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Civilization VI ließ mir keine Wahl: Ich musste einen Heiligen Krieg führen

Die neue Version des Strategie-Klassikers trumpft mit einer unerwarteten Macht auf: Religion.
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Kaum ein Strategiespiel hat eine so treue Fanbase wie das vor 25 Jahren erstmals veröffentlichte Civilization. Diese Woche kam nun der lang ersehnte sechste Teil der Reihe auf den Markt—und Civilization VI ist ganz anders und viel besser als seine Vorgänger.

Und obwohl ich seit der ersten Stunde begeistert dabei bin, hätten mich die überraschenden Neuerungen fast Kopf und Kragen gekostet. Ebenso wie das gleichnamige Brettspiel ist Civilization eine rundenbasierte Reise durch die Geschichte. Sowohl menschliche als auch computergesteuerte Spieler kämpfen hier miteinander um die Vorherrschaft auf einem willkürlich generierten Planeten.

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Im Gegensatz zu anderen Strategiespielen übertrumpfen die Spieler ihre Gegner nicht zwangsläufig durch militärische Stärke. In Civilization können Spieler auch dadurch gewinnen, dass sie als erste eine Kolonie auf dem Mars errichten, Städte bauen, die durch ihr reiches Kulturangebot zu Touristenzielen werden und nun, zum ersten Mal auch indem sie ihre eigene Religion auf der ganzen Welt verbreiten. Das ist eine massive Veränderung, ein echter Game Changer—und ich hätte es fast nicht mitbekommen.

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Und so wäre mein mächtiges Römisches Reich in Civilization 6 beinahe sang- und klanglos untergegangen, weil ich zu lange eine Kleinigkeit unterschätzt hatte: die Macht der Religion. Während ich damit beschäftigt war, Straßen zu bauen, Armeen aufzustellen und Handelsabkommen mit meinen Gegnern zu schließen, baute mein Nachbar Spanien still und heimlich Kirchen und verbreitete die frohe Kunde vom Christentum. Als römischer Kaiser Trajan hatte ich zwar eine Religion zu Ehren der mächtigen Schildkröte gegründet—dann aber völlig die spirituellen Bedürfnisse meines Volkes ausgeblendet und mich darauf konzentriert, früher als meine Gegner Panzer zu erfinden.

„Spanien hat ja keine Ahnung", dachte ich mir. „Das hier ist ein Civilization Spiel. Hier gewinnt der Herrscher Ruhm und Reichtum, der als erstes eine Raumstation baut oder seine Gegner unterwirft. Es gibt keinen einfachen Weg zum Sieg, indem man irgendwelche Götter anruft.." Doch dann warf ich, beinahe zu spät, einen Blick auf den Spielstand und erkannte, dass Spanien kurz davor stand, den Sieg zu erlangen … einen religiösen Sieg.

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Ich bin ein Civilization Spieler der ersten Stunde. Ich habe meinem Vater schon 1991 dabei zugeschaut, wie er das Originalspiel auf unserem alten PC spielte. Damals wurden Aktualisierungen für das Spiel noch auf Disketten per Post verschickt. Ich betrachte mich selbst als eine Art Civilization-Koryphäe und habe meine Strategie über die Jahre und in den verschiedenen Spielversionen im wesentlichen beibehalten.

Die Spieler von Civilization haben jede Runde die Möglichkeit, Städte zu gründen und auszubauen, die Gegend zu erkunden und Technologien zu erforschen, die ihnen neue Fortschritte ermöglichen. In jedem Civilization Spiel, das ich spiele, konzentriere ich mich als erstes auf wirtschaftlichen Fortschritt. Mit Geld kann man sich einige Abkürzungen in Civilization erkaufen und es ist nie verkehrt, welches anzuhäufen.

