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"Mittelfinger an die Massenüberwachung": Das steckt hinter der wohl privatesten SIM-Karte der Welt

Anonym auf dem Handy surfen, ohne Spuren zu hinterlassen: Eine neue SIM-Karte lässt euch nur über das Tor-Netzwerk ins Internet. Doch die Sache hat einen Haken.
SS
Übersetzt von Sandra Sauerteig
Mittelfinger vor einer SIM-Karte
Bild: Shutterstock | Suphaksorn Thongwongboo | revenaif | Bearbeitung: Motherboard

Wir nutzen alle ständig unsere Smartphones und geben dabei oft mehr über unsere Person und unseren Standort preis, als uns lieb ist. Wer nicht verraten möchte, welche Websites oder sozialen Netzwerke er besucht, kann seine IP-Adresse aber beispielsweise über das Tor-Netzwerk verschleiern.

Mit der passenden App ist es heute relativ einfach, Tor auch auf dem Mobiltelefon zu verwenden. Allerdings sind diese Apps normalerweise für Surfen über Webbrowser ausgelegt und sind nicht für andere Apps wie etwa Instagram, die nach wie vor deine IP-Adresse preisgeben könnten.

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Die britische Firma Brass Horn Communications testet deshalb gerade eine SIM-Karte, die jeglichen vom Smartphone ausgehenden Datenverkehr blocken soll, der nicht über das Tor-Netzwerk geleitet werden kann.

"Damit zeigen wir der Massenüberwachung den Mittelfinger", sagt Gareth Llewelyn, der Gründer von Brass Horn Communications, gegenüber Motherboard. Brass Horn ist ein gemeinnütziger Internetanbieter, der sich für Privatsphäre und gegen Überwachung einsetzt.

Die Anonymisierungssoftware Tor und das dazugehörige Netzwerk wird von Freiwilligen betrieben. Wenn jemand Tor auf dem Computer oder Smartphone nutzt, wird sein Traffic über verschiedene Knotenpunkte im Netzwerk geleitet, bevor er sein Ziel erreicht. So können Website-Betreiber nicht direkt sehen, wer ihre Seite besucht – sie können nur sehen, dass sich jemand über Tor verbunden hat. Die meisten Menschen nutzen Tor über das Tor Browser Bundle für den Desktop oder mit der Orbot-App für Android.

Doch in einigen Fällen können selbst diese Programme nicht hundertprozentig garantieren, dass der gesamte Traffic deines Geräts komplett durch Tor getunnelt wird. Wenn beispielsweise das Tor Browser Bundle auf deinem Laptop läuft und du dann zu einer anderen App wechselt, verbindet sich diese wahrscheinlich nicht über Tor mit dem Internet. Dasselbe kann passieren, wenn Orbot auf einer älteren Android-Version installiert ist. Nathan Freitas vom Orbot-Betreiber The Guardian Project sagt, dass man erst bei neueren Android-Versionen einstellen kann, dass dein Smartphone nur Daten überträgt, wenn Orbot oder ein anderer bestimmter VPN-Dienst aktiviert ist.

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Die SIM-Karte von Brass Horn soll weitere Lücken schließen, die bei anderen Tor-Lösungen noch bestehen. Laut Llewelyn soll die SIM-Karte "fehlersicher" sein. "Wenn du Tor nicht aktiviert hast, gelangen keine Daten ins Internet", sagt er. Die Kehrseite der Medaille: Telefonieren kann man mit der Daten-SIM auch nicht, weil sie sich nicht in Funkzellen einwählt.

Brass Horn bietet seinen Kundinnen und Kunden bereits jetzt einen Tor-basierten Internetzugang an, der es der Organisation unmöglich macht, den Browser-Verlauf von Kunden aufzuzeichnen. Damit umgeht Brass Horn ein Gesetz zur Massenüberwachung, das vor zwei Jahren in Großbritannien erlassen wurde, den Investigatory Powers Act 2016. Dieser verpflichtet Internetanbieter unter anderem dazu, Browsing-Daten der Kundschaft zwölf Monate lang zu speichern.

Um die neue SIM-Karte zu nutzen, die sich momentan noch in der Beta-Testphase befindet, muss man zuerst einen neuen Access Point auf dem Gerät einrichten, damit eine Verbindung zum Netzwerk hergestellt werden kann, und die App Orbot installieren. Momentan funktioniert die SIM-Karte nur Großbritannien.

Auch Freitas von The Guardian Project hält die Tor-SIM-Karte für eine gute Idee: "Aus technischer Perspektive ist das der richtige Ansatz: Man tunnelt nicht automatisch alle Verbindungen durch Tor, sondern verhindert einfach, dass Traffic, der nicht über Tor läuft, nach draußen sickert. Leider funktioniert das nur über mobile Datendienste und nicht über Wi-Fi."

Freitas weist ebenfalls darauf hin, dass wahrscheinlich nicht alle Apps mit der Tor-SIM-Karte verwendet werden können – Twitter beispielsweise könnte Nutzer blockieren, weil sie die Tor-Verbindung als verdächtige Aktivität einstufen könnten. Doch für alle, die ihren Datenverkehr und ihre Bewegungen absolut privat halten wollen, könnte die SIM-Karte von Brass Horn eines Tages nützlich sein.

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Dieser Artikel ist zuerst auf der englischsprachigen Seite von Motherboard erschienen.