Ein Mann steigt in einen Privatjet
Fotos: Yasmin Nickel
Kunst

Ich bin nach Monaco geflogen, um zu verstehen, warum reiche Menschen Kunst sammeln

Antworten fand ich im Privatjet, bei einer Essensschlacht und am Roulette-Tisch – ein 36-Stunden-Trip in ein Paralleluniversum.

Köche schneiden dicke Scheiben von einem gigantischen Kochschinken con Pistacchio, Gäste schaufeln flüssigen Gorgonzola auf ihre Teller. An den Handgelenken glänzen Uhren von Patek Philippe und Hublot. Es riecht nach Spanferkel. Ein Champagnerglas fällt zu Boden, "Mazel tov!". Dann erklingt ein Cello und die Performance beginnt.

Eine Frau in Netzstrümpfen robbt über einen Laufsteg und stopft sich Kuchen in den Ausschnitt ihres transparenten Shirts. Um sie herum stehen Hunderte Zuschauer, filmen verzückt mit ihren Smartphones.

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"Ich verstehe es nicht", sagt ein Kellner.

Ich auch nicht.

Aber deswegen bin ich ja hier. Bei einer Kunstperformance im Fürstentum Monaco, die mich an ein römisches Gelage erinnert.

Ich bin hier, um den Kunstmarkt zu verstehen. Ich wollte herausfinden, ob die Welt von Kunstsammlern wirklich so durchgeknallt ist, wie man es erwartet, also so, wie in diesem Moment. Oder ist sie doch viel unaufgeregter, hat das alles hier einen guten Grund, einen Sinn?

Also bin ich mit Sammlern in einen Privatjet gestiegen und zu einer Kunstmesse nach Monte Carlo geflogen.


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Wahrscheinlich wäre die Art Basel das klassische Ziel für eine Forschungsexpedition in die Kunstwelt. Aber die Art Basel hat keinen Privatjet gestellt, ein Mitarbeiter der Kunstmesse Artmonte-Carlo allerdings schon. Also leihe ich mir einen Anzug und fahre Ende April zum Flughafen Berlin-Schönefeld, General Aviation Terminal, wo die weißlackierten Maschinen starten und es ausreicht, eine Viertelstunde vor Abflug einzutreffen. Nach einem kumpelhaften Sicherheitscheck tritt man vom suiteähnlichen Gate auf das Vorfeld und überbrückt die 20 Meter zur wartenden Bombardier Challenger 300 zu Fuß. Als würde man in ein sehr teures Taxi steigen.

Mit an Bord steigen der PR-Direktor eines Champagnerherstellers, zwei weitere Journalisten und vier Kunstsammler.

Markus Hannebauer: Erst Arbeiten, dann Kunst sammeln, dann Urlaub machen

Als die Bombardier gerade ihre Reiseflughöhe erreicht, sagt der Kunstsammler Markus Hannebauer, mit dem ich nun Rücken an Rücken in cremefarbenen Ledersessel sitze: "Darf ich mal kurz angeben? Seite eins Kultur!". Er reicht den Tagesspiegel herum. Seine aktuelle Ausstellung, Videoarbeiten von Guido van der Werve, kommt gut an. Drei Jahre lang hat der Software-Unternehmer Hannebauer einen Teil des ehemaligen Hauptquartiers der US-Armee in Berlin umbauen lassen und anschließend auf den Namen "Fluentum" getauft. Die Sammlerfreunde gratulieren zum Erfolg. Eine Genugtuung nach so viel Arbeit, sagt er, seine Lebensgefährtin nickt zustimmend. Wenn er übers Kunstsammeln spricht, greift er zu Wörtern, die in einem Privatjet weit weg erscheinen: Anstrengung, Leiden, Arbeit.

Eine Frau und ein Mann steigen aus einem Privatjet

Von Privatjet bis Easyjet: Markus Hannebauer und seiner Lebensgefährtin sind alle Verkehrsmittel recht, wenn sie zu Kunstmessen reisen

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Schon klar, das könne man sich in dieser Umgebung vielleicht nicht vorstellen, sagt Hannebauer, 43, in frisch gebügeltem grauen Hemd und Jeans. Aber Sammler seien oft pragmatische Typen. Genau wie er. Er müsse viel tun, um informiert zu bleiben: Künstler, Kuratoren und Galeristen treffen, sich belesen und auch mal mit Easyjet zur Art Basel fliegen, wenn das gerade die praktikabelste Lösung ist. Erst dann mache er Urlaub. "Wir fliegen ja nicht einfach nach Monaco zum Einkaufen. Manchen Künstlern folgt man ein paar Jahre, bevor man sie kauft." Das sei nunmal so, weil für ihn Kunst keine Dekoration, Investition oder nur ein Zeitvertreib ist, sondern Leidenschaft. Und dafür leide er gerne.

