Wie man in der Sommerhitze von Hanoi einen kühlen Kopf bewahrt
Muc xao sa ot: sautéed squid in lemongrass, chili, and bell peppers. Photos by the author.

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Vietnam

Wie man in der Sommerhitze von Hanoi einen kühlen Kopf bewahrt

In Hanoi kann es im Sommer schon mal über 40 °C haben. Verzweifelt versuchte ich mich abzukühlen und schaute mir deshalb die Einteilung von Lebensmitteln nach vietnamesischer Tradition in „kalt" und „warm" genauer an.

Draußen hat es 38°C. Der Schweiß rinnt deinen Rücken hinunter und der schwarze Asphalt schmilzt unter deinen Gummisohlen und brät deine Füße, schön langsam, wie einen Hot Pot.

Eine Tasse Tee trinken kommt einem wahrscheinlich wie das Letzte vor, was man in dieser Situation machen möchte. Aber noch lange bevor es Klimaanlagen gab, wurden Essen und Getränke dazu eingesetzt, den Körper zu kühlen. Auch heute nippen Milliarden von Menschen in Indien und China an ihren heißen Tassen Tee, trotz der höllischen Sommertemperaturen, um nicht zu überhitzen.

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Canh rau: Eine leichte Suppe aus gekochtem Blattgemüse (meistens rau gai, was ähnlich wie Mangold ist, oder mongt oi, ein vietnamesischer Spinat) mit Hühner- oder Schweinebrühe.

Dabei handelt es sich nicht nur um eine volkstümliche Überlieferung. Westliche Wissenschaftler haben entdeckt, dass Rezeptoren auf der Zunge auf heiße Substanzen sowie auf das Capsaicin in Chilis reagieren, in dem sie den Körper dazu zwingen, noch mehr zu schwitzen, was im Endeffekt jedoch kühlend wirkt.

Während das wissenschaftliche Prinzip hinter dem Schwitzen vielleicht eindeutig ist, gelten nicht alle scharfen Speisen und alle Getränke in den Augen der asiatischen Tradition als gleich kühlend.

In Hanoi, wo die Temperaturen diesen Sommer die 40°C-Marke bereits überstiegen haben, habe ich erfahren, dass Grapefruit, Melone, Soja und Fisch als „kalte" Lebensmittel angesehen werden. Mango, Zwiebeln, Guave, Lychee, Kaffee, Rindfleisch und Eis sind hingegen „warm".

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Nom toi-bi ngo-ca rot: Knoblauch-, Kürbis- und Karottensalat mit Minzblättern.

Es geht um die Dualität von Yin und Yang, eines der grundlegenden Elemente der traditionellen chinesischen Medizin. Das Prinzip stammt aus der buddhistischen Philosophie aus Indien und hat die medizinischen Traditionen in Asien, von Pakistan und Nepal bis nach Vietnam, stark beeinflusst. Wie viele andere Dinge im Leben, so lautet der Glaube, haben auch Essen und Getränke Yin- (statisch, kühlend) und Yang-Eigenschaften (aktiv, wärmend).

Diesen Sommer habe ich bereits eine ganze Litanei von Befehlen zu hören bekommen. „Iss nicht so viel Chili! Dadurch wird dein Körper heiß und du bekommst Pickel!", oder „Iss eine Grapefruit und entspann dich ein bisschen".

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Dau sot ca chua: Gesalzener Tofu gekocht in einer halb-sauren Tomatensauce mit rohen Frühlingszwiebeln garniert.

Aber bald schon empfand ich die verschiedenen spontanen Empfehlungen (oder gar Drohungen) als überwältigend anstatt als aufschlussreich. Um ein bisschen Klarheit zu schaffen, arrangierte ich ein Treffen mit einer vietnamesischen Köchin aus der Stadt. Die Köchin Nguyen Thi Minh, deren Eltern seit 60 Jahren ein berühmtes Restaurant in Hanoi betreiben, sagte zu mir: „Wir müssen unser ganzes Leben damit verbringen, herauszufinden, was kalt und was warm ist. Wir müssen Erfahrungen sammeln und dieses und jenes ausprobieren. Ich muss mich um das Wohlbefinden meiner Kunden kümmern, wie beispielsweise die vielen schwangeren Frauen, die mein Lokal besuchen."

Schwangere Frauen und Pfirsiche vertragen sich scheinbar nicht gut. „In der vietnamesischen Kultur verursacht der Pfirsich Probleme mit der Seele und dem Gehirn", erklärte Huong streng.

