Ich schäme mich, ein Bayer zu sein
Collage bestehend aus: Söder: imago | Sven Simon || Allgäu: pixabay | CC0

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Ich schäme mich, ein Bayer zu sein

Sexismus, Zensur, Kruzifixe, Ausgrenzung von psychisch Kranken und Hetze gegen Flüchtlinge – ich will mit meinem Bundesland nichts mehr zu tun haben.

Mit Identitäten ist es so eine Sache. Sie sind Konstrukte aus der eigenen Persönlichkeit, Erfahrungen und Erziehung, die über Jahre hinweg in uns wachsen und reifen. Sie entstehen aber auch dadurch wie andere uns wahrnehmen, uns in Schubladen stecken, damit sie sich besser in der Welt orientieren können. Wir können das Label auf diesen Schubladen annehmen oder ablehnen, stolz auf sie sein oder uns dafür schämen.

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Wenn wir stolz auf sie sind, posaunen wir sie gerne hinaus, nennen uns vielleicht Patrioten, tragen ein Shirt mit Aufdruck oder sprechen extra gern mit Dialekt. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wird Teil unserer Selbstinszenierung. Ich bin aber Teil einer Gruppe, die mir unangenehm ist, die ich versuche, zu verbergen, wenn ich neue Leute außerhalb meiner Heimat kennenlerne. Ich bin ein Bayer. Und zunehmend schäme ich mich dafür.

Ich sitze gern nach der Arbeit in einem Münchner Biergarten, während im Hintergrund die Blasmusik spielt. Ich weiß, wie es in einem Kuhstall riecht und war mit 14 im Schützenverein. Letzteres erfüllt mich vielleicht nicht mit Stolz, aber so geht’s halt zu bei uns auf dem Land.

Was für viele Menschen seltsam wirken mag, empfinde ich als kulturelle Eigenarten. Die lassen sich halt prima verarschen, haha, haben wir alle gelacht – und uns dann für's Oktoberfest verabredet.

Wofür ich mich als Bayer wirklich schäme, das ist die CSU. Die Partei sieht sich als Vertreterin aller Bayern: Sie führt die Landesfarben Weiß und Blau im Parteilogo und schmückt sich mit dem Staatswappen, dem bayerischen Löwen. Sie knüpft damit an das bayerische Adelsgeschlecht der Wittelsbacher an, das Bayern bis 1918 fast 800 Jahre lang beherrschte. Das ist ein unmissverständliches Signal: Bayern, das ist die CSU; die CSU ist Bayern.

Ich schäme mich für den bayerischen Absolutismus

Sich dem als Bayer zu entziehen ist außerhalb Bayerns fast unmöglich. Selbst wenn man nicht weißbiersaufend in Tracht im ICE von München nach Berlin fährt. Ich habe während meiner Auslandssemester in Großbritannien über CSU-Politik diskutieren müssen. Bin ich in Düsseldorf, Hamburg oder Berlin, fühlen sich Leute berufen, mir zu erklären, wie beschissen sie die CSU eigentlich finden. Sie sagen CSU und meinen Bayern, weil beides so untrennbar miteinander verknüpft ist. Mindestens muss ich ihnen erklären, dass ich selbst eine tiefe Abneigung gegenüber diesem CSU-Bayern empfinde. Und ich kann es den Leuten noch nicht einmal übel nehmen.

Denn die CSU, ihre Politik und ihr Personal, sind schändlich. Wenn Innenminister Horst Seehofer über die Bundeskanzlerin sagt, er könne mit dieser Frau nicht mehr arbeiten, dann schäme ich mich für den unterschwelligen Sexismus, der da zum Vorschein kommt. Von der Feigheit, hinterher nicht zum Gesagten zu stehen, ganz zu schweigen. So sei das Zitat nicht gefallen, bemühten sie sich in München um Schadensbegrenzung.

