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Urlaub

Wie Partytouristen Europas Inseln und Städte zerstören

Island, Amsterdam, Mallorca: Was junge Touristen dort (und anderswo) anrichten, ist viel schlimmer als ein bisschen Pisse, Kotze und nackte Körper.
Foto: Jamie Lee Curtis Taete

Alle Europäer, die nicht gerade in günstigen klimatischen Verhältnissen leben, müssen sich für den Großteil des Jahres mit kalten Temperaturen und regnerischem Wetter herumschlagen. Wenn sich da die Chance ergibt, diese Tristesse zumindest temporär hinter sich zu lassen, dann wird diese Gelegenheit voll ausgenutzt. Und so fallen Partytouristen aus aller Herren Länder in Süd- und Osteuropa ein, um sich dort besinnungslos zu trinken, nackt herumzutorkeln und ohne jegliche Rücksicht auf das Umfeld zu feiern.

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Die Einheimischen müssen das zurückgelassene Chaos dann wieder beseitigen – egal ob nun den Urin auf den Nationaldenkmälern, die Kotze in den sonst bildhübschen Gässchen oder den Vandalismus am Strand. Wir haben sieben Kollegen aus beliebten europäischen Partyurlaubszielen gefragt, wie sich diese Art des Massentourismus auf die jeweiligen Orte auswirkt und was die Anwohner dagegen unternehmen.

Die griechischen Inseln

Die Inseln Griechenlands sind nicht nur das Paradies auf Erden. Sie sind auch ein Magnet für besonders schlimme Touristen aus den nördlicheren Ländern Europas, die die Schmerzen ihres Sonnenbrands mit Alkohol und Drogen betäuben. Auf Inseln wie Korfu, Zakynthos, Mykonos und Ios sind die Folgen deutlich zu spüren: Während der Hochsaison belästigen sich die Touristen sexuell, gehen aufeinander los und zerstören örtliche Einrichtungen und Hotels. Das führt dazu, dass in viele Partyorten die Wirtschaft leidet, weil Familien und mittelalte Touristen wegbleiben – und die geben im Urlaub mehr Geld aus als partywütige Teenager. Ein Beispiel: In Kavos, einem beliebten Feierziel auf Korfu, ist die Besucherzahl in den vergangenen Jahren um 30 Prozent zurückgegangen.

Die Einwohner von Kavos haben die Nase voll von lauter Musik, Schlägereien, Müll und betrunkenen Asozialen. Deswegen fordern sie die Behörden dazu auf, dem Ganzen einen Riegel vorzuschieben. Die Kavos Cultural Association hat vor Kurzem Petitionen eingereicht, die mehr Polizeipatrouillen fordern und ein früheres Musikverbot in den Bars. Außerdem klagte die Organisation wegen der Zerstörung der örtlichen Wirtschaft gegen Reiseagenturen wie Thomas Cook oder TUI. Die Konzerne sollen ihre Kunden nämlich dazu aufgefordert haben, nur in bestimmte Lokale und Clubs zu gehen. Und auch den Dreh der britischen Trash-TV-Serie Geordie Shore wollten die Verantwortlichen der Kavos Cultural Association stoppen.

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"Ein solches Verhalten darf nicht als normal angesehen werden", sagte Vangelis Aspiotis, der Präsident der Kavos Cultural Association, gegenüber Daily Mail. "Diese jungen Leute sind nur mit ihren Handys beschäftigt, sie inhalieren Lachgas und betrinken sich. Das ist uns als Stadt richtig peinlich."
– Thodoris Chondrogiannos, VICE Griechenland

Amsterdam

Touristen fahren auf einem der bei den Anwohnern verhassten Bier-Bikes durch Amsterdam | Foto: Kas van Vliet

Beim Spaziergang durch die Innenstadt Amsterdams fällt einem als erstes der Geruch der Touristen auf. Der kommt nämlich von den ganzen Waffeln, die sie essen, dem Gras, das sie rauchen, und der Kotze, die sie auf dem Gehweg verteilen. Aber auch optisch machen sie sich bemerkbar: Touristen haben die Hauptstadt des am dichtesten besiedelten Landes Europas noch überfüllter gemacht. 2015 reisten 17 Millionen Menschen aus der ganzen Welt nach Amsterdam, wo an sich nur 800.000 Menschen leben. Man schätzt, dass es im Jahr 2025 schon 23 Millionen Besucher sein werden. Anwohner meiden bewusst Teile der Innenstadt, weil es fast unmöglich ist, sich dort einen Weg durch die Menschenmassen zu bahnen. Die Kalverstraat, also die Haupteinkaufsstraße Amsterdams, wurde im Sommer außerdem mehrmals gesperrt, weil sich dort gefährlich viele Leute aufhielten.

