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Lettland

Wettbetrug und Geldwäsche: Der bittere Untergang des lettischen Fußballs

Im letzten Jahr hat die erste lettische Liga ein Drittel ihrer Mannschaften verloren. Grund dafür waren verschobene Spiele und kriminelle Sponsoren. Kann ein neues Gesetz die Wende bringen?

In den 15 Jahren nach seiner Unabhängigkeit von der UDSSR gehörte Lettland immer wieder mal zu den erfolgreicheren Underdogs im europäischen Fußball. Skonto Riga (mittlerweile FC Skonto) hatte beispielsweise die besondere Ehre, das allererste Tor der Champions-League-Geschichte zu schießen. Und derselbe Verein—der erfolgreichste in dem kleinen Baltikum-Land—hat sich damals auf europäischer Ebene beachtlich geschlagen. 1996 konnte man im Camp Nou gleich zweimal in Führung gehen, gegen Inter Milan holte man ein Unentschieden und Aberdeen konnten man sogar schlagen.

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Auch die Nationalmannschaft war schon für die ein oder andere Überraschung gut. So konnte man sich 2004 sensationell für die EM in Portugal qualifizieren, wo die Mannschaft gegen Deutschland ein torloses Unentschieden zusammenmauerte. Wenn man bedenkt, dass in Lettland gerade mal zwei Millionen Menschen leben, sind das beachtliche Erfolge. In seiner Geschichte wurde das lettische Volk immer wieder von Großmächten untergebuttert, weswegen die Erfolge kurz nach der Unabhängigkeit für viele Menschen von großer Bedeutung waren.

Doch mittlerweile liegt der lettische Fußball am Boden, kaputtgetreten von korrupten Klubs und Wettbetrügern.

Die Spieler der lettischen Nationalmannschaft schaffen bei der EM 2004 ein 0:0 gegen Deutschland. Foto: PA Images

In der jüngeren Vergangenheit haben lettische Klubs fast nur noch mit Negativschlagzeilen für Aufmerksamkeit gesorgt. Das geht so weit, dass der lettische Ligaboss, Emils Latkovskis, zu einem der gebeuteltsten Akteure im europäischen Fußball geworden ist. Als ich von ihm im Juli wissen wollte, ob es möglich sei, mit den Besitzern des kurz zuvor pleite gegangenen Vereins FK Daugava Riga zu sprechen, gab er mir eine genauso ehrliche wie verbitterte Antwort: „Viel Erfolg, nicht einmal die Polizei weiß, wo die stecken."

Dieser Zynismus kommt nicht aus dem Nichts. Der Präsident der Virsliga musste mit ansehen, wie seine Liga in wenigen Wochen von zehn Mannschaften auf sieben reduziert wurde, während sich die Unterwelt schön die Taschen füllte.

Die Probleme begannen im März 2015, kurz vor Beginn der neuen Saison. FC Daugava Daugavpils—eine Mannschaft, die schon seit längerer Zeit im Verdacht stand, Spiele geschoben und Misswirtschaft betrieben zu haben—wurde vonseiten der Virsliga informiert, dass es für die kommende Spielzeit keine neue Lizenz geben werde. Der Grund: Die Bilanzen waren lücken- bis fehlerhaft. Der Verein wurde in die dritte Liga strafversetzt.

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Doch das war erst der Anfang. Daugava Riga—die schon in der Champions-League-Quali gespielt haben—erhielten nur wenige Tage später dasselbe Urteil: Zwangsabstieg. Nur dass der Verein beschloss, seine Fußballabteilung gleich ganz einzustellen, anstatt den Gang in die amateurhafte dritte Liga anzutreten. Das kann man mal konsequent nennen.

„Wir konnten ihnen keine Lizenz ausstellen", erklärt Latkovskis in einem fast schon entschuldigenden Tonfall. „Es müssen bestimmte Kriterien erfüllt werden, die aufzeigen, wo das Geld für den kommenden Etat herkommt. Gegen Vereine, bei denen es hinsichtlich ihrer Geldquelle große Zweifel gibt, muss vorgegangen werden.