Hannebauer sammelt seit neun Jahren Videokunst, besitzt Werke von 50 verschiedenen Künstlern. "Ein Künstler hat im Medium Film viel mehr Möglichkeiten, einem Werk Tiefe und Komplexität zu geben", sagt er. Hannebauer würde sich selbst wohl so nicht bezeichnen, aber innerhalb der Kunstwelt ist ein Sammler von Videokunst ein Avantgardist. Ein Nerd.

Videokunst ist nichts Greifbares, kein Bild, das man sich an die Wand hängt, und keine Skulptur, die man sich in ein Loft stellt. Nichts zum Angeben. Man kann die Werke kopieren, nie gehören sie einem ganz. Oft werden sie sogar in Auflagen von drei bis fünf Stück herausgegeben – schlecht, um am Kunstmarkt schnelles Geld zu machen. Videokunst verkauft sich nicht gut. Nur bei sehr bekannten Künstlern wie dem Amerikaner Bill Viola gehen Arbeiten sechsstellig weg.

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All das, sagt Markus Hannebauer, sei ihm egal. Oder es sei gerade das, was er an Videokunst mag.

Wenn es mehrere Kopien einer Videoarbeit gibt, können sie auch mehr Menschen sehen. Gut für den Künstler. Leuchtet ein. Um den Künstler, das sagt Hannebauer immer wieder, dreht sich bei ihm quasi alles. Als Produzent finanziert er schon mal einzelne Arbeiten vorab, die sonst vielleicht nie entstehen würden. "Ich will nichts elitär Unergründliches machen, sondern ich will, dass möglichst viele Leute einen Zugang zu den Arbeiten finden", sagt er. Man darf ihm das ruhig glauben. Auf seiner eigenen Ausstellung kann man auf einem Flyer nachlesen, was die Videos zeigen sollen. Zum Beispiel: Der Künstler läuft zehn Minuten lang vor einem Eisbrecher her. Was erklärt das? Das komplizierten Dreiecksverhältnis von Mensch, Maschine und Natur. Dasselbe könnte man über unsere Privatjet-Reisegruppe sagen.

"Lunchexkursion" zwischen Baustellen und Oligarchenjachten

"Sehen Sie mal, diese tolle Wolke!" sagt jetzt der Kunstsammler Mario von Kelterborn, der rechts von Hannebauer sitzt. Er deutet auf eine verirrte Wolke, die sich fast kreisrund vom blauen Himmel abhebt. "Foto!" ruft jemand und für eine Weile betrachten alle das Gebilde, als habe ein Surrealist es vor unsere Fenster gemalt.

Wären Sie denn eigentlich auch gerne Künstler? "Nein, ich würde mal sagen, ein Arzt will auch nicht krank werden", antwortet die Kulturjournalistin Daghild Bartels, stellvertretend für die mitreisenden Sammler. Mit dieser Antwort scheinen alle zufrieden. Nächste Frage: Sammeln Sie eigentlich auch Autos? Das sei im Gegensatz zu Kunst nicht besonders schwer, sagt Bartels: "Ich kenne Leute die genug Geld hätten, um sich eine schöne Kunstsammlung aufzubauen. Aber da trauen sie sich nicht ran. Weil sie keine Ahnung haben. Aber sie haben eine Autosammlung."

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Rolls Royce

Baustelle neben Luxusauto – das Salz und Pfeffer Monte Carlos

An die französische Riviera passen beide Hobbys, denke ich, als unter uns das Cap Ferrat auftaucht. Im Pool des Club Dauphin an der Südspitze sollen schon Picasso, Paul McCartney und Ralph Lauren geplanscht haben. Erstaunlich, diese Côte d’Azur. Selbst wenn man auf sie herabblickt, fühlt man sich klein.

Vom Flughafen Nizza sollen wir unsere "Lunchexkursion", so nennt das ein Mitreisender, mit dem Hubschrauber fortsetzen. Aber wegen unberechenbarer Auf- und Abwinde legen wir die halbe Stunde bis Monte Carlo bürgerlich im Mercedes-Shuttle zurück.