Amsterdams Ruf eilt der Stadt voraus und deswegen reisen viele Touristen auch nur dorthin, um dauerbekifft zu sein. Dabei missachten sie häufig jegliche Gefahren. Regelmäßig liest man von Urlaubern, die von einer Straßenbahn erfasst wurden, oder von Touris, in die Kanäle fallen und dann ertrinken. 2014 starben drei britische Touristen, nachdem sie weißes Heroin genommen hatten, das ihnen als Kokain verkauft worden war. Aber auch mit Magic Mushrooms gab es schon einige Zwischenfälle. Zum Beispiel sprang ein 17-jähriges Mädchen im Rausch von einer Brücke. Aus diesem Grund sind Pilze mit Psilocybin in den Niederlanden inzwischen verboten.

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Um die Stadt "zurückzuerobern", hat sich ein örtlicher Unternehmer eine außergewöhnliche Lösung einfallen lassen: Holland World. Dabei handelt es sich um einen Vergnügungspark, der Amsterdam nachstellt – inklusive Sehenswürdigkeiten, Bars und Kanälen in Originalgröße. Das Ganze soll nur wenige Kilometer vor der tatsächlichen Stadt gebaut werden und – wenn alles nach Plan läuft – schon irgendwann im Jahr 2023 eröffnen.
– Ewout Lowie, VICE Niederlande

Mallorca

Foto: Jamie Lee Curtis Taete

Während die Einwohner Barcelonas vor Kurzem gewaltsam gegen die Folgen des Massentourismus in ihrer Stadt demonstriert haben, ist es vor allem die Baleareninsel Mallorca, bei der die Partyurlauber mit schlechten Manieren tiefe Spuren hinterlassen. Egal ob nun die Briten in Magaluf oder die Deutschen am Ballermann, meistens sind es Teenager, die zum ersten Mal ohne ihre Eltern in den Urlaub fliegen. Und das bedeutet dann Tonnen an Kotze, öffentliche Blowjob-Wettbewerbe und Schlägereien en masse. Auf Magalufs Partymeile Punta Ballena muss in der Hauptsaison an jedem Morgen zum Beispiel eine halbe Tonne Müll weggeräumt werden.


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Zwar versucht die örtliche Regierung, die negativen Folgen des Massentourismus durch ein Verbot von All-Inclusive-Angeboten und durch Alkohol-Verkaufsbeschränkungen zu begrenzen, aber für die Einheimischen hat sich noch nicht viel geändert. Alfonso Rodríguez, der Sprecher der lokalen Interessenvertretung Esquerra Oberta, bekommt laut eigener Aussage ständig Beschwerden von Anwohnern zu hören – über den Lärm, die Gewalt, den hemmungslosen Sex, den Vandalismus, die Kriminalität und die gefühlt Millionen nackten Touristen, die durch die Straßen rennen.
– Jaume Ribas, VICE Spanien

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Kroatien

Eine Gruppe Touristen in Split | Foto: via Facebook

Falls du nicht gerade auf eines der 8.000 Festivals gehst, die seit neuestem in Kroatien stattfinden, dann landest du als junger Urlauber mit ziemlicher Sicherheit auf der Insel Hvar. Die gleichnamige Stadt ist nämlich zu einem beliebten Partyziel geworden – was die Anwohner nicht gerade gut finden. Bei den ganzen schwachsinnigen Aktionen, die betrunkene Touristen aus Spaß bringen, ist das aber auch kein Wunder.

Vor zwei Jahren kletterten zum Beispiel mehrere Touristen aus Australien mitten in der Nacht die Kirche von Hvar hoch, machten beim Spaziergang über das Dach einige Ziegel kaputt, ließen die Kirchenglocke läuten und weckten damit die halbe Stadt auf. Dieses Jahr fand es ein britischer Tourist unglaublich witzig, als Terrorist verkleidet herumzulaufen, was unter den Anwohner für Angst und Verärgerung sorgte. Aber auch anderswo in Kroatien häufen sich die Zwischenfälle: 2015 ertrank ein Ire in Split, nachdem er um zwei Uhr nachts von einem Segelboot ins Meer gesprungen war. Wegen der Dunkelheit schafften es die Rettungskräfte nicht, ihn rechtzeitig aus dem Wasser zu ziehen.

Jetzt wollen die lokalen Behörden Maßnahmen ergreifen. Rikardo Novak, der Bürgermeister von Hvar, hat zum Beispiel vor, Verhaltensregeln für Touristen einzuführen. Bei Nichtbeachtung drohen saftige Geldstrafen. Die UNESCO warnte Dubrovnik (die Stadt erlangte als Drehort von Game of Thrones Berühmtheit) vor den Gefahren von zu vielen Menschen im historischen Stadtkern. Es gibt auch Pläne, die Zahl der täglich erlaubten Touristen von 8.000 auf 4.000 zu halbieren. Wirklich etwas unternommen wurde aber noch nicht. Dafür hängt man in Kroatien zu sehr von der Tourismusindustrie ab. Und Profit ist oftmals leider wichtiger als der Erhalt einer Altstadt.
– Vuk Oreb, VICE Serbien

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Krakau, Polen

Foto: Pixabay | Public Domain

Als Polen 2004 der EU beitrat, gehörte Großbritannien zu seinen engsten Verbündeten. Im Gegenzug zeigten sich die Polen genauso freundlich und boten den Briten das Beste an, was ihr Land zu bieten hat: Wodka, Würstchen und Amphetamine. Dank Billigflügen und -hostels nahmen britische Partytouristen dieses Angebot mit Freude an. Besonders beliebtes Reiseziel: die ehemalige Hauptstadt Krakau.

