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Sex

Genitalverstümmelung in Äthiopien: "Es gehört sich nicht, dass eine Frau Sex genießt"

"Es gehört sich nicht, dass eine Frau in Äthiopien Sex genießt."
Alle Fotos von Anna Luther

Es ist Markttag in Bulbula und 60 junge Frauen haben heute Glück. Jede der Frauen erhält als Investition für die eigene Zukunft zwei Ziegen geschenkt. Bulbula ist eines der vielen Dörfer südlich der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba und Tätigkeitsfeld des Frauenprojekts von Meki Catholic Secretariat (MCS).

Am großen Marktplatz regelt das Team von MCS mit einer Regierungsvertreterin den Kauf der Ziegen. Sie sitzen mit Stift und Papier auf Hockern unter dem großzügigen Schatten der wenigen Bäume. Es ist Mittagszeit und niemand hat Lust, großartig über den Preis des Viehs zu feilschen. Nur aufmüpfige Rinder bringen die Männer zeitweise in Aufruhr.

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Das Team startet seine Kampagne gegen geschlechtsbasierte Gewalt.

Die 60 Frauen halten ihre Investition fest an der Hand. Menderin will ihre beiden Ziegen Mütter werden lassen, Basa ihre mästen und weiterverkaufen. Beide leben 18 Kilometer entfernt von Bulbula in einer kleinen Ortschaft und haben lange keine Schulbank mehr gesehen.

Deswegen fallen sie in die Zielgruppe des Frauenprojekts für wirtschaftliche Eigenständigkeit. Das MCS organisiert für sie Gruppen, wo die Mädchen Geld für Außerordentliches zusammenlegen – wie den eigenen Laden, von dem Menderin träumt.

"Es gibt bei uns eine Redewendung darüber, dass unbeschnittene Frauen die Ordnung stören."

Wenn du in Äthiopien als Frau geboren wirst, lernst du, dass Männer mehr können als du. “Es herrscht das patriarchale System, Männer machen anscheinend wichtigere Sachen“, fasst Asnakech Tesfaye vom MCS zusammen. Sie kennt das MCS-Frauenprojekt in der Oromia-Region in allen Einzelheiten, da sie für das Monitoring und die Evaluierung zuständig ist.

Die Abhängigkeit der Frauen zeigt sich nicht zuletzt an der weiblichen Genitalverstümmelung, die in Äthiopien noch immer praktiziert wird. Viele Mädchen werden in jungem Alter von meist älteren Frauen ohne ärztliche Betreuung beschnitten. Laut UNICEF sind trotz gesetzlichem Verbot 74 Prozent der Frauen betroffen.

"Es gehört sich nicht, dass eine Frau Sex genießt. Die meisten Frauen auf dem Land sind beschnitten und ihre Kultur erlaubt es ihnen nicht, über ihre Gefühle diesbezüglich zu sprechen", sagt Tesfaye. "Du hast die Wünsche deines Ehemannes zu erfüllen. Ich denke nicht, dass du als Frau mit dieser Erziehung über deine Sexualität sprichst oder an sie denkst. Es gibt bei uns eine Redewendung darüber, dass unbeschnittene Frauen die Ordnung stören."

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Eine Frau regelt mit Baby auf dem Rücken ihre Geschäfte auf dem Marktplatz in Bulbula.

Wenn die 26-Jährige über dieses Tabuthema spricht, fallen ihr die Worte nicht leicht. Frauen sollten kontrolliert und schüchtern sein, lautet das überlieferte Rollenbild in Äthiopien. Die Strategie von MCS hat im Gegensatz dazu Emanzipation als Ziel. Die Tätigkeitsfelder des Frauenprojekts umfassen das soziokulturelle Umfeld junger Mädchen auf dem Land, ihre Bildung und finanzielle Lage.

Ihr Sekretariat in Meki, einem Dorf ähnlich Bulbula, ist Zentrum und Koordinationsstelle der Projekte von MCS. 60.000 Quadratkilometer der Oromia-Region und 3,8 Millionen Menschen, egal welcher Religion zugehörig, werden in die Projekte miteinbezogen.

