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Zwischen Modeerscheinung und Masterplan: Chinas Großangriff im Fußball

Der chinesische Fußball-Boom kam wie aus dem Nichts. In China zieht man schnell Dinge hoch—und lässt sie wieder fallen. Doch der Staatspräsident setzt dieses mal auch auf Nachhaltigkeit.
YOAN VALAT // EPA

Vor Kurzem wollte ein reicher Club Barcelona-Urgestein Dani Alves abwerben, während ein anderer seine Fühler nach Barça-Mittelfeldspieler Arda Turan ausstreckte. Interesse für Spieler beim besten Verein des letzten Jahrzehnts ist wahrlich nichts Ungewöhnliches. Doch die Klubs, die die Offerten unterbreitet haben, waren weder die Neureichen von PSG oder Manchester City noch die Alteingesessenen von Manchester United oder Bayern München.

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Stattdessen war eine der Mannschaften Beijing Guoan. Die andere ist nicht bekannt, doch laut spanischer Presse war auch sie aus der chinesischen Super League.

Alves, der fast 33 und über seinen Zenit ist, wurden angeblich 30 Millionen Euro für drei Jahre geboten. Noch schockierender war das Angebot für Arda Turan, immerhin auch schon 29. Er wurde laut chinesischem News-Portal Sihu mit einem 100 Millionen Euro schweren 5-Jahres-Vertrag geködert. Das hätte den Türken zu einem der bestbezahlten Fußballer der Welt gemacht, obwohl er es wohl nicht mal in die Top 10 der besten Mittelfeldspieler schaffen würde.

Laut transfermarkt.de gehen fünf der sechs größten Transfers seit Januar auf das Konto von chinesischen Vereinen. Für Mittelfeldspieler Alex Teixeira etwa (der frühere kongeniale Partner von Bayerns Douglas Costa) überwies Jiangsu Suning 50 Millionen Euro an Schachtar Donezk und stach damit unter anderem Liverpool aus. Außerdem wechselte Jackson Martinez für 42 Millionen Euro von Atletico Madrid zu Ghuangzhou Evergrande. Weitere Hochkaräter, die in den letzten Monaten ins Reich der Mitte wechselten, waren Ramires, Gervinho, Robinho, Paulinho, Renato Augusto, Fredy Guarin, Ezequiel Lavezzi und Obafemi Martins. Und dann wäre da noch diese verrückte Zahl: Von den 50 teuersten Wintertransfers gehen vier auf das Konto von Tianjin Quanjian. Die Sache ist: Der Verein spielt in der zweiten chinesischen Liga.

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Und die Liste der kontaktierten Spieler ist noch deutlich länger. Viele von ihnen nutzen die generösen Angebote aus China als Druckmittel für besser dotierte Verträge bei ihren aktuellen Vereinen.

Einer der neuen China-Abenteurer: Jackson Martinez. Foto: Kimimasa Mayama/EPA

Jetzt, wo sich der Staub um das Winter-Transferfenster endgültig gelegt hat, lautet die Frage nicht mehr, wer als Nächstes nach China wechseln könnte, sondern ob das nur eine Modeerscheinung oder ein langfristiger Trend ist.

Chinas Wirtschaftswachstum flachte in der jüngeren Vergangenheit deutlich ab. Aus diesem Grund hat man von Staatsseite begonnen, den Übergang von der Produktion zu Dienstleistungen einzuleiten. Und Profifußball, als Unterhaltungsformat, ist eine Dienstleistung. In einem Land, wo viele Menschen plötzlich zu viel Geld gekommen sind und westliche Luxusgüter der letzte Schrei sind, wird auch Sport als Möglichkeit gesehen, ausländische Kommoditäten zu importieren. Nur dass die Kommoditäten in diesem Fall keine deutschen Nobelkarossen oder italienischen Luxury Brands, sondern Fußballer sind.

Doch auch Statussymbole ändern sich, und das manchmal ziemlich schnell. In seinem exzellenten Buch Age of Ambition: Fortune, Truth and Faith in the New China schreibt Evan Osnos über die typisch chinesische Vorliebe für kurzlebige Massentrends. „In den ersten Jahren nach der wirtschaftlichen Öffnung des Landes", schreibt Osnos, „waren die Leute verrückt nach westlichen Geschäftsanzügen. Dann wollten alle plötzlich Jean-Paul Sartre lesen und dann brach das Privattelefon-Fieber aus. Es ist schwer vorherzusagen, wann und wo im Land die nächste Modeerscheinung entstehen wird." Auch der Trend, teure Fußballstars aus dem Ausland zu kaufen, überrollte das Land und kam gefühlt aus dem Nichts.

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Diese starken Ströme in der chinesischen Kultur können dann auch zum Teil erklären, warum ein schon fußballverrücktes Land mit einem Mal anfing, große Namen in seine Super League zu importieren. Für die heimische Liga bedeutet das ein qualitatives Upgrade. Michael Pettis, Wirtschaftsprofessor an der Uni Peking, sagt, dass die meisten Chinesen vom erschreckenden Niveau in der Super League genervt seien, genauso wie von den Korruptionsskandalen, die den Fußball im Reich der Mitte über viele Jahre fest im Griff hatten. „Darum wäre man umso glücklicher, wenn China zu einem Big Player im Weltfußball aufsteigen würde", meint Pettis. In China zieht man Dinge traditionell schnell hoch. Darum beschloss man wohl auch, sich rasch eine ausländische Fußballkultur zuzulegen.

