Was wir gegen Gewalt gegen Obdachlose machen können
Titelfoto: Ein Obdachloser am Kottbusser Tor | Foto: imago | Revierfoto

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Obdachlosigkeit

Was wir gegen Gewalt gegen Obdachlose machen können

17 Obdachlose wurden im letzten Jahr getötet, 128 verletzt. Viele trauen sich aber gar nicht erst, Anzeige zu erstatten.

17 Obdachlose wurden im letzten Jahr getötet, 128 verletzt. Diese Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG) sind mit einem "mindestens" überschrieben. In vielen Bundesländern gibt es noch nicht einmal sauber erhobene Zahlen, wie viele Obdachlose es überhaupt gibt—geschweige denn Zahlen über Gewalt gegen sie.

Auf Anfrage schreibt uns das Ministerium für Arbeit und Soziales, dass die Bundesregierung zum Thema Gewalt gegen Wohnungslose keine eigenen Erkenntnisse hat. Für die Betreuung von Obdachlosen seien die Länder und Kommunen zuständig, für Gewaltkriminalität die Strafverfolgungsbehörden. Man wolle kein Statement abgeben.

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Wer schlägt auf die Schwächsten einer Gesellschaft ein? Die BAG unterscheidet zwischen Gewalt durch obdachlose und nicht-obdachlose Täter. Es sind in etwa gleich viele. Sind die Täter nicht selbst wohnungslos, spielen laut BAG "menschenverachtende und rechtsextreme Motive häufig eine zentrale Rolle".

Auch junge, geflüchtete Männern versuchten dieses Jahr in Berlin, einen Obdachlosen anzuzünden. Gewalt gegen Menschen auf der Straße hat allerdings nicht zugenommen, als mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Das zeigen die konstanten Zahlen der Wohnungslosenhilfe.

Frieder Krauß von der Obdachlosenhilfe Berlin ist bis zu zweimal in der Woche unterwegs, um Essen, Schlafsäcke und Kleidung zu verteilen. Wir haben ihn gefragt, was er von den Menschen über Gewalttaten hört und was wir dagegen tun können.

VICE: Was erzählen dir Wohnungslose auf deinen Touren, welche Gewalt widerfährt ihnen?
Frieder Krauß: Letzte Woche kam ein Mann zu uns an den Essensstand, mit ausgeschlagenen Zähnen. Es war ein Imbissbudenbesitzer, hat er erzählt, der nicht wollte, dass vor seinem Laden ein Obdachloser sitzt. Solche Geschichten hören wir regelmäßig. Es passiert auch oft, dass jemand erzählt, wie er brutal aus der U-Bahn oder den Bahnhöfen gezerrt wurde—auch von Securitys der Berliner U- und S-Bahnen.

Von Kontrolleuren?
Wir haben das aus zweiter Hand, aber das wird uns so erzählt. Gerade BVG-Angestellte und andere private Securitys, die immer wieder mit Obdachlosen zu tun haben, sollten besser geschult werden. Auch bei den Beamtinnen und Beamten der Polizei wäre das sinnvoll.

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Die Wohnungslosenhilfe spricht auch von Angriffen aus der rechten Szene.
Ja, die Menschen erzählen von Leuten, die sie "Asoziale" oder "Volksschädlinge" nennen, rumschubsen oder eben aus der U-Bahn schmeißen. Wir haben Leute, die zum Beispiel auf Russisch übersetzen und vermitteln, wenn die Obdachlosen Anzeige erstatten wollen. Oft trauen sie sich alleine nicht.

Warum trauen sie sich nicht, zur Polizei zu gehen?
Viele haben schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Obdachlose werden ständig kontrolliert, oft pöbeln sie dann. Die Polizei wird aber nicht gern angepöbelt, dann kommt es zu Stress. Andere haben es erlebt, mit ihren Anliegen von der Polizei nicht ernst genommen zu werden.

Wie groß ist das Gewaltproblem auf der Straße, wenn du es mit Kälte oder Hunger vergleichst?
So einfach lässt sich das nicht vergleichen. Das Problem ist, dass alles zusammenhängt. Weil sie angegriffen und beklaut werden, tragen sie ihre Sachen immer bei sich—und werden weniger mobil. Dass wird nicht besser, wenn jemand einen Bezirk nicht mehr betritt, in dem er schon zusammengeschlagen wurde. Mit offenen Wunden ist ein Mensch anfälliger für Krankheiten, mit Krankheiten lässt es sich schlechter schnorren.

Wie können wir helfen, wenn wir Gewalt gegen Menschen auf der Straße mitbekommen?
Wenn man sich traut, kann man helfen. Keiner muss sich selbst in Gefahr bringen. Aber wer etwas mitbekommt, etwa Gewalt gegen Obdachlose in der U-Bahn, kann Zivilcourage zeigen und etwas sagen. Wenn Menschen akut in Gefahr sind und es keine andere Möglichkeit gibt, einzuschreiten, sollte man trotz allem die Polizei rufen.

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