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Über die Verachtung für das Grundgesetz, die CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zum Ausdruck bringt, wenn er allen ernstes wegen ein paar geschmackloser Zeilen in einem Rap-Text die Kunstfreiheit einschränken will, möchte ich im Boden versinken. Er kommt aus einem Freistaat, sein Bayern trägt die Freiheit im Namen. Wenn er bei seinen Interviews die Arme vor der Brust verschränkt und die "konservative Revolution" fordert, dann wirkt es eher so: Freiheit gibt es nur für ihn und seinesgleichen, der Rest hat sich gefälligst anzupassen.

Diese Verachtung für die Werte des Grundgesetzes und der bayerischen Verfassung ist tief verwurzelt in der CSU. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zeigt sie, wenn er in allen bayerischen Staatsbehörden Kruzifixe aufhängen lässt. Erst recht schäme ich mich für seine Verachtung für uns alle, wenn er hinterher in den Tagesthemen erklärt, ein Kreuz (!) sei kein Symbol für eine Religion, sondern für die Kultur. Für wie dumm hält er uns eigentlich?

Nun sagen Politiker und Politikerinnen gerne mal Dinge, die sie nicht so gemeint haben wollen oder versuchen, sich mit symbolbehafteten Schnellschüssen als besonders tatkräftig zu inszenieren. Die lösen zwar Fremdschamattacken aus, bringen mich aber nicht dazu, meine bayerische Identität unter den Biertisch fallen zu lassen.

Aber beim CSU-Personal fängt mein Problem ja erst an. Die CSU erging sich schon immer in einer maßlosen Arroganz. Die äußert sich in der Selbstverständlichkeit, mit der die Partei einfordert, jede politische Entscheidung müsse auch in München abgesegnet werden. Gut ablesbar ist das an der aktuellen Forderung aus der Parteispitze, nach Abschluss der Meseberger Gespräche zwischen Merkel und Emmanuel Macron nun den Koalitionsausschuss einzuberufen. Es sei keineswegs entschieden, ob die CSU die Beschlüsse der beiden mittrage, heißt es aus München. Und weil es nicht reicht, der eigenen Regierungschefin immer wieder in den Rücken zu fallen, tritt Seehofer nach: "Es ist kein guter Stil, wenn man solch wichtige Vereinbarungen trifft und die CSU nicht beteiligt." Die Chuzpe muss man erstmal haben. Seehofer, der die Kanzlerin auf offener Parteitagsbühne schon wie ein Schulkind gemaßregelt hat, und seine Partei sind von gutem Stil so weit entfernt, wie das Selbstverständnis der Partei von ihrer tatsächlichen Bedeutung in der Bundespolitik.

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Hier kommt eine überzogene Selbstherrlichkeit zum Ausdruck, die mir das Bayer-sein verleidet. Die CSU kann nur in Bayern gewählt werden. Das bedeutet, dass sie auch nur in Bayern abgewählt werden kann. Wer außerhalb Bayerns wohnt, hat keine Möglichkeit, sich mit demokratischen Mitteln gegen den bayerischen Provinzialismus der CSU zu wehren. Kein anderes Bundesland kann so viel Einfluss nehmen auf die Berliner Politik. Statt sich konstruktiv am politischen Prozess zu beteiligen, empfindet die CSU das als Aufforderung, sich immer wieder quer zu stellen. Stromtrassen vom bundesrepublikanischen Norden nach Süden? Nicht in unserem Hinterhof. Reform des Asylgesetzes, eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag? Will die CSU nicht. Stattdessen liefert sie unsägliche Gerede vom "Asyltourismus", das bei einer Mehrheit der deutschen Wähler auch noch verfängt.

Das ist nicht mehr sehr weit weg von einem absolutistischen Herrschaftsverständnis. "L’état, c'est moi", meinte der französische Sonnenkönig. In Bayern heißt es selbstgefällig "L’état, ce sommes nous": Mia san mia.

