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Sex

Das kannst du von Schweizer Sexologie-Studenten über Sex lernen

"Gerade für Frauen ist die Erkundung des Innenraums der Scheide zentral."
Alle Fotos zur Verfügung gestellt

Im vergangenen Jahr haben sich in der Schweiz rund 11.000 Menschen mit Chlamydien angesteckt. Trotz der steigenden Zahlen von Geschlechtskrankheiten, bleibt Sex eine der besten Beschäftigungen der Welt. Manche Leute interessieren sich so sehr dafür, dass sie über Sex zu sprechen zu ihrem Beruf machen. Das hört sich erst einmal nach einem vermeintlich frechen Mädelsabend mit Cosmopolitans an, geschieht seit 2015 aber auf einer wissenschaftlichen Ebene.

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Seitdem kannst du dich in der Schweiz im Masterstudiengang zum Sexologen ausbilden lassen. Dass sexuelle Gesundheit und damit auch das grösstmögliche Wohlbefinden im sexuellen Bereich wichtig ist, anerkannte auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Auf ihrer Website schreibt sie zum Thema: "Sexuelle Gesundheit ist untrennbar mit Gesundheit insgesamt, mit Wohlbefinden und Lebensqualität verbunden." Oder etwas weniger formell: Ohne Gesundheit kein Spass. So liegen angehende Sexologen mit ihrer Berufswahl, was die Zukunft angeht, goldrichtig. Wir haben uns mit vier von Ihnen über die wichtigsten Learnings aus ihrem Studium und über ihr Sexleben unterhalten.

Lorena, 34

VICE: Hast du durch dein Studium ein besseres Sexleben als der Durchschnitt?
Lorena: Wir führen im Studium Tagebuch über unseren Sexualisierungsprozess und gehen auch in die Beratung. Dadurch habe ich eine differenziertere Wahrnehmung meines eigenen Körpers und von der Art und Weise, wie ich meine Erregung steigere. So kann ich auch mehr Vielfalt in mein Sexleben bringen.

Wie kann man die Erregung steigern, wenn man nicht als Sexologie-Student immatrikuliert ist?
Der erste Schritt ist merken, was man selbst macht: Wie ist meine Muskelspannung, wie bewege ich mich während dem Sex, während der Selbstbefriedigung. Schon so einfache Dinge wie die Bewegung des Beckens können bei der Erregungssteigerung viel ausmachen. Je näher man zum Orgasmus kommt, desto gepresster wird die Atmung bei vielen Menschen. Man kann dann einmal versuchen, tiefer und intensiver zu atmen.

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Welches Learning aus dem Studium war am überraschendsten für dich?
Dass es klare Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt. Das zeigt sich schon bei Kids: Buben spielen gerne mit Pistolen und Schwertern. Bei meinem eigenen Sohn habe ich mich gegen diese Art von Spielzeug gewehrt, im Studium habe ich aber gemerkt, dass seine Freude daran auch etwas mit dem männlichen Geschlecht zu tun hat. Buben erleben sich in phallischen Spielen in ihrer Kraft und Potenz. Männer müssen im Geschlechtsverkehr körperlich mehr "arbeiten". Das war mir vor dem Studium nicht bewusst.

Was müssen Schweizer punkto Sex dazulernen?
Diese Unlust unter Paaren, die man gerne mit gemeinsamen Herumexperimentieren zu überwinden versucht: Diese "Experimentitis" mit Peitschen oder Erotikadventskalender wird oft überbewertet. Man spricht oft über die Beziehung und die Dynamik, wenig über den Körper. Sich auf eine Berührung einlassen ist eine körperliche Aktivität, die oft vergessen geht. Es geht um aktive Aufmerksamkeit.

Und was sollten wir alle generell über Sex wissen?
Gerade für Frauen ist die Erkundung des Innenraums der Scheide zentral. Eine gute Übung, zum Beispiel bei der Masturbation ist, dass man da mit den Fingern auf Besuch geht und das auch mehrmals macht. Für Lernschritte sind Wiederholungen extrem wichtig. Nur so kann das ein Ort werden, mit dem man sich vertraut fühlt. Die Wahrnehmung dieses Innenraums ist sehr wichtig für die Sexualität der Frau.

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Stefanie, 32

VICE: Von welchem Learning aus deinem Studium können wir alle profitieren?
Stefanie: Dass man lernen kann, wie und wann man zum Orgasmus kommt. Und dass man den vaginalen Innenraum wahrnehmen kann. Die Vagina ist keine Körperöffnung, an der sich der Partner "bedient". Sie kann mit Hilfe des Beckenbodens einen Penis (oder was sie denn möchte) holen und in sich aufnehmen. Dass die Frau mit ihrem Geschlecht aktiv sein und "erobern" kann, gibt ein anderes Gefühl des Frau-Seins.

Hast du durch dein Studium ein besseres Sexleben als der Durchschnittsmensch?
Das hatte ich schon vorher (lacht). Nein, eher ein bewussteres Sexleben als der Durchschnitt.