Gerade steht die internationale Kampagne Zero Tolerance for Gender Based Violence auf ihrem Programm und den T-Shirts, mit denen einige im Sekretariat rumlaufen. Hier scheinen arrangierte Ehe und gewaltsame Entführungen junger Mädchen auf dem Schulweg für einen Moment vergessen. Junge Männer und Frauen tragen wie selbstverständlich diese eigentlich sehr politische und gewagte Botschaft der Kampagne auf ihrer Brust.

Wenn Mädchen bessere Lebensbedingungen haben sollen, beginnt das in ihrer Familie und Dorfgemeinschaft.

"In ländlichen Gebieten treffen heranwachsende Frauen auf viele Herausforderungen, wie die weibliche Genitalverstümmelung oder geschlechtsbasierte Gewalt. Wir wollen, dass Mädchen in die Schule gehen und eine berufliche Zukunft haben. Dabei sind religiöse Anführer und Dorfälteste unsere Ansprechpartner. Sie sind in unserer Gesellschaft sehr geachtet, ihre Bewertungen und Entscheidungen werden respektiert", erzählt Tesfaye über ihre Arbeit. Die Dorfgemeinschaft soll die Herausforderungen, mit denen die Mädchen konfrontiert sind, nachvollziehen können.

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Eine Mitarbeiterin im Sekretariat von MCS.

Das Leben im äthiopischen Hochland ist hart. Schmutziges Trinkwasser, einseitige Ernährung, Wohnen auf engem Raum, kein Strom. Manchmal darf auch das Vieh in der Hütte schlafen, weil das zumindest wärmt. Das Team von MCS fährt mit seinen Toyotas oft weite Strecken über unwegsame Straßen, um in dieser Lebenswelt neue Ideen zu vermitteln.

Es organisiert Feiern, in Dorfschulen werden Theater aufgeführt, Trinkwasserstellen und sanitäre Anlagen werden gebaut. Dabei ist es für Mädchen wichtig, von Männern getrennte Duschen und Toiletten benutzen zu können, betont Tesfaye. Für ein neues Frauenbild muss also umfassend gedacht werden.

Veränderung passiert langsam. Bis dahin müssen noch viele Mädchen ihre Beine einer Messerscheide entgegen spreizen.

Bei der Frauenarbeit werden daher nicht nur Autoritätspersonen, sondern auch Familien direkt angesprochen. "Die Leute sind nicht einfach. Sie sagen, dass wir Recht haben, aber praktizieren ihre Sitten trotzdem", gesteht sie ein.

Eingesessene Sitten gehen nicht von einem Tag auf den anderen. Da muss noch viel Wind über das äthiopische Hochland wehen. Da müssen noch viele Mädchen ihre Beine einer Messerscheide entgegen spreizen.

Eine Äthiopierin auf dem Marktplatz.

Eines weiß Tesfaye: Wenn Frauen selbst ihre Dorfgemeinschaft herausfordern, kommt die Veränderung. "Ich nenne immer dieses eine Mädchen in unserem Projekt. Sie ist Schülerin und erzählte uns ihre Geschichte." Als das Mädchen einmal nach der Schule nach Hause kam, liefen Vorbereitungen für ein Fest. Sie und ihre kleine Schwester sollten an diesem Tag beschnitten werden.

Üblicherweise wird zu diesem Anlass ein Fest gefeiert und Fleisch für sie zubereitet, damit ihre Wunden nach dem Festmahl schneller heilen können. Die Schülerin war geschockt, als sie sah, was vor sich ging. Das Team von MCS hatte ihre Familie zuvor aufgeklärt. Das Mädchen drohte an diesem Tag, das gesamte Dorf samt ihrer Familie wegen der illegalen Genitalverstümmelung bei der Polizei zu melden. Ihre Schwester und sie wurden nicht beschnitten.

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