Da kommen keine Missverständnisse auf

Besonders beschämend aber ist: In all ihrer Selbstüberschätzung, ihrer Überheblichkeit und Arroganz ist die CSU ganz offensichtlich nicht fähig, selbstbewusst in den Landtagswahlkampf gegen eine dunkelbraune Partei zu ziehen. Getrieben von der Angst um die absolute Mehrheit – ein Demokratieverständnis, das außerhalb von Bayern kaum vermittelbar ist – ergeht sich die CSU nun in hysterischem Geschrei gegen Geflüchtete. Sie will Ankerzentren schaffen, in denen Asylbewerber nur schwer Zugang zu Rechtsbeistand haben werden, und nennt sich gleichzeitig Verteidigerin der Rechtsstaatlichkeit. Sie übernimmt AfD-Rhetorik und Positionen, statt die Menschen in Bayern mit einem christlich-liberal-konservativen Politikangebot überzeugen zu wollen. Es ist eine Partei, die unfähig ist, den eigenen Wählern zu erklären, warum die sie wählen sollten.

Also wird Wahlkampf in Bayern eben in Berlin gemacht, und weil es für die CSU nichts Wichtigeres gibt als Bayern und die absolute Mehrheit, wird der Rest der Republik völlig selbstverständlich in Geiselhaft genommen. Die wirklichen Themen, etwa den Pflegenotstand und Flächenfraß, schlecht ausgerüstete Feuerwehren und sozialer Wohnungsbau, haben sie stattdessen liegen gelassen. Mit den eigenen Missständen lässt sich eben schlecht hausieren gehen. Da schaffen sie im sichersten Bundesland lieber einen Polizeistaat, der beinahe psychisch Kranke weggesperrt hätte.

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Mit dem Vorschlaghammer auf das Projekt Europa

Selbst das ließe sich als Bayer noch verschmerzen, schließlich profitiere ich unmittelbar davon, dass die Bayern in Deutschland einen scheinbar gottgegebenen Sonderstatus genießen. Frei nach dem Motto "Don't hate the player, hate the game" könnte ich mir ein Weißbier einschenken und die Sonne am weiß-blauen Himmel genießen. Aber in unserer Welt geht es nicht mehr nur um Bayern und auch nicht um Deutschland. Es geht um viel Größeres. Auf dem Spiel steht unsere europäische Friedensordnung, jenes Projekt, das aus einem Kontinent, der sich Jahrhunderte lang selbst zerfleischte, eine Sphäre von gemeinsamen Werten, gegenseitigem Respekt, Freundschaft und Wohlstand gemacht hat.

Doch statt am europäischen Projekt weiterzuarbeiten, sägen sie lieber am Ast auf dem wir alle sitzen. Sie glauben allen Ernstes, dass nationale Alleingänge in Zeiten von Trump, der seine Politik unter das Motto "Wir gegen die" stellt, ein probates Mittel sind. Statt die Hand anzunehmen, die Macron den Deutschen hingestreckt hat, hofieren sie mit Viktor Orbán und Sebastian Kurz ausgewiesene Feinde Europas. Sie riskieren lieber den Zerfall einer Regierung, an deren acht-monatigen Geburtswehen sie unmittelbar beteiligt waren, als sich unterzuordnen unter eine großartige Idee, von der sie selbst über alle Maßen profitiert haben.

Als Bayer, der eigentlich ganz gern in Bayern lebt, schließlich habe ich dort Freunde, Familie und im Sommer die wunderschön klaren Seen im Voralpenland, kann ich nur um Verzeihung bitten. Diese Gurkentruppe schlägt mit einem Vorschlaghammer auf das europäische Projekt ein, in der Hoffnung auf ein paar Prozentpunkte am rechten Rand. Die Verantwortung für die Folgen werden sie nicht übernehmen. Ich werde sie im Oktober nicht wählen. Aber viele Bayern werden das – und können so das Leben von 350 Millionen Europäern beeinflussen. Also, bitte zerkratzt mir nicht den Lack, wenn wir demnächst für die Fahrt zum Gardasee wieder stundenlang am Brenner nebeneinander warten müssen. Aber eure Wut kann ich verstehen.

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