FYI.

This story is over 5 years old.

hack-a-wen-auch-immer

Welcher Mensch braucht Freiwürfe?

Freiwürfe können zum echten Nervtöter werden. Außerdem stehen sie auch für ein nicht besonders faires Regelwerk. Aber gibt es überhaupt eine Alternative?

Der Freiwurf ist eine verflixte Sache. Wenn die Regeln beim Basketball dafür sorgen sollen, dass das Spiel schöner wird, ist der Freiwurf definitiv ein schwerer Systemfehler—und zwar einer, der im Schnitt gleich 46 Mal pro NBA-Begegnung passiert. Denn jedes Mal, wenn der Gefoulte an die Freiwurflinie tritt und, ohne dass seine Gegenspieler dazwischenfunken dürfen, zum Wurf ansetzt, hat das Ganze plötzlich was von einem Dart-Match. Aber auf den ersten Blick gibt es eben auch keinen Ausweg aus dem Dilemma. Schließlich muss ja irgendeine Bestrafung her, wenn ein Spieler beim Wurf gehindert wird, oder?

Anzeige

Wenn eine Basketballregel lange genug Bestand hat, kann man sich sicher sein, dass sie auf die eine oder andere Art ausgenutzt wird. Und wir erreichen anscheinend gerade einen Punkt, an dem die bestehenden Foulregeln ihren eigentlichen Zweck nicht mehr wirklich erfüllen. So richtig haben sie das eh noch nie. Denn welcher verteidigende Spieler hat sich jemals davon abbringen lassen, einen Spieler, der zum Korb zieht, zu foulen, nur weil der dafür zwei Freiwürfe bekommen könnte? Doch die jüngsten Hack-a-wen-auch-immer-Exzesse haben für reichlich Gesprächsstoff in der NBA gesorgt und die Frage aufgeworfen, ob die US-Basketballliga nicht eine Änderung des Regelwerks nötig hat. Vielleicht muss man sich aber auch nur das bald entschlossene, bald verzweifelte Gesicht eines DeAndre Jordan anschauen, wenn er wieder an die Freiwurflinie treten muss und scheitert, um zu verstehen, dass die Zeit reif ist für eine Reform der Foulregeln.

Abhilfe könnte eine recht simple Änderung schaffen, die bei vielen Seiten Zuspruch findet: Wenn Fouls gepfiffen werden, um das Team, das bei seiner Offensivaktion behindert wurde, zu begünstigen, dann macht es keinen Sinn, dass auch schlechte Freiwurfschützen an der Linie antreten müssen. Denn das bedeutet für das gefoulte Team in den meisten Fällen weniger bis gar keine Punkte. Darum wäre es sinnvoller, wenn man auch die Wahl hätte, auf seine Freiwürfe zu verzichten und stattdessen einen Einwurf samt zurückgesetzter Shotclock zu bekommen. NBA-Commissioner Adam Silver gilt als äußerst aufgeschlossen, weswegen es durchaus denkbar ist, dass schon bis kommenden Oktober eine Änderung auf dem Tisch liegt.

Von diesem Wurf hat keiner was—mit Ausnahme des gegnerischen Teams, versteht sich. Foto: Chris Humphreys—USA TODAY Sports

Aber noch interessanter ist wohl die Fragestellung, warum sich Regeln überhaupt im Laufe der Zeit verändern. Spurs-Coach Gregg Popovich, von dem man weiß, dass er die Regeln seines Sports gerne bis äußerste Ende ausreizt, rechtfertigt seine Taktik des Hack-a-wen-auch-immer, indem er findet, dass „„Freiwürfe eben Teil des Spiels" sind. Auch wenn er durchaus ein paar Bauchschmerzen bei der Sache hat: „„Wenn das andere Team Spieler hat, die keine guten Freiwurfschützen sind, versuchst du natürlich, das auszunutzen. Am Ende willst du schließlich gewinnen. Macht es aber das Spiel weniger ästhetisch? Macht es das Spiel unschön? Absolut, das Spiel wird dadurch wirklich hässlich!" Antworten dieser Art erklären wohl auch Popovichs große Strahlkraft, denn er verbindet die Werte eines Pragmatikers mit denen eines Ästheten. Am Ende sind es aber stets pragmatische Gesichtspunkte, die bei seinen Entscheidungen als Couch den Ausschlag geben. Das ist auch gleichzeitig das Dilemma hinter jedem Regelwerk: Die Ziele der Ligaverantwortlichen, das Spiel durch ihre Regeln fair und vor allem ansehnlich zu machen, sind unterm Strich unvereinbar mit den Zielen einzelner Teams und Spieler, die zwar an diese Regeln gebunden sind, aber dennoch jedes Schlupfloch ausnutzen werden, um zu gewinnen. Und wenn das Schlupfloch zu einem unansehnlichen Spiel führt, dann kann man das nicht ändern.

Das Gegenteil von Hack-a-wen-auch-immer stellt James Harden dar, der unglaublich viele Fouls zieht. Und wenn Harden mal wieder Dauergast an der Freiwurflinie ist, steigt das Einnickrisiko extrem. Dabei ist es nicht so, dass er etwas verstanden hätte, was seinen NBA-Kollegen bisher entgangen wäre: dass man nämlich von der Linie leichte Punkte erzielen kann. Vielmehr ist sein ganzes Spiel darauf ausgelegt, möglichst viele Fouls zu ziehen, um möglichst viele Freiwürfe zugesprochen zu bekommen. Er spielt hervorragenden Basketball, aber eben auch Basketball für Taktik-Nerds.

Foul-Limits und das richtige Fingerspitzengefühl der Referees, in eh schon schleppenden Spielen nicht alles abzupfeifen, machen eine Diskussion darüber, ob man gegen Spielertypen wie Harden vorgehen sollte, überflüssig. Das heißt aber nicht, dass ihre Spielweise in irgendeiner Form spannender wäre als Andre Drummonds Auftritte an der Freiwurflinie, wenn er einen Ball nach dem nächsten auf den hinteren Teil des Rings setzt. Ob nun erfolgreich verwandelt oder kläglich geworfen—der Freiwurf ist in den meisten Fällen eine langweilige Unterbrechung eines ansonsten majestätischen Spiels. Er ist aber auch gleichzeitig ein notwendiger Aspekt dieses Sports. Er ist gewissermaßen der Papierkram im Basketball. Es gibt ihn, weil es ihn geben muss, aber je seltener er vorkommt, desto besser ist es.