Nachdem ich meine Zivilisation also zu einer Wirtschaftsmacht gemacht habe, treibe ich die Entwicklung von Schießpulver voran und schalte schließlich fortschrittliche militärische Technologien früher frei als meine Gegner. Ich war immer der Überzeugung: Wenn eine Mischung aus wirtschaftlicher und militärischer Vorherrschaft gut genug für die USA ist, dann ist sie auch gut genug für mich. Diese Taktik hat auch bestens funktioniert—bis zu Civilization 6.

Das neue Spiel bringt durch verschiedene Aspekte frischen Wind in die Serie, aber die aufregendste Entwicklung ist definitiv die völlige Überarbeitung des Religionssystems und die entsprechenden Auswirkungen. In den ersten drei Spielreihen wurde das Thema Spiritualität weitestgehend ignoriert. Das Originalspiel beschränkte sich auf ein paar religiöse Bauten, für die es Bonuspunkte gab, um Einwohner von Rebellionen abzuhalten. Mit Bonuspunkten kann ein Volk spezielle Fertigkeiten ausbauen, die ihm letztendlich zum Sieg verhelfen. Auf einmal lassen sich nun auch über vielerlei religiöses Engagement diese Bonuspunkte erwerben.

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Auch in Civilization 2 und 3 spielte Religion so gut wie keine Rolle. Civilization 4 und 5 baute zwar die spirituelle Seite des Spiels aus, aber auch hier war Religion eher ein Extra, das man leicht ignorieren konnte. Clevere Spieler nutzten Religionen, um ihren Völkern einen Bonus zu bescheren—aber den Glauben links liegen zu lassen, stellte normalerweise auch keinen Nachteil in der Entwicklung einer Zivilisation dar.

Mit der Erweiterung God and Kings für Civilization 5 wurde das religiöse System des Spiels komplett überarbeitet. Zum ersten Mal konnten Spiele nun ihr eigenes Glaubenssystem entwerfen und die Boni auf ihre Untertanen zuschneiden. Spieler, die einen kulturellen Sieg anstrebten, konnten durch den Einsatz von Religion den Chorgesang entwickeln, der ihnen einen Bonus beim Tourismus bescherte. Militärisch ausgerichtete Spieler konnten mit Gotteskriegern günstig Land gewinnen und ihre Gegner angreifen.

Civilization 6 bringt das Glaubenssytem auf ein ganz neues Level. Die Spieler können in Civilization 6 ihre eigene Religion entwerfen und im Laufe des Spiels weiterentwickeln. Sie können spezielle religiöse Gebäude errichten und dadurch ein paar Propheten anziehen, die ihre Religion gründen und weiterentwickeln.

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Die Spieler haben dabei die Wahl zwischen historischen Religionen wie Buddhismus und Katholizismus oder können ihre eigene Religion völlig frei erfinden. Ich entschied mich dafür, meine eigene Religion für mein Römisches Reich zu entwerfen, aber nahm das ganze nicht zu ernst. Spieler können ihrer Religion einen Namen geben und aus einer langen Liste ein Symbol wählen, um sie zu personalisieren. Also entschied ich mich für das Bild einer anmutigen Schildkröte und nannte Roms neue Religion kurzerhand Turtle Worship. Ich errichtete zwar ein paar Tempel, ignorierte den Glauben aber dann, um mich Geld und Waffen zuzuwenden.

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In meinem Umkreis war Philip II. von Spanien der nächste Gegner. Er besiedelte die Küste im Osten von Rom mit lächerlichen vier Städten, die nicht sehr viel Raum einnahmen. Ich hatte ihm schon früh den Weg versperrt, so dass er nicht expandieren konnte und hatte mich dann nicht weiter um ihn gekümmert. Spanien war schwach, konnte über den Landweg keine anderen Zivilisationen erreichen und war technologisch so zurückgeblieben, dass ich es als ernstzunehmenden Gegner abgeschrieben hatte.

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Während ich damit beschäftigt war, Roms Infrastruktur durch den Bau von Straßen, Handelswegen und Universitäten auszubauen, sendete Spanien Dutzende von rotgekleideten Missionaren in die Welt hinaus, die ihren Glauben verbreiteten und fleißig Zivilisationen zum Christentum konvertierten. Ich ignorierte das.

