Warum einfach niemand der EM entkommen kann
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Warum einfach niemand der EM entkommen kann

Der fußballverrückte Autor Ben Redelings hat sich einen Monat lang von seinem Lieblingssport isoliert. Nachrichten waren tabu und Gespräche mit Freunden ein Drahtseilakt. Geht das auch bei der EM?

Autor und wandelndes Fußballlexikon Ben Redelings liebt Fußball. Über die schönste Nebensache der Welt hat er bereits mehrere Bücher geschrieben, trotzdem hat er sich letztes Jahr entschieden, einen gesamten Monat komplett auf Fußball zu verzichten. In der Schlussphase der vergangenen Saison wollte und durfte er nichts mitbekommen. Das Experiment war nur durch extreme Isolation möglich und jeder Gang an die Öffentlichkeit drohte es zum Scheitern zu bringen. Wir haben ihn gefragt, ob er die Zeit bereut hat und ob es möglich ist, der EM komplett aus dem Weg zu gehen.

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VICE Sports: Hallo Ben, bist du in EM-Stimmung?
Ben Redelings: Momentan noch mit angezogener Handbremse. Ich taste mich langsam ran, aber das ist auch meiner Erfahrung und meinem Alter geschuldet. Es sind vier anstrengende Wochen, da muss man sich nicht gleich am Anfang verausgaben.

Hat sich dein Experiment vom letzten Jahr auf die Vorfreude ausgewirkt?
Ich denke nicht, dass es damit zusammenhängt. Eine Müdigkeit gegenüber dem Fußballhype war auch schon vorher da, sonst hätte ich das Experiment auch nicht gemacht. Das Ganze, was um ein Turnier herum passiert—dass man keinen Supermarkt betreten kann, ohne erdrückt zu werden—führte eher dazu, dass meine Begeisterung abnimmt. Eigentlich ist das schon seit 2006 so.

War es eine Trotzreaktion auf etwas Bestimmtes?
Nein, einen direkten Grund hatte es nicht. Das hat sich über die Jahre hinweg einfach so kumuliert. Wenn sich die Medien mit Superlativen überbieten und Spiele oder Turniere schon vorher als „die besten aller Zeiten" anpreisen, nimmt mir das irgendwie die Lust.

Ben Redelings, über sein Experiment hat er ein Buch geschrieben; Foto: www.scudettoblog.de

Welche Erkenntnisse konntest du gewinnen?
Was mir besonders bewusst geworden ist, ist, dass man nur noch hin und her hetzt zwischen sogenannten „Highlights". Früher waren die wenigen Live-Übertragungen noch richtige Ereignisse. Heute wird einfach alles gezeigt, man wird vom Fußball fast erdrückt.

Hast du die Zeit bereut?
Nein. Überraschenderweise hatte ich auch überhaupt nicht das Bedürfnis, irgendwelche Spiele im Nachhinein anzusehen.

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Wie waren die Reaktionen von Freunden und Kollegen?
Viele haben nicht verstanden, warum ich es mache: freiwillig auf etwas zu verzichten, was mir großen Spaß macht. Viele waren auch überzeugt, dass es unmöglich ist. Es geht, aber es ist schon ein ziemlicher Schritt aus der Welt hinaus. Nach ein paar Tagen hatte ich nicht nur im Fußball den aktuellen Stand verloren, sondern auch was das Weltgeschehen angeht. Das Risiko, dass plötzlich in den Nachrichten Fußball angesprochen wird, war schließlich immer da.

Was hat dir am meisten gefehlt?
Mir hat weniger das Spiel an sich gefehlt, sondern vor allem der Kontakt mit den Freunden und der Familie. Es war schon fast eine selbstgewählte Isolation. Man musste beim Gang in die Öffentlichkeit extrem aufpassen. Schon normales U-Bahn-Fahren wurde dadurch erschwert, dass die Infobildschirme häufig Fußballmeldungen zeigen. Normale Smalltalk-Gespräche waren ebenfalls schwierig. Ich habe in der Zeit deutlich häufiger über das Wetter geredet als sonst. Einmal wurde ich sogar auf dem Geburtstag eines Familienangehörigen kurz rausgeschickt, weil sie über Fußball reden wollten. Das war schon bitter.

Wäre es überhaupt möglich, das Gleiche bei der EM durchzuziehen?
Nein, ich denke nicht. Bei Welt- und Europameisterschaften sprechen so viele Leute über Fußball, die das zu Bundesligazeiten gar nicht machen, dass man sich dem Ganzen eigentlich nicht entziehen kann. Wenn, dann müsste man sich schon extrem zurückziehen und wahrscheinlich in ein Land fahren, in dem der Fußball überhaupt keine Rolle spielt. Ich frage mich allerdings, ob es so ein Land überhaupt noch gibt. Ich denke, es wäre mittlerweile nicht einmal im Kloster möglich. Die letzten Päpste haben sich alle für Fußball interessiert und unser Papst Benedikt ist ja sogar mit Paul Breitner verwandt.

Du würdest es also nicht noch einmal machen?
Nein, wenn man sich für den Fußball entscheidet, ist es schließlich auch etwas Schönes. Die gemeinsamen Momente in der Kurve im Stadion oder mit Freunden vor dem Fernseher würde ich definitiv gegen nichts anderes eintauschen wollen.

Vielen Dank Ben, wir wünschen dir noch eine schöne EM.