Die zwei Leben eines Dynamo-Fans gegen Leipzig
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Die zwei Leben eines Dynamo-Fans gegen Leipzig

Im Pokalspiel gegen RB Leipzig war die erste Halbzeit große Scheiße und danach alles großer Wahnsinn. Das klassische Gefühlschaos eines Dynamo-Anhängers in zwei Akten.

Uwe Leuthold schreibt seit fünf Jahren im Blog Spuckelch über Dynamo Dresden. Er bietet den Fußballfans im Allgemeinen und den Dynamo-Anhängern im Besonderen die Chance, über sich selbst zu lachen, weil man ja gerade in Dresden meist nicht viel zu lachen hat. 2016 ist Spuckelch als „Fußballblog des Jahres" für den Fanpreis der „Deutschen Akademie für Fußball-Kultur" nominiert.

Für VICE Sports berichtete er von seinem Gefühlschaos im Spiel gegen RB Leipzig.

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Wo bleibt der freche Außenseiter?

So ein Scheißspiel. Seit Wochen freu ich mich darauf, dass meine Dynamos endlich mal den synthetischen Rasenballern aus der falschen Stadt ordentlich eine verpassen und zeigen, was es heißt mit Leidenschaft für den traditionsreichsten Verein der Dynamowelt zu spielen. Und dann sowas. Hier geht heute gar nichts. Die Leipziger lassen keinen Zweifel aufkommen, wer hier Herr im Haus ist. Abgezockt kontrollieren sie das Spiel und lassen sich trotz ihrer Jugend von der Kulisse in keiner Weise beeindrucken oder aus der Ruhe bringen. Wie kann denn sowas sein? Fehlt denen jeder Respekt? So war das nicht geplant!

Dynamos Goldfüße bekommen nichts auf die Reihe. Dieser Aosman stürzt planlos durch die Gegend, Stefaniak scheint den Verantwortlichen von RB Leipzig beweisen zu wollen, dass es die richtige Entscheidung war, ihn nicht zu verpflichten. Da geht gar nichts. Nach vorne nur lange Bälle. Die allerspätestens mit dem zweiten Anlauf von der souveränen Leipziger Defensive einkassiert werden. Jetzt hängt euch doch mal richtig rein! Ich brüll mir hier die Stimme kaputt und ihr da unten bekommt nicht mal eine ordentliche Anfangsoffensive hin, von der in der Zusammenfassung der Kommentator sagen kann: „Beim Duell David gegen Goliath tritt der Außenseiter frech auf. Ein Klassenunterschied ist nicht zu erkennen." Keine Spur von einem frechen Außenseiter. Wissen die überhaupt, um was es heute geht? Aber weiß ich denn, worum es heute geht?

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Die Rot-Weißen da sind mir vollkommen egal. Noch mehr, als ich dachte. Mit denen verbinde ich gar nichts. Ich merke, dass meine Abneigung nicht reicht, um so richtig motiviert zu sein. Es fühlt sich an, als würden die sich durchaus redlich bemühenden Fans (bei denen sich im persönlichen Kontakt immer wieder rausstellt, dass das tatsächlich auch Menschen sind—manchmal sogar nette) so tun, als wären sie echte Fußballfans. Sie spielen es nur. Wie würden denn bitte die Jungs von Lok oder Chemie ausrasten, wenn die jetzt dort stünden und ihre Mannschaft 1:0 führt. Gegen Dresden! Gegen Scheiß Dynamo! Aber von denen, die ihren Platz eingenommen haben, kommt wenig. Trotz Führung. Sie bekommen von uns auch kein „Warum seit ihr Huren so wenig…." oder „Leipzig, ihr Hunde. Habt ihr Lust zu spielen…" Das wäre zu viel der Ehre. Wozu auch? Kommt ja ohnehin nichts zurück. Aber wir sind für sie wahrscheinlich auch nur irgendein Gegner auf dem Weg zu Real Madrid. Sie haben nichtmal den Gästeblock voll bekommen, obwohl es nur 110 Kilometer sind.

Dieser 8er von Leipzig macht mich wahnsinnig. Der ist überall. Ein bisschen wie bei Hase und Igel. Wo der Ball hinkommt, ist Keita schon da. Der muss sich doch ein Lachen verkneifen, wenn er mal wieder Stefaniak abkocht.

Jetzt läuft „Steffi" auch noch ins Aus. Mit dem Ball am Fuß. So kann das nichts werden. Der Kutschke bekommt auch gar kein Bein auf den Boden. War der eigentlich schon mal am Ball? Was hat der Neuhaus überhaupt für eine Truppe heute aufs Feld geschickt? Wo ist Torjäger Pascal „Paco" Testroet? Warum spielt Antreiber Lumpi Lambertz nicht? Warum lässt der nicht mit zwei Stürmern spielen, wie sonst auch? Spätestens seit Mehmet Scholls Rüffel an Jogi Löw nach dem Italien-Spiel, weiß auch der letzte Kreisklassen-Trainer, dass es gar nicht geht, seine Taktik auf den Gegner einzustellen.