Was würdest du den Schweizerinnen und Schweizern für ihr Sexleben auf den Weg geben?
Lernt, über Sexualität zu sprechen und die eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Durch das Studium merke ich, dass das für viele eine Herausforderung ist. Wenn andere Menschen merken, dass ich über Sexualität spreche wie über jedes andere Fachthema auch, machen sie grosse Augen oder sind peinlich berührt. Irgendwo ist das nachvollziehbar, denn Sexualität hat immer noch diesen tabuisierten Stellenwert in der Gesellschaft.

Was sollten wir beim Sex nicht mehr machen?
Vergessen, auf das Gegenüber zu achten. Wir leben in einer narzisstischen Zeit. Es gibt immer noch Männer, die das Gefühl haben, wenn sie gekommen sind, ist die Frau auch befriedigt. Und Frauen, die die Verantwortung für ihre Befriedigung passiv den Männern übertragen. Für Frauen und Männer gilt: Orgasmen zu faken ist keine gute Idee. Stellt besser die Frage "Kann ich dir zeigen, wie ich es besonders gerne mag?"

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Auch bei VICE: Sexological Bodywork in Zürich


Michael, 39

VICE: Hat deine Studienrichtung dein Sexleben positiv beeinflusst?
Michael: Sowohl als auch. Ich habe gelernt, dass nur ich selbst für meine Erregung und meinen Höhepunkt verantwortlich bin. Dadurch bin ich deutlich gelassener geworden. Aber solche Prozesse sind auch für eine Partnerschaft eine Herausforderung, da das zwangsläufig Veränderung mit sich bringt.

Wie hat das deine Partnerschaft herausgefordert?
Man kann den anderen nicht ändern. Man kann nur hoffen, dass der andere auch einen Entwicklungsschritt macht.

Was war denn eine Herausforderung im Studium?
Sich in aller Offenheit und sehr persönlich mit Studienkolleginnen über sexuelle Themen zu unterhalten. Über die eigene Selbstbefriedigung zu sprechen oder über Dinge wie: Werde ich begehrt? Werde ich geliebt? Bin ich attraktiv? Das kann sehr emotional sein. Auch sich stetig mit dem eigenen Sexualisierungsprozess auseinanderzusetzen ist manchmal anstrengend. Oft genug hat man keinen Bock darauf, muss es aber trotzdem tun.

Thema MeToo: Was müssen Männer über Consent beim Sex lernen?
Das ist ein gutes und heikles Thema. Viele Männer haben Schwächen und Schwierigkeiten, nonverbale Signale von Frauen zu deuten. Es geht um Selbst- und Fremdwahrnehmung, die man schulen muss. Auch Männer müssen überlegen, wie sie die Diskussion vorantreiben können, wo die Grenze zwischen misslungenem Witz, Flirtversuch und Übergriff liegt. Diese Debatte bietet Chance, diese Graustufen auch zu benennen.

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Wie erkenne ich, ob mein Gegenüber Sex mit mir will?
Es geht eher darum, vorher die Situation zu erspüren. Wenn man in der Bar ist: Schaut die Frau zu mir rüber? Hält sie Blickkontakt? Und so weiter. Erst wenn das steht, kommen eventuell die eindeutigen Signale. Bis zu: "OK, wir wollen miteinander vögeln." Deswegen wären auch Flirtseminare und das Lesen von Körpersignalen für Männer spannend. Da herrscht bei einigen Nachholbedarf.

Laura, 32

VICE: Hat deine Studienrichtung dein Sexleben positiv beeinflusst?
Laura: Ja, vor allem meine eigene Sexualität. Ich beschäftige mich mehr mit mir und meinem Körper und habe einen besseren Bezug zu mir und meinem weiblichen Geschlecht. Man löst sich von gelernten Mustern und entwickelt sich weiter, dadurch verändert sich auch die Paarsexualität. Das kann jedoch den Partner auch verunsichern. Es kommt viel neuer Input und durch meinen Entwicklungsprozess nimmt auch die Beziehung eine andere Dynamik an. Auf der anderen Seite lernt mein Partner aber auch viel über sich. Er wächst auch daran.

Was sollten wir alle über Sex wissen?
Um Sexualität in vollen Zügen geniessen zu können, ist es wichtig sich zuerst mit dem eigenen Körper vertraut zu machen. Viele Frauen befriedigen sich auch heute wenig selbst. Nur dadurch finden sie jedoch heraus, was sie mögen und werden dadurch auch selbstbewusster dem Partner ihre Wünsche mittzuteilen. Diesen Prozess können wir als angehende SexologInnen gut begleiten.

Was müssen Schweizer punkto Sex dazulernen?
Ich denke, dass heute nach wie vor eine primär männlich geprägte Sexualität herrscht, schauen wir uns nur den Grossteil der Pornoindustrie an. Daher ist es wichtig, dass Frauen ihren Körper besser kennenlernen und ihre Wünsche beim Sex klarer äussern, das hilft ja auch dem Partner. Zudem gibt es noch viel Unwissenheit in Bezug auf Körperwissen. So ist die Scheide ein Muskel, der primär auf Druck und nicht auf Reibung reagiert und die Klitoris der Frau ist viel grösser als viele annehmen. Eine "Rein-Raus-Porno-Nummer" ist für die meisten Frauen daher viel weniger lustvoll, als wenn der Mann sich langsam und tief in ihr bewegt.

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