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Ägypten

Wie man Ramadan in einem ägyptischen Gefängnis überlebt

In einem ägyptischen Gefängnis zu erleben, ist nie einfach, besonders wenn man die Sommerhitze während des Ramadans aushalten muss. Um durchzustehen, greifen die Insassen zu allen möglichen Mitteln.

Während des heiligen Monats Ramadan verzichten Muslime von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Essen und Trinken. Der Monat ist auch eine Gelegenheit, sich von irdischen Ablenkungen fernzuhalten und die Zeit mit Beten oder mit der Gemeinschaft zu verbringen. In Ägypten verbringen tausende politische Häftlinge den Ramadan hinter Gittern, weit entfernt von ihren Familien und Freunden.

Ahmed* wurde vergangenes Jahr verhaftet und beschuldigt, an einer nicht genehmigten Demonstration teilgenommen zu haben. Er verbrachte acht Monate zwischen Polizeistationen, Gefangenenlagern, dem Tora-Gefängnis in Kairo und dem Wadi Natroun-Gefängnis, wo er den Großteil der Zeit festgehalten wurde. Zu einer Gerichtsverhandlung kam es nie.

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Letztes Jahr feierte Ahmed den Ramadan in einer Gefängniszelle mit 20 anderen politischen Häftlingen, die aus ähnlichen Gründen verhaftet wurden. In den Zellen neben ihm versuchten politische sowie „normale" Gefangene den heiligen Monat so zu feiern, wie es ihnen möglich war. Irgendwie schafften sie es, in ihrer Zelle ein Gefühl der Gemeinschaft und des Teilens aufkommen zu lassen, das so typisch für den Ramadan ist.

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Mittlerweile wurde Ahmed entlassen und verbringt die meiste Zeit zu Hause, wo er sich um seine kranke Mutter kümmert. Nur selten geht er auf den Straßen spazieren. Der Weg zur Arbeit oder wenn er Freunde zum suhur—der letzten Mahlzeit, bevor wieder gefastet wird—treffen will, ist ein Alptraum. „Ich könnte jederzeit bei Kontrollpunkten aufgehalten werden und wieder im Gefängnis landen, weil die Anklage nie offiziell fallen gelassen wurde", sagt Ahmed, der sichtlich besorgt ist.

Mahmoud wurde zum Genie, wenn es darum ging, etwas ins Gefängnis zu schmuggeln—sogar Küchenstücke zu Geburtstagen der Insassen.

Seine Zeit im Gefängnis war hart, um es gelinde auszudrücken. Die verliesartige Zelle hatte kein Fenster außer einer kleinen Öffnung ganz oben an einer Wand. Sie war so überfüllt, dass jeder Häftling nicht einmal einen Quadratmeter zum Sitzen oder Stehen hatte und sie mussten abwechselnd schlafen und gehen. Es gab keine Matratzen am Boden. Im Winter war es eiskalt und im Sommer war die Hitze unerträglich.

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„Essen … Das Essen war furchtbar!", lacht er. „Man konnte es unmöglich essen."

Deshalb gaben die Häftlinge ihren Verwandten bei jedem wöchentlichen Besuch eine Liste mit Dingen, die sie ihnen mitbringen sollten. „Pasta, Nudeln, Oreos, Kartoffelchips, Müsliriegel, Käse, Obst, Thunfisch", liest Mahmoud, ein Freund, der sich um die Vorräte kümmerte, von einem Stück Papier ab. „Was fehlt noch? Glaubt ihr, der zabadi [die ägyptische Version von Tzatziki] würde schlecht werden?", fragte er immer seine Gruppe von Freunden, alle Mitte 20, die sich vor dem wöchentlichen Besuch trafen.

„Wir hatten keinen Kühlschrank", erklärt Ahmed. „Die ersten paar Wochen mussten wir also herumexperimentieren und uns anpassen. Wir mussten überlegen, welches Essen sie uns bringen konnten, das auch halten würde."

Durch ein paar ausgeklügelte Tricks und einen korrupten Wächter wurde das Essen dann ins Gefängnis geschleust. Mahmoud wurde zum Genie, wenn es darum ging, etwas ins Gefängnis zu schmuggeln—sogar Küchenstücke zu Geburtstagen der Insassen. „Sie schickten mir eine Anfrage und ich organisierte, dass sie es irgendwie bekommen."

Während des Ramadans stand das Essen auf dem Boden der von der Sonne aufgeheizten Gefängniszelle herum und war kaum vor Küchenschaben und anderen Insekten geschützt.