Civilization 6 hält in einer praktischen Punkteübersicht fest, wie nah jede Zivilisation am Sieg ist. Sie zeigt, wie viele Zivilisationen noch im Rennen sind und wie weit sie noch von ihrem Ziel entfernt sind. Wenn eine Zivilisation eine Raumsonde ins Weltall schickt, kommt sie einem wissenschaftlichen Sieg näher. Wenn eine Zivilisation ein weiteres Dutzend Touristen beherbergt, sieht man, dass sie dem kulturellen Sieg näher rücken.

Etwa in der Mitte meines Rom-Spiels, kurz bevor ich Schießpulver entwickelt hatte und irgendwer auf den zweiten Kontinent expandiert war, warf ich einen Blick auf den Punktestand, um mir meinen Fortschritt anzuschauen. Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass Spanien kurz davor stand, das Spiel zu gewinnen.

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In Civilization 6 können Spieler einen religiösen Sieg einfahren, wenn sie alle anderen Zivilisationen zu ihrer Religion konvertiert haben. Ich hatte davon nichts mitbekommen. Ich musste also feststellen, dass Spanien nach der Hälfte des Spiels fünf von sechs verbleibende Gegnern zum Christentum konvertiert hatte. Nur das heidnische Norwegen stand noch zwischen ihm und dem Sieg und Philip II. war gerade kurz davor, in Oslo einzumarschieren.

In der Hoffnung, Philips Übermacht etwas entgegensetzen zu können, errichtete ich in Windeseile ein paar Tempel und schickte religiöse Einheiten in die Welt, um den Glauben an die mächtige Schildkröte zu verbreiten. Es gab da nur ein Problem: Philips Missionare hatten auch jede Stadt in meiner eigenen Zivilisation konvertiert. Somit war jeder neue Tempel und Missionar, den ich erschuf, christlich. Spanien hatte den Turtle Worship völlig ausgelöscht und es gab keinen Weg, das rückgängig zu machen.

Mir blieb nur noch eine einzige Option: Genozid. Ich scharrte also meine Streitmächte um mich und erklärte Spanien den Heiligen Krieg. Ich verbrachte den Rest der mittleren Spielphase damit, mein Militär auszubauen und Spaniens Städte zu vernichten. Millionen von Christen ließen ihr Leben, als Roms Armee durch die Straßen Madrids zog, Tempel zerstörte und Priester niedermetzelte.

Ich gewann. Ich machte Spanien und all seine Städte dem Erdboden gleich und hinderte Philip II. daran, einen religiösen Sieg einzufahren. Es blieb jedoch nicht ohne Konsequenzen, dass ich meinen Fokus von den technischen Entwicklungen zum Krieg verlagert hatte. Westlich von mir verbrachte Deutschland die Jahre, in denen ich meinen Krieg gegen Spanien führte, still und heimlich mit der Weiterentwicklung seiner Technologie. Als ich Spanien endlich erledigt hatte, hatte Deutschland bereits seinen ersten Satelliten ins All geschickt. Ich lag im Rückstand.

Religion verändert das Spielerlebnis in Civilization 6. Es bietet schwächeren Zivilisationen einen einfachen, raffinierten Weg, schon früh oder mittig im Spiel einen Sieg zu erreichen. Das winzige Spanien, das völlig abgeschnitten von den Ressourcen auf dem fruchtbaren Kontinent sein Dasein auf einem schmalen Küstenstreifen fristete, hatte sich voll und ganz auf Tempel, Glauben und Missionare konzentriert—und beinahe gewonnen.

Es ist eine neue und aufregende Änderung, die mich als alten Civilization-Hasen etwas empfinden lies, was ich beim Spielen der Serie schon lange nicht mehr gefühlt hatte: eine echte Herausforderung.