Auf der Terrasse des Grimaldi Forums gibt es die erste Weißweinschorle des Tages, sehr gute Mac&Cheese, in diesem Fall mit Trüffeln, und ein unerwartetes Panorama. Mein Blick sollte jetzt das Mittelmeer streifen. Stattdessen knallt er an eine fünf Meter hohe Wand. Jemand hat sie mit einem Foto des Horizonts beklebt, um zu verbergen, was dahinter abgeht: Arbeiter zementieren einen neuen Stadtteil ins Mittelmeer, nach Plänen Renzo Pianos. In Monte Carlo koexistieren Glamour und Trash mit Kim Kardashian-gleicher Selbstverständlichkeit. Dafür wäre die Exklusivität dieses Bauzauns Beweis genug. Sicher bin ich mir aber, als sich die "Dilbar", eine Oligarchenjacht, 156 Meter lang, von rechts in das monegassische Stilleben schiebt.

Panorama Monaco

Wer genau hinschaut, entdeckt hinter der gigantischen Fototapete eine Jacht

Ein Stockwerk unter mir, auf der Ausstellungsfläche, sprechen die Messebesucher über Preise.

Grundkurs Kunstmarkt: Wie die Preise von Kunstwerken entstehen

"Na, schon zugeschlagen?", fragt mich Fabien Vallerian, fast, als würde er das ernst meinen. Der 38-Jährige saß auch im Flugzeug. Valerian vertritt einen Champagnerhersteller und tingelt im Jahr auf bis zu 25 Kunstmessen herum. "Einige gute Namen hier", sagt er, und meint Galerien wie Perotain, 303 und White Cube, mit ein wenig Übertreibung die Googles, Apples, Amazons der Kunstwelt. 40 Aussteller bieten zeitgenössische Kunst in allen Formaten an, aber auch einen Picasso, für den Fall der Fälle. Ein Bild von Edward Munch geht später für 2,5 Millionen Euro weg. Mario von Kelterborn, 49, der mit der Wolke, kommt dazu. Zu dritt spazieren wir über die Messe. Auch er sammelt Videokunst. Von Kelterborn kombiniert Sportsakko und Jeans mit grellen Sneakern, er ist eindeutig als Kunstmessen-Stammgast erkennbar. Und deshalb wusste er, was er hier zu sehen bekommen wird.

Artmonte-Carlo

"Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor irgendetwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können." – Christoph Schlingensief

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Die Galerien informieren die Sammler vor den Messen, was sie mitbringen werden und was das kosten wird. Reservieren ist möglich. Also muss man nur der Erste sein? Nein, komplizierter, sagt von Kelterborn. "Es kommt drauf an, wer du bist und wie sicher sie sich sind, dass du es auch wirklich kaufen wirst." – "Und ob sie dich als Sammler gewinnen wollen", ergänzt Vallerian. Wenn ein Typ wie der Maler Neo Rauch nur fünf Werke pro Jahr macht, die pro Stück bis zu einer Million Dollar kosten, sei es für die Galerien schon besser, wenn jemand gleich alle kauft. Die Galeristinnen und Galeristen warten nicht in erster Linie auf Enthusiasten wie Hannebauer und von Kelterborn. Sie warten auf die Menschen mit der Autosammlung. Und auf Investoren.

Monte Carlo

Teurer als es aussieht: Skulptur auf der Kunstmesse, Wohnungen in Monte Carlo

90 Prozent der Sammler sind Investoren, also eigentlich gar keine Sammler, hatte mir Daghild Bartels im Flugzeug gesagt. "Die verscheuern das Zeug nach drei Jahren wieder." Bartels hat dafür kein Verständnis. Eine riesige Skulptur von Jeff Koons für 60 Millionen Dollar zu ersteigern, um sie dann ein paar Jahre in eine Lagerhalle zu packen, das sei Quatsch. Da waren sich im Flugzeug alle einig.

Von Kelterborn bleibt vor der Bleistiftzeichnung einer nackten Frau stehen.