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Und was macht der Schwäbe im Tor? Seine Spieleröffnung ist eine Katastrophe. Jeder Abschlag oder lange Ball landet beim Gegner, im Niemandsland oder verlässt gleich das Spielfeld. Dann hält er nicht mal den Kopfball von Sabitzer. Den hätte sogar ich mit der Mütze gefangen. 0:2. Pause.

Leverkusener Hoffnungsschimmer

Der Capo motiviert uns: „In der zweiten Halbzeit nochmal richtig Ballett. Alles für die Mannschaft geben." Ich würde mir wünschen, das die Mannschaft mir mal was gibt. Nur eine Kleinigkeit. Was zum Aufputschen. Oder bin ich gar ein Erfolgsfan und müsste auf der anderen Seite stehen?

Unterdessen wird mir DER Hoffnungssatz in Dauerschleife um die Ohren gehauen. „Denk an Leverkusen". Stadionsprecher, Interviewpartner in der Halbzeitpause, Mitsteher um mich herum, mein Bruder. Alle reden nur von Leverkusen. 2011 hatte Dynamo als Zweitligaaufsteiger in der ersten DFB-Pokalrunde gegen Bayer 04 gespielt und 0:3 zurückgelegen—aber das Spiel am Ende 4:3 nach Verlängerung gewonnen. Aber es kann ja auch im Pokal nicht immer ein „Leverkusen" geben, wenn wir es uns wünschen. Und die Leipziger sind heute zu stark, zu abgebrüht. Immerhin haben sie das viele Geld für ordentliche Spieler ausgegeben.

Los jetze

Anpfiff zweite Halbzeit. Elfmeterpfiff für Dynamo. Kutschke läuft an. Der verschießt doch! Der Druck gegen seinen Ex-Verein ist einfach zu groß. Und so gut ist er ja nun auch nicht. Wieso lassen die ausgerechnet den ran? Tor! 1:2. Jaaa, Kutschkeeee! Fußballgott! Los jetze. Jetzt ist Feuer drin. Die Fans sind die Wand, die Sitzplätze stehen. Aber so richtig beeindruckt wirken die Leipziger davon immer noch nicht. Wissen die denn nicht, wen sie hier vor sich haben?

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Aber wir gehen ab und zeigen, wofür wir stehen, wer wir sind, was uns ausmacht: bedingungslose Leidenschaft. Aosman ist heute so stark, kämpft, fordert den Ball, lässt auch mal einen aussteigen. Ganz große Vorstellung. Genau wie Stefaniak. Da werden sich die Rasenballer aber ärgern, dass sie den noch nicht verpflichten konnten. Kutschke, dieser Zauberfuß macht sogar noch das 2:2. Was für eine Mannschaft! Schon wieder einen Rückstand egalisiert. Hut ab, vor diesem Trainer, der zu so einem wichtigen Spiel diese sensationelle Aufstellung aus dem Hut zauberte. Alles richtig gemacht.

Und von RB kommt nichts mehr. Dünne. Behäbig. Wofür haben die eigentlich ihre Millionen ausgeben? Auf dem Spielfeld sieht man nichts davon. Verlängerung. Die Spieler sind stehen K.o., nutzen jede Gelegenheit, sich die Krämpfe aus den Beinen zu dehnen.

Elfmeterschießen. Ich bin stehend K.o.! Seit mehr als 120 Minuten nichts getrunken und vorher auch nur Alkohol. Im Block steht ein Dunst wie im Dampfbad. Stimmbänder kaputt. Aber für diese tolle Mannschaft habe ich gern alles aus mir raus geholt.

Schwäbe, dieser Teufelskerl, hält den Elfer von Kaiser. Gogia und Aosman verwandeln. Sieg! Leipzig ist das neue Leverkusen! Jetzt fühlt es sich wieder gut an. Wir Gallier haben es den Erobern nochmal so richtig gezeigt. Sportlich. Auf dem Platz. Auf den Rängen. Für einen Tag war Dynamo gefühlt der beliebteste Verein Deutschlands. Gratulationen von Anhänger aller Vereine stapelten sich bei Facebook. Bis die Nachricht die Runde macht, dass ein echter Bullenkopf vom Fanblock in den Innenraum befördert wurde. Und schon waren die meisten Sympathien wieder dahin.

Egal, damit könnte man als Dynamo-Fan ohnehin nicht umgehen. Aber wir bleiben die Nummer eins in Sachsen. Mindestens zum nächsten direkten Duell und das wird hoffentlich sehr sehr weit in der Zukunft liegen.