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Meterlanger Urzeitwurm geht Forschern ins Netz und gibt erstmals sein Überlebensgeheimnis preis

Der Schiffsbohrwurm ist gigantisch, stinkt nach faulen Eiern – und versetzt die Wissenschaft in Verzücken. Nun ist erstmals bekannt geworden, wie er sich ernährt.
Researchers study a shipworm removed from its shell. Image: Marvin Altamia

Die Außenschale des mysteriösen, meterlangen Schiffsbohrwurms tauchte zwar schon in Aufzeichnungen aus dem späten 18. Jahrhunderts auf, trotzdem gelang es dem schleimigen Meeresbewohner jahrhundertelang, sich dezent im Hintergrund zu halten. Lange gab er der Wissenschaft Rätsel auf. Nun ist es Forschern endlich gelungen, ein lebendes Exemplar des Schiffsbohrwurms zu fangen und zu erforschen. Wie sich herausstellte, hing er die ganze Zeit über auf den Philippinen ab.

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Video: Margo Haygood

„Wir wissen schon lange, dass es diese Tiere gibt", erklärte Professor Daniel Distel gegenüber Motherboard. Das Vorstandsmitglied der Meeresforschungsorganisation Ocean Genome Legacy ist der Co-Autor eines Papers über den Schiffsbohrwurm, das nun im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences erschienen ist. „Ich habe 20 Jahre lang nach ihm gesucht. Es war total abgefahren, ihn zum ersten Mal zu sehen."

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Der Kuphus polythalamia, den Distel und seine Kollegen entdeckt und erforscht haben, hatte sich scheinbar die ganze Zeit in einem Tümpel versteckt. Wenn der ein Meter lange Kerl gerade nicht im Labor untersucht wird, hält er sich im schlammigen Gewässer in Mindanao auf, in dem es nach faulen Eiern riecht. Was sich für Menschen nicht gerade erstrebenswert anhört, ist für den Schiffsbohrwurm überlebenswichtig: Der reichhaltige Schlamm sondert Schwefelwasserstoff ab, von dem der Wurm, der zur Familie der Salzwassermuscheln gehört, sich ernährt. Damit unterscheidet er sich von anderen Schiffsbohrwürmern, die sich – wie der Name schon sagt – munter durch Holz fressen.

Margo Haygood diskutiert mit Rande Dechavez und Julie Albano von der Sultan Kudarat State University über die Schalen der Schiffsbohrwürmer. Bild: Marvin Altamia

Distel und sein Team nahmen die Jagd auf die Spezies auf, nachdem sie in einer philippinischen Fernsehdokumentation die Kalkröhrenfragmente des K. polythalamia entdeckt hatten. Diese Aufnahmen gaben den Forschern den entscheidenden Hinweis, wo sie nach dem mysteriösen Urzeitwesen suchen mussten.

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Die Biologin Margo Haygood war 2011 im Labor dabei, als das Forscherteam zum ersten Mal ein lebendiges Exemplar des K. polythalamia in den Händen hielt – und sezierte. Haygood nahm die gesamte Untersuchung auf Video auf.

„Es war beeindruckend, wie stark und lebendig das Tier war", erklärt Haygood, die als Forscherin an der University of Utah tätig ist. „In der Aufnahme sieht man, wie Dan Distel etwas aus der Schale herauszieht, das wie ein Schlauch aussieht. Das ganze hörte gar nicht mehr auf, weil es sich um so große Tiere handelt."

Bei den ersten Untersuchungen gab das Tier den Forschern Rätsel auf: Da das Ende der Kalkröhre, an dem sich die Mundöffnung des Tieres befindet, geschlossen war, stellte sich die Frage, wie die Tiere überhaupt Nahrung zu sich nehmen. „Nach vielen Jahren harter Arbeit wissen wir nun, dass im Inneren der K. polythalamia Bakterien leben, die die Nahrung für sie produzieren", erklärt Haygood. „Wir wissen jedoch nicht, wie das Sulfid, das sich vermutlich im Salzwasser auflöst, in das Tier gelangt."

Die Mundöffnung eines riesigen Schiffsbohrwurms. Bild: Marvin Altamia

Die Forscher fanden heraus, dass diese Art des Schiffsbohrwurms sich aus einer Mischung von Schwefelwasserstoff und Kohlendioxid ernährt. Um diese Stoffe umwandeln zu können, müssen sich in den Kiemen der K. polythalamia chemotrophe Bakterien befinden, die anorganische Chemikalien in Energie umwandeln können, erklärt Distel.

Momentan ist den Forschern nur der K. polythalamia-Bestand in Mindanao bekannt. Haygood sagt jedoch, dass die Schalen des Schiffsbohrwurms an verschiedenen Orten in den Philippinen und im Indopazifik gefunden wurden. Ein Hinweis darauf, dass der Schiffsbohrwurm noch an anderen Orten zu leben scheint.

Ein Forscher zieht die Kalkschale des Wurms zurück. Bild: Marvin Altamia

Auch nachdem die Forscher einige Jahre mit dem Urzeitwurm verbracht haben, gibt es noch viele offene Fragen. „Verbringen sie ihr ganzes Leben lang im Schlamm oder leben die Jungtiere im Holz und ziehen erst später in den Schlamm um?", fragt Haygood. „Wie schnell wachsen sie? Wenn wir hier ein Exemplar haben, das über einen Meter lang ist, ist das Tier dann 5 Jahre oder 100 Jahre alt?"

In den nächsten Jahren möchten die Forscher vor allem den Lebensraum der K. polythalamia weiter erforschen. Die meisten anderen Tiere, die in ähnlichen Habitaten leben, sind laut Distel eher klein. Somit bildet der K. polythalamia mit der durchschnittlichen Länge eines Baseballschlägers eine krasse Ausnahmen. Und die Tiere können sogar noch wesentlich größer werden: „Ich bin 1,60 m groß und ich habe in einer privaten Sammlung die Schale eines Exemplars gesehen, das größer war als ich", meint Haygood.