"Für irgendeinen Menschen bedeutet dieses Bild die Welt", sagt er. Aber wenn dieser Mensch das wieder verkaufen will, müsse er erstmal jemanden finden, der das zufällig genauso sieht. Meistens zahle man also drauf. Autos landen irgendwann auf dem Schrottplatz, "Kunst bleibt", sagt er. Wenig später laufen wir an einer Skulptur vorbei. Zwei zusammengeschweißte Öltonnen auf Gummistiefeln. "Das ist zum Beispiel ganz nett", sagt er. "Rope, steel, rubber" beschreibt ein Schild die verwendeten Materialien. Ob Investoren darin ein gutes Investment sehen? Schwer zu sagen.

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Kunst in Monte Carlo

Kunstsammler tragen oft bunte Turnschuhe, Kunstwerke – hier von Roman Signer – manchmal lieber Gummistiefel

Wie entsteht ein Kunstpreis? Was steigert den Marktwert eines Künstlers? Im Grunde sind es die Sammler selbst. Ihr Verlangen bestimmt den Preis. Kauft ein berühmter Sammler ein Werk, steigert das den Wert des Künstlers. Auch gut: Wenn seine Kunst auf einer wichtigen Messe gezeigt wird. Aber auch Berater können den Markt künstlich anheizen, hatte mir Daghild Bartels im Flugzeug gesteckt. Ich müsse nur mal in Basel über die Messe laufen und zuhören, wenn da Berater mit sogenannten Sammlern sprechen. Zwei Sätze werden fallen: "Dieser Künstler hat großes Potential nach oben." Und: "Er ist unterbewertet." Was die Sammler zu Hause hängen haben, sagt mir keiner. Die wären auch schön blöd. Alleine schon, weil dann die Versicherungskosten für die Werke steigen.

"Den meisten Sammlern geht's nicht ums Investment", sagt Vallerian.

"Außer du bist in Asien", grätscht von Kelterborn dazwischen, "da geht's nur ums Investment."

Auf dem chinesischen Markt begeistert ein Kunstwerk erst dann, wenn es über eine Million Dollar kostet. Und Milliardäre kaufen das Zeug wie blöd, wenn es chinesisch ist und teuer. Das reicht.
"Ach, hab ich's mir doch gedacht!", ruft jetzt von Kelterborn. "Wenn überhaupt was da ist, dann ein Bill Viola!"

Er hat die einzige Videoarbeit der ganzen Messe gefunden und dann auch noch vom teuersten Videokünstler, den es gibt. Ein Großeinkauf wird das für Mario von Kelterborn und Markus Hannebauer heute dennoch nicht. Weil jetzt, zweieinhalb Stunden nach unserer Ankunft, ihr Fahrer für den Rückweg zum Privatjet wartet. "Lunchexkursion."

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Artmonte-Carlo

Links: Fußgängerbrücke – Aluminium, Stahl, Wellblech (Stadt Monte Carlo). Rechts: Kunstinstallation – Aluminium, Stoff (Jason Dodge)

Auf dem Weg zum Hotel laufe ich an Designer-Boutiquen und an Rolls Royce, Ferraris, Maseratis vorbei. Einige warten noch hinter Schaufenstern auf Käufer, andere quälen sich schon im Baustellenverkehr die Grand-Prix-Strecke bergauf. Als würden Teilnehmer der Gumball 3000-Rallye im Schritttempo eine Freiluft-Mall für Superreiche durchqueren.

Ich finde das nicht schön, weil das nicht meine Welt ist. Aber ich verstehe, dass die, die sich hierher zurückziehen, um unter ihresgleichen zu sein, sich wohlfühlen.

So wie in Berlin-Neukölln keiner doof kuckt, wenn man Brötchen im Pyjama holt, ist Monte Carlo einer der wenigen Orte, an denen man sie ungestört mit dem Maserati holen kann. Ein abgeschlossener Kosmos, in dem man sich eigentlich nicht über Events wundern sollte, wie die "performative Soirée", die für 20:30 Uhr auf meinem Tagesprogramm angekündigt ist.

Wenn man nicht weiß, ob die Künstlerin eine Performance macht, oder das Publikum

Am Abend bin ich im "Riva-Tunnel", einer zur Eventlocation umgebauten Jachthalle, eingeladen. Am Eingang kommt mir eine Frau mit Mia-Wallace-Haarschnitt und Brautschleier entgegen. Deep House hallt von den hohen Decken wieder. Über den Köpfen Hunderter Gäste reihen sich italienische Speedboote, zum Stückpreis von einer halben Million Euro. Auf einem Laufsteg thront eine lange Dinnertafel. Darauf Obst, Gemüse, ein übergroßer, grünroter Fischkopf aus undefinierbarem Material (ich erfahre später, es handelt sich um Kuchen) und eine Art Vulkan (auch Kuchen) stapeln sich darauf. Gleich soll hier eine Performance der Künstlerin Zoe Williams stattfinden.