Sie beharrt darauf, dass man dem Wetter entsprechend kochen sollte. Im Sommer empfiehlt sie Fisch und andere Meeresfrüchte, außerdem weißes Fleisch ohne Haut. Ich probierte ihren frittierten Fisch mit Petersilie und Frühlingszwiebeln, dazu Reisnudeln und eine süßliche Essig-Fisch-Sauce. Ich habe auch ihren sautierten Tintenfisch in Zitronengras gegessen. Beide Gerichte waren lecker und leicht, aber dass sie mich von innen kühlten, kann ich nicht unbedingt behaupten.

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Cha ca Ha Noi: Hanoi-Fisch, frittiert und sautiert in einer Pfanne mit Frühlingszwiebeln und Dill. Mit kalten Reisnudeln und einer süßlichen Limetten-Fischsauce, Dill und Erdnüssen serviert.

Trotz der Erkenntnisse der westlichen Wissenschaft über die Zunge sagt Huong, die Temperatur des Essens habe nichts mit Yin und Yang zu tun. „Kürbissuppe—warm oder kalt, das macht keinen Unterschied", sagte sie. „Es ist Kürbis, also gilt es als kalt." Ich probierte einen Salat aus gekochtem Kürbis und Karotten mit Sesam und geröstetem Knoblauch. Das Gericht hätte herbstlicher nicht schmecken können, aber trotzdem fühlte es sich sommerlich und leicht an.

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Um besser zu verstehen, was ein Lebensmittel in der vietnamesischen Tradition warm oder kalt macht, traf ich Nguyen Khac Chuong, ein von der UNESCO Vietnam anerkannter Martial Arts-Lehrer und studentischer Praktizierender der östlichen Medizin an der Tue Tinh, der vietnamesischen Universität für Traditionelle Medizin. Wir verbrachten zwei verschwitzte Stunden damit, uns zu Tee und Pflaumen auf der Veranda eines traditionellen Holzhauses zu unterhalten.

Wie sich in diesem Gespräch herausstellte, gibt es keine klaren Grenzen. Industriell hergestellter Tee aus China könnte Yang sein, während vietnamesischer Tee Yin wäre. Yang-Tee kann zu Yin werden, wenn man eine Pflaume dazu isst. Außerdem gilt er tagsüber als Yang, am Abend als Yin. Je nach dem, ob der Tee grün oder schwarz ist, fließt er durch verschiedene Meridiane im Körper (eine Art Energiekanäle). Grüne Lebensmittel landen direkt in der Leber (daran sollte man sich vielleicht beim nächsten sommerlichen Kater erinnern).

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Vietnamese green tea (tra xang Viet Nam) and mung bean porridge: mung been boiled in water with very little sugar added.

Wasser ist grundsätzlich Yin, „aber das kommt drauf an, wie du es betrachtest—es könnte Yin oder Yang sein", grübelte Chuong. Er sagte, das Beste im Sommer wäre, seinen Wasserhaushalt im Gleichgewicht zu halten, keine allzu schweißtreibenden Aktivitäten zu unternehmen und physische Aktivitäten, die auf das Verbrennen von Kalorien abzielen, zu vermeiden. Ich solle mal Tai Chi ausprobieren und meine Energie zurück in den Körper führen, schlug er vor.

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Ich war noch verwirrter und bat Chuong deshalb um einen konkreten, detaillierten Ratschlag. Wie kann man in der heißen Stadt im Sommer mit Hilfe von Essen kühl bleiben?

„Iss am Morgen für dich selbst, iss am Mittag für deine Freunde, und iss am Abend für deine Feinde", sagte er. „Iss am Abend nur sehr wenig, iss das, was dir deine Frau kocht, und strebe nach Balance. Stehe nicht mit Yang auf Kriegsfuß, denn ohne Yang gibt es auch kein Yin."

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Pyung yang naeng myun: Süßkartoffeln und Arrowroot-Nudeln in einer süßlichen Essigbrühe mit Karotten, Gurken, Brine, gekochte Ei, Hähnchenfleisch und mageres Schweineflasche, und scharfe Chilipaste.

Mit diesem Prinzip im Hinterkopf besuchte ich später ein offizielles, von der Regierung betriebenes nordkoreanisches Restaurant in Hanoi, in dem nordkoreanische Damen mit Walkie-Talkies herumlaufen. Dort gibt es ein Gericht, yung yang naeng myun, mit kalten, scharfen Nudeln, Gemüse und magerem Fleisch. Es wird auf Eis serviert.

Mit den 40°C draußen fühlte sich das verdammt gut an.