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Werden korrektive Hirnimplantate eines Tages die Todesstrafe ersetzen?

Ist die Behandlung von Gewaltverbrechern mit verhaltenskorrigierender Technologie humaner als die Todesstrafe?
Foto: Shutterstock

Hirnimplantate zählen zu den futuristischsten Technologien, an denen unsere Mediziner im 21. Jahrhundert arbeiten. Schon heute vereinfachen Hirnschrittmacher das Leben von Parkinsonpatienten, während auch die Forschungsbehörde des Pentagons längst mit Millionenbeträgen in die Entwicklung von Hirnimplantaten eingestiegen ist—unter anderem um eines Tages per Neuro-Schalter posttraumatische Belastungsstörungen behandeln zu können.

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Warum also könnte nicht auch eine der kontroversesten gesellschaftspolitischen Debatten der Gegenwart mit Hilfe einer technischen Lösung angegangen werden? Könnte die Todesstrafe in der Zukunft durch Hirnimplantate, die das menschliche Verhalten steuern und optimieren, abgelöst werden?

Während in Ländern wie den USA oder China noch heute massenhaft Menschen hingerichtet werden, haben viele demokratischen Gesellschaften die Todesstrafe abgeschafft. Kritiker verweisen auf Hinrichtungen, bei denen die Kriminellen erst nach einem langen, qualvollen Todeskampf starben. Befürworter pochen dagegen darauf, dass die Todesstrafe Gewaltverbrechen verhindern könne—und dass den Opfern so Gerechtigkeit widerfahre.

Als Transhumanist sehe ich durchaus Vorteile darin, wenn die medizinische Entwicklung darauf hinausläuft, dass mit Hilfe von Hirnimplantaten Ausraster, gewaltsames Verhalten und vielleicht sogar unliebsame Gedanken gesteuert werden können. Früher oder später wird uns der technische Fortschritt auch mit einer schweren moralischen Frage konfrontieren: Sollten wir mithilfe dieser Technologie so in das Gehirn eines Straftäters eingreifen, dass er zu einem besseren Menschen wird, anstatt ihn einfach umzubringen?

Auch ein interessantes Neuro-Experiment: Forscher schalten drei Affen-Hirne zu einem Supercomputer zusammen

Erst kürzlich bewies Thync, dass man schon heute mit Neuro-Tools Stimmungen manipulieren kann und auch andere Gadgets versuchen sich am Gehirn-Hacking. Außerdem haben bereits heute etwa eine halbe Million Menschen Implantate in ihren Köpfen, die bei Schwerhörigkeit, Alzheimer oder Epilepsie helfen. Und jenseits großer Institutionen arbeiten Bio-Hacker mit etwas einfacheren Mitteln an ihrem Traum, eigener medizinischer Vorsorgemaßnahmen und DIY-Wahrnehmungsaufrüstung.

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Wäre eine Neukonditionierung des Gehirns von Kriminellen, also eine Art Lobotomie, nicht vielleicht die bessere Lösung?

Manchen mag das Einsetzen von Neuro-Implantaten vielleicht als eine zu extreme Strafe erscheinen. Jedoch werden vielen Kriminellen bereits heute starke Medikamente verabreicht, die ihre Persönlichkeit beeinflussen. Ich gehöre zu den Leuten, die davon überzeugt sind, dass vielen Gewaltverbrechen eine Art psychische Störung zugrunde liegt.

Wissenschaftliche Entwicklungen könnten in Zukunft nicht nur kriminelles Verhalten technisch korrigierbar machen, sondern auch die Debatte darüber, ob Menschen weiterhin hingerichtet werden sollen verändern. Wäre eine Neukonditionierung des Gehirns von Kriminellen, also eine Art Lobotomie, nicht vielleicht die bessere Lösung?

Eine weitere Alternative für Todeskandidaten könnte die Kryonik sein. Wie im Film Minority Report vorgedacht, könnten Kriminelle so die rechtliche Möglichkeit bekommen, mithilfe der Kryonik zu einem späteren Zeitpunkt wiederbelebt zu werden. Nämlich dann, wenn die Neukonditionierung des Gehirns und die präventive Technologie, wie etwa eine omnipräsente Überwachung, verhindern können, dass Täter überhaupt erst straffällig werden.

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Eine flächendeckende, zielgerichtete Überwachung—die weit über die Möglichkeiten heutiger Fußfesseln hinausgeht—wird es Kriminellen zukünftig erschweren, ohne Strafe davonzukommen. Satelliten, Überwachungskameras, Drohnen und Handykameras (und in 20 Jahren bionische Augen) könnten die Möglichkeit bieten, das Verhalten eines Menschen überall zu erfassen. Die heute bereits eingesetzten Knöchelprothesen mit GPS könnten in Zukunft bei gewalttätigem Verhalten ein Beruhigungsmittel aussenden. Ich gehe davon aus, dass Kriminelle in der Zukunft wesentlich häufiger gefasst werden, besonders dann, wenn sie ein Trauma-Alarm-Implantat tragen, das die Polizei alarmiert, wenn das Gehirn Schwierigkeiten oder Traumata signalisiert (wie bei einem Opfer eines Überfalls).

Der Strafvollzug der Zukunft wird zwangsläufig vom Fortschritt der Technik beeinflusst werden. Wir sollten unsere Einstellung zur Todesstrafe also neu überdenken. Da Kriminelle durch eine bevorstehende radikale Technologieentwicklung rehabilitiert werden könnten und weil ich an das Gute im Menschen glaube, spreche ich mich öffentlich gegen die Todesstrafe aus.

Auf keinen Fall sollten weiterhin Steuergelder in Milliardenhöhe für die Inhaftierung Krimineller ausgegeben werden. Das US-Gefängnissystem ist vier mal so teuer wie das gesamte Bildungswesen der USA. Dieser wirtschaftliche Aspekt ist einer der größten Tragödien in der US-amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft. Wir sollten die Technologie dazu nutzen, Kriminelle zu rehabilitieren, so dass sie sich positiv in die Gesellschaft einbringen können. So werden Verbrecher zu Bürgern, die uns helfen, eine bessere Zukunft aufzubauen.

Zoltan Istvan ist Futurist, Autor des Buchs The Transhumanist Wager, und Gründer sowie Präsidentschaftskandidat der Transhumanist Party. Er schreibt außerdem gelegentlich Kolumnen für Motherboard, in denen er über eine Zukunft sinniert, in der wir die heutigen Grenzen des menschlichen Körpers erweitert haben.

Dieser Artikel ist zuerst auf englisch erschienen.