Ramadan war nicht anders. „Die Gefängniswärter behandelten uns wie in jedem anderen Monat auch—es gab keinen Unterschied", erklärt Ahmed. Es gab die gleichen steinharten und kalten Stücke gekochtes Fleisch, Eier oder mageren Hähnchenknochen zum Mittagessen, dazu Reis und eine wässrige Suppe mit etwas, das wohl Gemüse sein sollen hätte. Ful—das traditionelle ägyptische Gericht aus Favabohnen, pflanzlichem Öl und Kümmel, wurde mit altem Brot zum Abendessen serviert.

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„Das Essen war ziemlich übel, aber wir gewöhnten uns dran", scherzt Ahmed. Meistens schmissen die Häftlinge das Essen weg, weil es nicht schmeckte oder sie Angst hatten, krank davon zu werden. Stattdessen kochten sie mit einem kleinen Campingherd das, was ihnen ihre Familien beim wöchentlichen Besuch mitgebracht hatten.

Während des Ramadans sollten praktizierende Muslime vom ersten Gebet der Nacht (ca. 3 Uhr im Sommer) bis zum Gebet zu Sonnenuntergang (um ca. 19:00 Uhr) fasten. Ohne auf religiöse oder traditionellen Normen Rücksicht zu nehmen, wurden den Insassen einfach die gleichen Mahlzeiten wie immer aufgetischt. Das Mittagessen bekamen sie um 12:00 Uhr, das Abendessen gegen 18:00 Uhr. Viele der Kriminellen und der Langzeitinsassen hielten sich nicht an das religiöse Fasten und aßen die Mahlzeiten dann, wann sie serviert wurden, erklärt Ahmed. „Vielen von ihnen war es völlig egal", sagt er. Ansonsten stand das Essen auf dem Boden der von der Sonne aufgeheizten Gefängniszelle herum und war kaum vor Küchenschaben und anderen Insekten geschützt.

„Das Mittagessen war sowieso schon kalt, also stellten wir es einfach zur Seite, weil wir noch weitere sieben Stunden fasteten", sagte Ahmed. „Das gleiche mit dem ful, das wir uns fürs suhur aufsparten, die letzte Mahlzeit vor das Fasten wieder losging, um etwa 2 Uhr."

Selbst gekochtes Essen ihrer Familien—das nicht reingeschmuggelt werden musste—war eines der wenigen Privilegien, die den Insassen gewährt wurden. Aber es gab einen Haken. Die Familien der Insassen wechselten sich ab, das Essen für die gut 20 Häftlinge zuzubereiten und abzuliefern. Die Töpfe und Behälter mit dem Essen mussten aber während der Besucherzeiten, also zwischen 12:00 und 14:00 Uhr, vorbeigebracht werden.

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Es gab Milch mit Datteln, Joghurt, kebab halla (geschmortes Fleisch) oder Hähnchen. Das Gemüse war meistens Okra, Kartoffeln und Bohnen in roter Sauce, oder mulukhiyah, ein beliebtes ägyptisches Gericht aus Juteblättern.

„Die Behälter waren extrem heiß, genau wie in der Zelle auch. Damit das Essen nicht schlecht wurde, mussten wir es irgendwie kühlen, aber wir hatten keinen Kühlschrank", erinnert sich Ahmed. „Wir stellten die Behälter direkt unter die Lüftung und hoffen, dass es hält." Ansonsten mussten sie sich mit dem Mittagessen begnügen, das seit mehreren Stunden auf dem Boden stand.

Zum iftar, dem Fastenbrechen, legten die Inhaftierten Zeitungspapier auf dem Boden ihrer Zelle aus und aßen ihr Essen gemeinsam von Metalltellern. Zwei Leute wuschen dann das Geschirr ab und räumten auf, während die anderen sich ausruhten. Dann beteten sie gemeinsam, lasen den Qu'ran, oder erzählten sich Geschichten, die sie schon hunderte Male hinter den Wänden dieses Gefängnisses vorgetragen hatten. „Wir konnten keine TV-Serien anschauen, wir konnten unseren Familien keine Nachrichten schreiben oder Freunde in Facebook-Posts markieren", sagt Ahmed. „So gesehen hatten wir eine gute Zeit. Wir wurden nicht abgelenkt und konnten uns auf die wahre Bedeutung und den Geist des Ramadans konzentrieren."

Er fing an, sich über uns lustig zu machen und sagte Sachen wie, ‚Politische Gefangene … pff! Ihr müsst noch viel lernen' oder ‚Ihr wisst gar nichts über das Leben im Gefängnis'. Er war ein Mörder und schon seit vielen Jahren hinter Gittern.

