlig ehrlich zu sein, kein bisschen. Eine Buchinger-Familienfeier fühlt sich nicht selten an wie ein streng geheimes Treffen der Mafia – meine Verwandten bestechen gerne und oft. Etwa, damit Bauarbeiter ein bisschen flinker arbeiten oder sie in einem vollen Restaurant schneller als alle anderen Gäste bedient werden.
Dunkel erinnere ich mich daran, wie mein Vater meinem Fahrlehrer, der immer besonders laut mit mir schrie, wenn ich die Geschwindigkeitsbeschränkungen wie so oft als "Vorschläge" wahrnahm, ein kleines "Trinkgeld" zusteckte. Danach war er immer um einiges freundlicher zu mir.Und auf Rat meines Nachbarn nahm ich mir vor, es ihnen allen gleichzutun.Motiviert, Schweigegeld zu zahlen als wäre ich Donald Trump und die Werber Pornodarstellerin Stormy Daniels, ging ich bereits am nächsten Morgen durch die Gasse und verteilte 20-Euro-Scheine an jede Person, die mir ein Spendenabo andrehen wollte. Ich hatte nur eine Bedingung: Sie sollten mich von nun an bitte einfach ignorieren. Und siehe da, seitdem habe auch ich meine Ruhe. Manchmal wird mir allerhöchstens kollegial zugenickt, als wäre ich ein freundliches Hausgespenst, das gerade seine Runden dreht.Ich mache mich auf den Weg in die nächste Bank, holte so viele 20-Euro-Scheine, als würde ich im Anschluss einen Stripclub besuchen, und stürzte mich in mein bislang korruptestes Selbstexperiment.
Tag 1 – Bestechen kann so leicht sein
"Na klar, kein Problem!", sagt sie, noch bevor es dazu kommen kann, und verschwindet wieder in der Küche. Was soll das denn bitte? Ich wollte sie doch bestechen! Das Frühstück wird serviert und schmeckt nach Enttäuschung. Dass man in diesem Etablissement nur nett fragen muss, um die Regeln brechen zu dürfen, erzürnt mich zutiefst.Hier muss man nur nett nachfragen, um die Regeln zu brechen – ich bin erzürnt.
Tag 2 – Ich werde mutiger
Durch meine bisherigen Erfolge fühle ich mich bereits so machttrunken wie ein Größenwahnsinniger, ein "Nein!" als Antwort akzeptiere ich einfach nicht mehr. Zuhause angekommen versuche ich mich an einer neuen Form der Bestechung, die mir außerhalb dieses waghalsigen Experiments nie und nimmer einfallen würde.Ich suche mir den Pressekontakt der Modekette raus und verfasse eine Mail, für die ich mich rückblickend betrachtet mehr schäme als für meinen Vokuhila in Jugendjahren. "Hallo! Ich bin Influencer und habe 70.000 Follower auf Instagram!", leite ich ein und runde dabei ein bisschen auf. "Ich hätte sooo gerne euren ausverkauften Pulli – lässt sich da vielleicht was machen?", hake ich nach."Ich bin Influencer und habe 70.000 Follower auf Instagram! Ich hätte sooo gerne euren ausverkauften Pulli – lässt sich da vielleicht was machen?"
Tag 3 – All in bei der Influcencer-Masche
Anders als bei meinem Pulli-Komplott möchte ich es dieses Mal nicht über die Pressestelle probieren. Ich bin mir sicher, dass ich mittlerweile so mächtig wirke, dass sämtliche Angestellte nur eingeschüchtert zittern und mir jeden Wunsch sofort erfüllen werden.Ich fühle mich machtloser als der "Vorher"-Mann in einer Viagra-Werbung und ziehe geknickt von dannen.
Tag 4 – Königsdiziplin: Mit Bestechung Freunden helfen
Laura, die mittlerweile bestimmt vermutet, dass ich Mitglied der Mafia bin und den Hauseigentümer im Ozean ertränken werde, stellt nicht allzu viele Fragen und führt mich vor ihr zukünftiges Wohnhaus, wo Dutzende Bauarbeiter gerade ihr Mittagessen zu sich nehmen und es mit reichlich Bier runter spülen. Perfekt! Ich nehme all meinen Mut zusammen, suche mir das –– meines Erachtens nach – schwächste Glied der Gruppe aus und schildere ihm unsere Situation."Mir und meiner Freundin wäre sehr geholfen, wenn wir kurz in die Wohnung schauen könnten!", sage ich und werfe einen verstohlenen Blick auf meine linke Hand, in der ich bereits einen 20-Euro-Schein halte. Der Bauarbeiter nimmt ihn wortlos und macht eine einladende Geste mit seinen Armen wie ein freundlicher Restaurant-Besitzer, der uns in seinem Etablissement willkommen heißt.Meine Freundin schaut mich an als kenne ich ein großes Geheimnis, das ihr bislang unbekannt war. Und das tue ich auch: Die Menschen sind käuflich!
Tag 5 – Im Wartezimmer beim Arzt geht der Versuch nach hinten los
Aber hatte ich Erfolg? Durchaus! Vier von sechs Bestechungen haben astrein hingehauen. Vor allem Menschen aus Berufsfeldern, denen, wie ich behaupten würde, ohnehin ein leicht dubioser Ruf vorauseilt – Taxifahrer und Bauarbeiter – waren mehr als bereit, auf mein Angebot einzusteigen.Angestellte, denen man die bevorzugte Behandlung vermutlich hätte nachweisen können – die Ticketverkäuferin und die Arztgehilfin – ließen mich aber schneller abblitzen als die meisten meiner früheren Dates, nachdem ich ihnen nur ein paar meiner Kuscheltiere vorgestellt hatte.Werde ich in Zukunft hier und da auf Bestechung zurückgreifen? Ganz ehrlich: Ich glaube nicht. Abgesehen davon, dass es sich wahnsinnig unangenehm anfühlte, diese zwielichtigen Angebote zu machen und ich dabei jedes Mal Angst hatte, von einem Undercover SWAT-Team überrascht und zu Boden gedrückt zu werden, habe ich auch leider keinen unerschöpflich vollen Geldspeicher an 20-Euro-Scheinen, die ich frivol verschenken kann, wie Oprah das mit Autos tut.Aber wenn es mal wirklich wichtig ist, weiß ich nun – wie viele Österreicher der älteren Generation –, auf welche suspekten Methoden ich zurückgreifen muss, um meinen Willen durchzusetzen. Herr Rupp wird stolz auf mich sein.Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.Ich habe jedes Mal Angst, von einem Undercover SWAT-Team überrascht und zu Boden gedrückt zu werden.