Regenwürmer sind die neuen Croûtons

FYI.

This story is over 5 years old.

ökologie

Regenwürmer sind die neuen Croûtons

Wissenschaftler sagen, wir sollten anfangen, invasive Arten wie Grauhörnchen, Quallen, Biberratten, Feuerfische und Regenwürmer zu essen. Schön und gut. Aber wie schafft man es, Qualle appetitlich anzurichten?
Peanut butter jellyfish, wakame, and salted cucumber salad

Erdnussbutterqualle, Wakame und gesalzener Gurkensalat

Von Hasen über Grauhörnchen und Ratten bis hin zu Quallen, die Welt wird von invasiven Arten überrannt, die ernsthafte Schäden anrichten können. Was sollen wir also am besten gegen sie tun? Wie können wir ihren Vormarsch stoppen?

Eine Möglichkeit, so Forscher und Köche, wäre damit anzufangen, sie zu essen. Aber während ein Grauhörnchen noch munden könnte—besonders wenn es nach Südstaatenart frittiert ist—erscheint es ungemein schwieriger, einen Teller Regenwürmer oder Quallen als appetitlich zu verkaufen. Rohe Weichtiere zu essen ist eine Sache, aber ein Haufen voll mit wabbeligem Ektoplasma, das man für gewöhnlich am Strand vorsichtig anstupst, ist dann doch eine andere Hausnummer.

Anzeige

Dennoch ist es einer Gruppe New Yorkern—Food-Stylist Michelle Gatton, Fotograf Christopher Testani sowie Art Director Mason Adams—gelungen, mit ihrem Projekt „Invasive Species: Envisioning the Future of Food in America" (Invasive Arten: Eine Vision für die kulinarische Zukunft Amerikas) nicht nur Quallen und Grauhörnchen lecker aussehen zu lassen, sondern sogar Strandschnecken, Regenwürmer, Feuerfische, Biberratten und Kanadagänse.

Laut Adams war einer der Beweggründe für das Projekt, über die Sachen nachzudenken, die wir als „nicht mehr zu gebrauchende Reste auffassen—was sind also die Sachen, die übrig bleiben werden, die Sachen, die wir essen werden, wenn unser Ökosystem erst einmal am Boden liegt? Invasive Arten sind in vielerlei Hinsicht ein ernstes Thema, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Eindringlinge in allen Fällen auf menschliches Handeln zurückgeführt werden können."

Squirrel crostini, white mulberry, goat cheese, hazelnut and purslane

Grauhörnchen-Crostini, weiße Maulbeere, Ziegenkäse, Haselnuss und Burzelkraut

War eines der anderen Hauptziele auch, die Menschen zu fragen, was ihnen schmecken würde, wenn sie für einen Moment die gesellschaftlichen Vorstellungen darüber, was eklig ist und was nicht, außer Acht lassen würden? „Natürlich", sagt Gatton. „Ich denke, genau das ist unser wichtigstes Ziel: Wie schaffen wir es, unsere alten Konditionierungen zu überwinden und uns an Essen heranzuwagen, das bei uns eine rein psychologische Reaktion hervorruft? Diese Hürden müssen wir nehmen, vor allem weil diese Dinge so tief in uns verankert sind. Aber schon eine bloße Namensänderung, sagen wir von ,Patagonischem Zahnfisch' zu ,Chilenischem Seebarsch', kann einen großen Unterschied machen im Hinblick darauf, wie appetitlich wir etwas finden."

Anzeige
Invasive4

Feuerfisch-Ceviche, wilder Fenchel und rote Zwiebel

Sind denn aber alle Kreationen in diesem Projekt wirklich essbar? „Ja", so Gattin. „Qualle ist ein gängiges Gericht in China. Ich habe es zum ersten Mal in Chinatown in Queens probiert und es kann leicht von den Märkten aufgenommen werden. Es ist jedoch ziemlich geschmacksarm—es geht also mehr um die Textur." Adams sagt, die Bedingung, dass alles im Projekt essbar ist, sei ausschlaggebend gewesen. „Hier geht es nicht nur um irgendein Konzept", sagt er. „Es geht darum, etwas in die Tat umzusetzen. Es ist viel zu der Idee, invasive Arten zu essen, geschrieben worden. Das ist alles schön und gut. Aber erst diese Bilder hier machen es wirklich greifbar."

Invasive1

Zitronenquark-Tarte mit Schokoladen- und Regenwurmkruste, belegt mit knusprigen Regenwürmern

Ob sie überhaupt die Regenwürmer gekostet haben? Hätten sie die nicht erst mit Getreide reinigen müssen? „Ja, ich hatte keine Zeit, die Würmer mit Getreide zu vermengen, um sie zu säubern", meint Gatton, „deshalb konnten wir die Tarte leider nicht essen. Aber ich habe schon andere Insekten probiert und würde deswegen Regenwürmer ohne Bedenken essen."

Steamed periwinkles in calvados cream broth.

Gedünstete Strandschnecke in Calvados-Crème-Brühe.

Abschließend interessiert mich noch die Frage, ob einen ein solches Projekt die Essgewohnheiten überdenken lässt. „Ironischerweise lebe ich mit einem Veganer zusammen, weswegen unser Essen stets sauber und natürlich ist", so Gatton. „Aber es gibt auch viele invasive Pflanzen—einige von ihnen sind Teil der Rezepte—sodass wir vermehrt Burzelkraut und Wakame essen. Testani ist ein großer Fan von Wildfleisch und im Allgemeinen ein recht abenteuerlustiger Esser, aber einige der kleineren, weichlichen Sachen überlasse ich dann doch eher den Speisekarten in Restaurants." Adams sagt, er würde „diese Zutaten definitiv benutzen oder im Restaurant bestellen."

Invasive6

Biberrattenwurst-Gumbo, Tigerflohkrebs, Paprika und schwarzer Reis

Obwohl es wahrscheinlich keine gute Idee ist, zum nächsten Strand zu spazieren und dort Quallen zum Verzehr aufzusammeln oder in Städten Grauhörnchen zu jagen—sie könnten gerade Rattengift gefressen haben—ist es dennoch äußerst wichtig, irgendwann über den Rand unseres mit Rinder-, Hühner-, Schweine- oder Lammfleisch gefüllten Tellers zu schauen. Hoffentlich trägt dieses Projekt, und ähnliche, dazu bei, dass wir Menschen einsehen, dass es nur psychologische Vorbehalte sind, die uns vor neuen kulinarischen Erlebnissen zurückschrecken lassen. Ich war anfangs noch ein wenig unsicher, als ich Grauhörnchen probieren sollte. Doch schnell habe ich nichts mehr gesagt. Denn es war so süß, so nussig, dass es mich an Nutella erinnert hat.