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„Unser eigentliches Problem war das Wasser", sagt er. Normalerweise hatten die Häftlinge 15 Minuten vor jedem verpflichtenden Gebet fließendes Wasser. Das war die einzige Gelegenheit, um die rituelle Waschung vorzunehmen und Wasserflaschen zum Trinken aufzufüllen. Im Sommer waren die Rohre aber sehr heiß und es kam nur warmes Wasser heraus.

„Zu Beginn des Ramadans versprachen uns die Wärter, sie würden uns Eis geben", blickt Ahmed zurück. „Als der Ramadan aber losging, mussten wir den Wärtern das Eis gegen Zigaretten oder mit dem geringen Taschengeld unserer Familien abkaufen."

Nach dem Fastenbrechen zerschlugen die durstigen Insassen das Eis und warfen die Stücke in ihre Wasserbecher. Es war eines der besten Gefühle des ganzen Tages.

„Gegen Ende des Ramadans, um den 26. oder 27. Tag, fing einer der Kriminellen in den anderen Zellen an, uns dafür auszulachen", sagt Ahmed. „Er fing an, sich über uns lustig zu machen und sagte Sachen wie, ‚Politische Gefangene … pff! Ihr müsst noch viel lernen' oder ‚Ihr wisst gar nichts über das Leben im Gefängnis'. Er war ein Mörder und schon seit vielen Jahren hinter Gittern."

Ahmed und seine Freunde fragten den Kriminellen, wieso er sich über sie lustig machte. Er sagte zu ihnen, sie hätten das Eis nicht in die Becher füllen, sondern einen Eimer nehmen, den mit Eis füllen und die Flaschen darin kühlen sollen. Ahmed und seine Freunde entgegneten, dass das Endergebnis das gleiche gewesen wäre. Der Kriminelle lachte sich kaputt und fragte sie in herablassendem Ton: „Wisst ihr eigentlich, woher dieses Eis kommt? Das wird aus Abwasser gemacht."

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Einer von ihnen hatte Gras und rauchte einen Joint. Dabei blies er den Rauch in einen Ballon, damit er ihn den anderen weiterreichen konnte und sie alle gemeinsam rauchen konnten.

„Ja", sagt Ahmed, „wir tranken seit fast einem Monat Abwasser und er sagte es uns erst am Ende. Das ist noch schlimmer, als dass wir für das Eis bezahlt haben."

Der Umgang zwischen den politischen Gefangenen und den anderen war generell freundlich, aber die Langzeitinsassen hatten eine merkwürdige Art, den jungen Typen beizubringen, wie man im Gefängnis überlebt. Und mehr als ein Mal nützten sie deren Ahnungslosigkeit zu ihrem eigenen Vorteil aus.

Als der Ramadan anfing, bekam einer der jungen politischen Gefangenen Ballons von seinen Freunden und Verwandten für die Zelle. Die Dekorationen, die man überall auf den Straßen, in Cafés, zu Hause und am Arbeitsplatz sieht, sind ein sehr wichtiger Teil der Ramadan-Feierlichkeiten.

Die anderen Kriminellen sahen die Dekorationen und kamen auf den jungen Mann zu. „Dieses Mal baten sie uns um Ballons und wir gaben ihnen bereitwillig ein paar. Wir wussten, dass sie nicht fasteten oder Ramadan feierten, aber wir hatten diese romantische Vorstellung im Kopf und hofften, dass sie durch die Ballons den Geist des Festes spüren würden", sagte Ahmed.

Ein paar Tage später baten sie um noch mehr Ballons. Irgendwann bemerkten Ahmed und seine Freunde, dass in den anderen Zellen aber keine Ballons an den Decken hingen. „Einer von ihnen hatte Gras und rauchte einen Joint. Dabei blies er den Rauch in einen Ballon, damit er ihn den anderen weiterreichen konnte und sie alle gemeinsam rauchen konnten", lacht Ahmed.

„Am Ende war der Ramadan im Gefängnis ziemlich gut … man bekommt die Sonne nicht zu Gesicht und ist nicht abgelenkt", sagt Ahmed ironisch. „Naja, es ist gut, wenn man sich erst einmal an die Hitze und an die 24 Quadratmeter große Zelle, die man mit mindestens 20 anderen teilt, gewöhnt hat."

*Die Namen aller Personen in diesem Artikel wurden geändert, um ihre Identitäten zu schützen