Zoe Williams – Raffles

Eine Installation von Zoe Williams, von Expertinnen in ihre Eizelteile zerlegt

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Ein halbes Dutzend Frauen in schwarzen Business-Outfits haben um die Tafel Platz genommen. Die Künstlerin schenkt ihnen Champagner ein, zuerst in kleine Keramik-Gefäße, irgendwann direkt in die Münder. Als eine der Performerinnen mit einer Weintraube nach mir wirft und eine andere einen Rettich felationiert, ahne ich, dass das hier kein Familienabendessen wird. Eine Frau, die neben mir im Publikum steht und so viele Armreife trägt, dass sie aussehen, wie eine silberne Ritterrüstung, raunt ihrem Begleiter zu, er könne froh sein, nicht seinen besten Anzug angezogen zu haben. Sie soll Recht behalten.

Als die Orgie vorbei ist und der Boden klebt, geht eine Zuschauerin in blauem Pelz zum Buffet, tunkt eine Erdbeere in flüssige Schokolade und steckt sie zwischen ihre rot geschminkten Lippen. Wer ist hier eigentlich der Performer? Die Künstlerinnen? Oder die Besucher?

Zoe Williams Performance im Riva Tunnel

"Künstler sind Leute, die etwas tun, für das sich andere Leute schämen würden." – Georg Baselitz

Ich bin verstört. Und gut unterhalten. Ich kann mich nicht entscheiden. Ein Fünfjähriger, er trägt einen besseren Anzug als ich, schießt Essensreste durch den Raum. Zeit, ins Casino zu gehen.

In Kunst zu investieren, ist manchmal wie Roulette-Spielen

An einem Roulette-Tisch sitzen zwei Chinesen, die wie Buchhändler aussehen, und verspielen stoisch im Dreiminutentakt 100 Euro, stiernackige Briten brüllen einander an, und ich muss an den Kunstmarkt denken. Die einen setzen immer auf Schwarz oder Rot, fast eine 50-50 Gewinnchance, die sichere Nummer. Andere setzen auf viele einzelne Zahlen – ein höheres Risiko, aber die Gewinne entsprächen einem Vielfachen ihres Einsatzes. Und dann ist da dieser Spieler an einem Tisch gleich am Eingang. Er schnippt seinen letzten Hunderteurochip aus der Hand und lässt ihn über das Feld rollen, damit der sich selbst eine Zahl sucht. Einfach nur aus Spaß. Wäre Markus Hannebauer nicht schon wieder in Berlin, würde ich ihn fragen, welcher Spieler er ist – wahrscheinlich gar keiner.

Am Tag danach auf der Terrasse des Nikki Beach, einer Poolbar, die es in ihrer rundgelutschten Langweiligkeit noch an zwölf anderen sogenannten Jetset-Orten gibt. Ein überaus gutaussehender Mitarbeiter hat mich gerade sehr freundlich gebeten, mein Hemd nicht in den Sonnenschirm zu hängen, damit es den anderen Gästen nicht das Instagram-Panorama verhagle. Bei einem 12-Euro-Corona denke ich zuerst darüber nach, wie viel Euro davon wohl die Limette im Flaschenhals kostet, und dann über den gestrigen Abend.

Es gibt Sammelnde, die brauchen das Spektakel. Eine Performance wie die vom letzten Abend. Ob die uns nur den Spiegel vorhalten sollte, konnte oder wollte mir niemand beantworten. Vielleicht ist das auch egal. Jemand wie Markus Hannebauer braucht das Spektakel offensichtlich nicht, um sich für Kunst zu begeistern – weil es für ihn eben eine Leidenschaft ist. Und so wundere ich mich im Nachhinein auch nicht mehr über das, was er mir bei unserer letzten Begegnung am Tag davor gesagt hatte.

Ich hatte ihn getroffen, kurz bevor er zurück zum Flugzeug musste – nach seinem zweieinhalbstündigen Kurzbesuch. Gekauft hatte er nichts, es gab ja kaum Videokunst. Ob er enttäuscht sei, fragte ich. "Nein", sagte Hannebauer. "Der Ausflug hat sich sehr gelohnt."

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