Übrigens ist das Kaufverhalten reicher Chinesen keine nationale Eigenart. Denn Fußball—und der massive Einkauf von ausländischen Stars—war schon immer ein Spiegelbild aktueller Wirtschaftsentwicklungen.

Als die italienischen Auto-, Food- und Medien-Tycoons in den 90ern auf dem Höhepunkt ihrer Macht waren, spielten die weltbesten Spieler in Italien. Als Russland reiche Oligarchen mit einer Schwäche für englischen Fußball hervorbrachte, wurden englische Vereine wie Chelsea plötzlich Tummelplatz für große Namen. Als während des Gasbooms auch andere Russen zu Geld kamen, wurde in die heimische Liga—mit Stars aus dem Ausland—investiert. Und als der russischen Wirtschaft langsam die Puste ausging, wurden die teuren Ausländer schnell verkauft.

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Auch Ex-Chelsea-Kicker Ramires spielt jetzt in China. Foto: PA Images

In Indien machte die I-League für kurze Zeit auf sich aufmerksam, als sie einige größere Namen verpflichten konnte. Doch bisher hat man das Ganze aufgrund fehlender finanzieller Stabilität nicht wirklich auf ein professionelles Niveau anheben können—was wiederum damit zusammenhängt, dass Indien in vielen Teilen des Landes noch weit von Modernität entfernt ist. Selbst die brasilianische Liga, seit Jahrzehnten ihrer besten Talente beraubt, hat sich kurz vor dem Heim-WM 2014—als die Wirtschaft kräftig anzog—aufgerichtet und einige gute Spieler zurück nach Brasilien locken können. Doch seit die Wirtschaft in Scherben liegt, blutet auch das Campeonato Brasileiro de Futebol wieder aus.

Der chinesische Kaufwahn ist Folge weitreichender wirtschaftlicher und kultureller Faktoren. Guangzhou wurde 2010 während Chinas Immobilienboom von einem Bauunternehmen für gerade mal 16 Millionen Dollar gekauft und war schnell in ganz Asien ein Begriff. 2014 wurden 50 Prozent der Anteile an Alibaba, einer der weltgrößten Internetfirmen, für 190 Millionen Dollar verkauft. Auch die meisten anderen Vereine gehören Unternehmen, die irgendwo zwischen staatlich geführt und „laissez-faire"-kapitalistisch anzusiedeln sind. So wird Fußball in China zunehmend zu einem Stellvertreter-Werbekrieg. Chinas Präsident und Parteivorsitzender, Xi Jinping, ist ein großer Unterstützer von all dem. Mittlerweile dient Fußball als eine Art Bindeglied zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor. Firmen biedern sich durch ihre Fußball-Investitionen Präsident Xi—der die heimische Sportindustrie bis 2025 zu einem 800 Milliarden Dollar schweren Business ausbauen will—an.

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Dabei muss das aktuelle Modell erst noch beweisen, dass es auch nachhaltig kann—auch wenn die neusten Entwicklungen gut aussehen. Die chinesische Super League hatte laut Forbes in den Jahren 2014 und 2015 Fernsehverträge, die ihr 8 bzw. 13 Millionen Dollar einbrachten. Doch durch einen neuen TV-Deal gibt es dieses Jahr schon 200 Millionen und in den kommenden fünf Jahren winken insgesamt 1,3 Milliarden Dollar. Eine Preissteigerung, von der sogar die Premier League nur träumen kann.

Dass die größten europäischen Clubs seit vielen Jahren durch China touren, sollte übrigens keinen wundern. Im Reich der Mitte leben mehr als 1,3 Milliarden Menschen, die neben einem ausgeprägten Nationalstolz auch von einer großen Faszination für den Westen geprägt sind. Mit anderen Worten ein riesiger Markt für Bayern, Real und Co.

Und wie sieht es mit heimischen Stars aus? Bis chinesische Eigengewächse den Weltfußball aufmischen werden, werden noch einige Jahre ins Land gehen. Doch es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, denn China überlässt nichts dem Zufall. Bis zum nächsten Jahr sollen sage und schreibe 20.000 Fußballschulen im ganzen Land ihre Pforten öffnen. „Die Nachwuchsarbeit hat begonnen und wird unabhängig von den Entwicklungen in der Super League vorangetrieben werden", sagt Tom Byers, ein US-Coach, der bei dem von Präsident Xi initiierten Entwicklungsplan mitwirkt. „Wir werden bei der Nachwuchsarbeit keine Abkürzungen nehmen. Das wird ein Marathon und kein Sprint, weswegen wir auch die zeitnahen Erwartungen dämpfen sollten."

In der Tat ist China gut beraten, realistisch in die Zukunft zu blicken. Wenn es tatsächlich die WM 2026 ausrichten darf, wofür sich Peking aktuell starkmacht, wird man—Stand jetzt—genug Schwierigkeiten haben, überhaupt ein wettbewerbsfähiges Team ins Turnier zu schicken. Bisher reichte es für China nur für eine einzige WM-Teilnahme (2002). Nicht einmal den verhältnismäßig schwachen Asian Cup konnte man bisher für sich entscheiden.

Wie bei allen vielversprechenden Zukunftsmärkten wird auch hier der Trick sein, das Interesse—und vor allem die Investitionen—über viele Jahre aufrechtzuerhalten. Und wenn sich in China auch Fußball nur als Modeerscheinung entpuppen sollte, könnte die Zeit der großen Namen und noch größeren Transfersummen schon bald wieder beendet sein.