„Bei einigen Mannschaften stößt man auf ein Finanzierungsmodell, das keinen Sinn ergibt. Viele Sponsoren unterstützen Teams aus der eigenen Tasche. Spannend wird es, wenn man diese Personen fragt, warum sie sich im Fußball engagieren und wo ihr Geld herkommt. Warum werden manche Spieler von einem bereits unter Verdacht stehenden Klub zu einem anderen transferiert?

„Lettland ist ein sehr kleines Land. Für gewöhnlich weiß man, wer einen Verein finanziert, wer noch so alles mitwirkt und was die Interessen des jeweiligen Investors sind. Im Idealfall weiß man, dass diese Menschen Fußball lieben und darum ihr Geld einsetzen.

„Anders ist es bei Personen, bei denen das Geld von Aktivitäten kommt, die nichts mit Fußball zu tun haben. Wir sprechen von Geldwäsche, Drogen, Menschenhandel… Als wir die Lizenzen ausstellten wollten, mussten wir die Vereine fragen, was für Geld sie verwenden und was sie damit vorhaben. Wir glauben, dass bei den ausgeschlossenen Vereinen illegal erwirtschaftete Gelder eingesetzt wurden, um sie zu verstecken."

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Im Juni 2015 fiel dann auch für den dritten Verein in der Virsliga der Vorhang. FB Gulbene, die nach acht Spielen abgeschlagen Tabellenletzter waren, wurden aus der Liga geschmissen, weil sie zwei Spiele verschoben haben sollen. Gegen FK Spartaks und FC Skonto setzte es jeweils eine heftige Klatsche. So hatte die höchste lettische Spielklasse in nur 12 Wochen 30 Prozent ihrer Teams verloren, kriminellen Machenschaften sei Dank.

Der lettische Fußball liegt nach Jahren der Korruption noch immer am Boden. Foto: imago

„Wir hatten bei Gulbene schon länger einen Verdacht, aber diese beiden Spiele haben es dann besiegelt", so Latkovskis. „Wir wussten immer, dass sie mit den falschen Personen zu tun hatten, vor allem als sie noch in der zweiten Liga gespielt haben. Aber jetzt haben wir Spieler verhört und Berichte von der UEFA bekommen und sind uns deswegen zu 100 Prozent sicher, dass sie Spiele manipuliert haben.

„Wir haben mit ihnen intensive Gespräche geführt, um herauszubekommen, was da vor sich geht. Doch dann wurde deutlich, dass auch das Management an den Manipulationen beteiligt gewesen sein muss. Aus diesem Grund hatten wir nur eine Wahl: Gulbene aus der Liga auszuschließen."

Wenn er nicht gerade dabei zusehen musste, wie sich ein Verein nach dem nächsten aus der Liga verabschiedete, kämpfte Latkovskis mit der Regierung, um zu bewirken, dass Spielmanipulationen strafbar gemacht werden. Ohne die entsprechende Gesetzgebung konnte Latkovskis nur wenig ausrichten.

„Wir müssen Spielmanipulationen endlich kriminalisieren", erzählte mir Latkovskis im August 2015. „Aktuell kann man nur für Vergehen wie Geldwäsche belangt werden. Doch die ist sehr schwer nachzuweisen, was uns das Leben erschwert."

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Das sieht der Präsident des lettischen Fußballverbandes, Janis Mezeckis, genauso:

„Diese drei Vereine waren mit großer Sicherheit in Spielmanipulationen verwickelt, doch mehr kann ihnen die Polizei nicht nachweisen", erzählte mir Mezeckis im August 2015. „Wir haben mit dem Justizministerium darüber gesprochen, gesetzliche Änderungen vorzunehmen, um auch Manipulationen zu einem Straftatbestand zu machen. Ich bin sicher, diese Änderungen werden kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit."

