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Restaurantkritik

Müssen wir denn immer alles bewerten?

Inzwischen gibt jeder seinen Senf dazu. Muss das denn sein? Ist das ständige Bewerten von ALLEM nicht einfach mühsam, brutal und wenig sinnvoll? Sollten wir nicht alle einfach manchmal unsere Klappe halten?
Foto: NCinDC | Flickr | CC BY 2.0

Der Gault Millau ist einer der wichtigsten Gourmet-Guides der Welt und wurde nach den Herausgebern Henri Gault und Christian Millau benannt. Während der Michelin-Guide Sterne verteilt, vergibt der Gault Millau Hauben. Ursprünglich war der Michelin-Guide eher der Haute Cuisine, also der fetten, französischen Küche, zugetan, während der jüngere Gault Millau-Guide die Nouvelle Cuisine bewarb. Mit Nouvelle Cuisine sind Gerichte gemeint, die weniger schwer, ein bisschen knackiger und deren Portionen auch etwas kleiner sind. Inzwischen kann man nicht mehr von solchen unterschiedlichen Kritikkriterien sprechen. Beide Guides versuchen sich in einer Welt, in der jeder ein Kritiker sein will, zu beweisen und über Wasser zu halten.

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Wir haben einen Gault Millau-Kritiker nach seiner Arbeit befragt und seine Ansichten zusammengefasst:

Seit mittlerweile fünf Jahren teste ich für Gault Millau. Ich vergebe also Hauben an jährlich zehn bis zwölf Restaurants in Österreich, Südtirol, Tschechien, Kroatien und Slowenien.

Vom Testen kann man nicht wirklich leben. Man bekommt ein gewisses Budget pro Restaurant. Und es kann auch schon passieren, dass der Restaurantbesuch mehr kostet, als das, was man dafür verdient.

Jedes Jahr im Januar bekommt man eine Liste an Restaurants zugeschickt. Man kann vorab Wünsche äußern. Die allerbesten Restaurants wollen natürlich von vielen Kritikern getestet werden, also kommt man selten in den Genuss der zurzeit angesagtesten Restaurants. Kommt aber doch vor.

Die Vorgaben sind so, dass man nicht alleine Essen gehen und immer bar bezahlen sollte, Fotos sollte man vermeiden und man muss unter einem anderen Namen reservieren. Warum? Weil viele Restaurants ihre Gäste tatsächlich googeln, um es sich nicht womöglich mit einem Tester zu verscherzen.

In den letzten Jahren ist es sicherlich schwieriger geworden, einen geheimen Tester zu enttarnen. Es wird ja nur mehr fotografiert, viele halten sich für selbsternannte Tester, müssen ihren Scheiß gleich auf Instagram oder Yelp teilen und auch vom geliebten Moleskine gibt es eine Passions-Kollektion für die Leidenschaften des Lebens, eben unter anderem ein „Dining-Out"- Restaurant-Journal. Jeder kann in Zeiten des Internets seinen Senf dazugeben. Jeder ernennt sich zum Kritiker, führt Blogs und wenn er Glück hat, kriegt er ganz viele Followers und Likes.

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Auch wenn ich nicht erzählen sollte, dass ich Hauben verteile, kann ich es mir manchmal auch nicht nehmen lassen, es zu erwähnen. Es ist echt erstaunlich, wie sehr man urplötzlich an Respekt zu gewinnen scheint. Die erste Frage ist immer: ,,Warum du? Wie wird man das?"

Ich wurde einfach gefragt. Ich habe jahrelange Erfahrung in der Gastronomie. Wenn also etwas schief geht, dann fühle ich mich nicht sofort brüskiert, denn ich weiß, wie schwierig Gastronomie sein kann.

Außerdem will Gault Millau Tester, die nicht wie typische Tester aussehen: Keine unsympathischen, überheblichen Typen mit Rolex und Mercedes aus dem letzten Jahrhundert. Ich gehe eben in meinen Chucks ins Restaurant! Manchmal absichtlich.

Das man mit Sneakers ins Hauben-Restaurant geht, erstaunt sogar manche Hipster. Das traust du dich?

Klar, denn es spricht nichts dagegen, nicht aufgetackelt ins Restaurant zu gehen! Nur weil man Sneakers anhat, bedeutet das ja nicht, dass man etwa nicht bezahlen kann oder keine Manieren hätte.

Der Gast ist König. Wie du aussiehst, sollte nicht bewertet werden. Gepflegt sollte man sein. Aber was sind schon Manieren? Laut Haile Selassies Großneffen, Asfa Wossen Aserate, der einen Bestseller über Manieren schrieb, sollte es immer um Respekt gehen, Respekt für den Gast, aber auch für den, der dich bedient. In einem Kapitel erzählt er, dass es durchaus in Ordnung ist, mal über den Durst zu trinken und sich daneben zu benehmen. Was aber nicht geht, ist, wenn andere dann mit dem Finger auf dich zeigen. Und dich bloßstellen. Wenn manche Möchtegern-Gourmets sich mit dem Sommelier in ein absolut langweiliges Weingespräch verwickeln, bei dem es doch nur darum zu gehen scheint, zu zeigen, dass man vielleicht mehr weiß, als der Gastronom. Das ist peinlich.

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Genauso unangemessen ist es, wenn dich das Service-Personal aufgrund deiner Sneakers schief ansieht oder gar belächelt.

Das darf nicht sein. Diese Zeiten sind ein für alle mal vorbei.

Was im Restaurant wichtig ist, ist Freundlichkeit ohne aufdringlich zu sein, bequeme Bänke oder Sessel, die richtige Tischhöhe, ein angenehmes Licht. Es muss gut riechen und wenn Musik läuft, dann so, dass sie nicht ablenkt. Erst dann, wenn man sich wohl fühlt, kann das Essen schmecken. Und oft schmeckt das Essen in einer warmen Atmosphäre auch besser, als es eigentlich ist.

Da der Wirt mit dem Wein, den Getränken meist mehr verdient, als mit dem aufwendig zubereiteten Essen, kann es schon passieren, dass dir sehr teurer Wein empfohlen wird und der Kellner dir ständig nachschenken will. Wenn dann am Ende die Weinbegleitung teurer als das Essen ist, kann das sehr ärgerlich sein. Solche Dinge fließen auch in die Bewertung mit ein.

Der Gast muss sich willkommen fühlen. Ein guter Wirt muss den Gast im Auge behalten, ohne, dass der Gast es merkt. Und der Kritiker hat kein Arschloch zu sein.

Wegen einer Kritik hat sich schon einmal ein Haubenkoch umgebracht. Das muss man im Gedächtnis behalten. Das gilt nicht nur für professionelle Kritiker, sondern auch für die, die auf Social Media-Plattformen herablassende Kommentare von sich geben. Das ist nicht OK. Besonders dann nicht, wenn diese Leute nicht mal ein Ei pochieren können.