Zuerst empfing Krakau die neue Geldquelle noch mit offenen Armen, aber schon 2007 fingen die ersten Pubs an, keine Briten mehr zu bedienen. "Die kamen immer in großen Gruppen an, wollten hochprozentige Sachen trinken, die wir nicht hatten, und konnten sich nach ein paar Drinks nicht mehr richtig verständigen", erzählte ein Kneipenbesitzer der Zeitung Polish Express. Schließlich schalteten sich sogar die örtlichen Geistlichen ein, als Stanisław Dziwisz, der Erzbischof Krakaus, in einem Brief an die Gemeinden den Massentourismus kritisierte und einen "spirituellen Neuanfang" forderte. "Die Stadt ist jetzt voll mit Nachtclubs, in denen sich die Gäste gotteslästerlich verhalten", schrieb er.

Der Gemeinderat von Krakau ignoriert das Problem der Partytouristen im Stadtzentrum weitestgehend und freut sich stattdessen über die Einnahmen. Aus diesem Grund nehmen findige Unternehmer das Problem nun selbst in die Hand, indem sie die Urlauber für andere Arten des Vergnügens begeistern wollen – zum Beispiel für Schießstände mit Maschinengewehren.
– Maciek Piasecki, VICE Polen

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Venedig, Italien

Foto: Tim McCune | Flickr | CC BY 2.0

Jeden Sommer spielen sich in Venedig die gleichen Szenen ab: Täglich kommen Tausende Besucher in die italienische Stadt, betrunkene Touristen springen von den Brücken und andere erleichtern sich früh morgens ganz ungeniert in den engen Gassen. Der Charakter der Stadt geht langsam verloren und stattdessen etabliert sich der Spitzname "Disneyland on the sea".

Dabei ist Massentourismus in Venedig nichts Neues. Seit einigen Jahren läuft das Ganze bloß aus dem Ruder. Schätzungen zufolge kommen jährlich 30 Millionen Besucher in die Stadt. Die Folgen sind dabei so gravierend, dass die Vereinten Nationen schon damit gedroht haben, Venedig auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes zu setzen, falls kein Weg gefunden wird, mit den vielen Touristen klarzukommen.

Die Behörden Venedigs haben zwar schon Maßnahmen ergriffen (Geldstrafen für schlechtes Benehmen oder eingeschränkter Zugang zu einigen Sehenswürdigkeiten), um den Anwohnern das Leben wieder leichter zu machen. Das scheint vielen aber nicht zu reichen: Anfang des Jahres sprachen sich 25.000 Menschen dafür aus, große Kreuzfahrtschiffe nicht mehr in Venedig anlegen zu lassen. Und vor ein paar Monaten gingen 2.000 Venezianer unter dem Motto "Mi no vado via" (auf Deutsch in etwa "Ich bleibe hier") auf die Straße. Giampietro Gagliardi, ein Mitglied der örtlichen Aktivistengruppe Generazione '90, sagte gegenüber der Presse, dass viele Einwohner Venedigs bereit seien, für ihre Stadt einzustehen: "Wir wollen unsere Stadt zurückholen und vor der Monokultur des Tourismus retten."
– Leonardo Bianchi, VICE Italien

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Island

Foto: Megan Horan

2016 hieß Island fast zwei Millionen Touristen willkommen, was im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von 39 Prozent bedeutete. Zwar freuen sich die Isländer immer über Abenteurer und frisch verheiratete Pärchen, aber eine andere Art von Touristen geht den Locals langsam aber sicher auf den Zeiger.

Während sich das Zentrum der Hauptstadt Reykjavik perfekt zum Feiern eignet, leiden die ländlichen Gegenden massiv unter den Touristen, die sich betrunken total daneben benehmen. Anfang des Jahres riss eine der unzähligen Gruppen von rotzevollen Jungspunden die Worte "SEND NUDES" in die berühmten moosbewachsenen Hügel. Andere Besucher pflügen mit ihren Allrad-Jeeps oft abseits der Straßen durch das Gelände und beschädigen dabei Gegenden, die vorher jahrzehntelang unberührt waren. 2015 ließ ein Künstler einen Geysir mithilfe von Lebensmittelfarbe ungefragt rosa aufleuchten. Zwar wurde er zu einer Geldstrafe verdonnert, aber er weigerte sich einfach, diese zu zahlen, und reiste zurück nach Hause.

Bis jetzt wurde nur wenig gegen den schädlichen Massentourismus unternommen. Die Isländer beschweren sich lediglich bei Facebook und gehen erst um zwei Uhr nachts feiern, wenn die meisten betrunkenen Urlauber schon wieder in ihre Hostels taumeln.
– Hanna Blåhed, VICE Schweden

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