Fans bei einem Spiel in der Virsliga. Foto mit freundlicher Genehmigung des lettischen Fußballverbandes

Die Bitten von Mezeckis und Co. wurden im Februar dieses Jahres erhört. Die lettische Regierung erließ eine Gesetzesänderung, derzufolge Versuche, Spiele zu manipulieren, von nun an strafbar sind. Da das Gesetz aber nicht rückwirkend ist, wird man wohl nie an die Hintermänner von Daugava Riga, Daugava Daugavpils und Gulbene herankommen. Trotzdem stellt es die Weichen auf eine bessere Zukunft im lettischen Fußball.

Und die Änderung scheint erste Früchte zu tragen. In dieser Saison scheint die Virsliga bisher sauber gewesen sein, und Latkovskis ist zuversichtlich, dass die kriminellen Elemente aus dem lettischen Fußball erfolgreich entfernt werden konnten—zumindest für den Moment. Denn auch wenn es in dieser Spielzeit noch keine Partien gab, die einen Verdacht auf Manipulationen geweckt hätten, ist keiner so naiv zu glauben, dass es auch in Zukunft so bleiben wird. Vor Beginn der aktuellen Saison gab es erneut einen Rückschlag, nämlich dann, als dem erfolgreichsten Verein des Landes—dem 15-maligen Meister FC Skonto—die Lizenz verweigert wurde. Der muss jetzt in der zweiten Liga spielen.

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Der frühere Nationalmannschaftskapitän, Vitalijs Astafjevs, ist im Mai als Vereinsboss von FK Jelgava zurückgetreten. Zwei Jahre hatte er versucht, gegen Korruption im lettischen Fußball anzukämpfen. Sein Ex-Klub wurde nie wegen Manipulationen verdächtigt, trotzdem waren die zwei Jahre eine ernüchternde Erfahrung für Astafjevs. „Dem Fußball in Lettland geht es nicht gut", resümiert er verbittert. „Er ist schlechter aufgestellt als noch vor zehn Jahren. Dazu gibt es kein Geld. Junge Spieler sind für Betrüger empfänglich, weil man als Fußballer kaum etwas verdienen kann. Es ist praktisch unausweichlich."

Heutzutage macht der lettische Fußball auf europäischer Ebene nur in Gerichtssälen auf sich aufmerksam. Im November 2015 führte eine Razzia zur Untersuchung eines Champions-League-Quali-Spiels aus dem Jahr 2013. Damals hatte der FC Daugava gegen den IF Elfsborg aus Schweden mit 1:7 verloren. Es war die größte Schlagzeile, für die ein Klub aus Lettland seit langer Zeit gesorgt hatte. In dieser Saison waren Anfang August schon alle vier Qualifikanten für die beiden europäischen Wettbewerbe rausgeflogen.

Trotzdem kann die Virsliga Mut daraus schöpfen, dass die bisherige Saison so glatt verlaufen ist. Auch die Tatsache, dass jetzt nur noch acht Mannschaften mitspielen, sei eine positive Entwicklung, meint Latkovskis. Er ist der Auffassung, dass ein so kleines Land wie Lettland besser mit einer kleineren Liga bedient sei. Schließlich würde das auch einen ausgeglicheneren Wettkampf garantieren.

„Lieber acht Teams, die alle sauber sind, als zehn Teams, wo man bei einigen nicht weiß, wo die ihr Geld hernehmen."

„Wir wollen nicht zu der Situation zurückkehren, wo der Tabellenführer den Tabellenletzten mit 7:0 oder 8:0 vom Platz fegt. Uns geht es um Qualität, nicht um Quantität. Wir sind mit acht Teams zufrieden", meint er etwas zögerlich, bevor er sich korrigiert: „Vielleicht ist zufrieden das falsche Wort. Auf jeden Fall sind wir jetzt besser dran als vorher."