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Die Rückkehr der verdrängten Erinnerungen

Verdrängte Erinnerungen entscheiden über die Glaubwürdigkeit von Opfern und Tätern. Dabei war das Phänomen schon zu Freuds Zeiten umstritten.

via Wikimedia.

„Verdrängte Erinnerungen“ waren schon ein kontroverses Thema bevor sie Teil des psychoanlytischen Inventars wurden—als Freud sie das erste Mal im Jahre 1896 erwähnte. Wahrscheinlich hast du diesen Begriff nirgendwo öfters gehört als im Zusammenhang mit der Aufklärung von Verbrechen. Da stellt sich natürlich die Frage, wie stehen die heutigen Psychologen zu diesem Thema?

Eine Gruppe von Forschern der Universitäten California Irvine, Penn State und Emory hat die gängigen Auffassungen zum Phänomen der „verdrängten Erinnerungen“ untersucht und geschaut, ob sich diese Auffassungen innerhalb der letzten 20 Jahre verändert haben oder nicht. Die Ergebnisse dieser Studie wurden nun in Psychology Science veröffentlicht.

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In den frühen 1990ern als eine Reihe von Fällen „verdrängter Erinnerung“ aufkam, entwickelte sich eine Debatte darüber, ob diese Fälle überhaupt ein legitimes psychologisches Phänomen darstellten. Später glaube man, dass sich diese „Erinnerungskriege“ langsam in Luft aufgelöst hätten, doch die jetzt vorgelegte Studie zeigt, dass die Meinungen immer noch auseinandergehen.

Um zu schauen, wie die Positionen variieren, entwarfen die Forscher einen Fragebogen für eine selbst-nominierte Gruppe bestehend aus 1376 Probanden, zu denen Vertreter der theoretischen Psychologie, Klinikärzte (praktizierende Psychologen), Studenten und Vertreter der breiten Öffentlichkeit zählten. Im Kontext der Studie definierte man „verdrängte Erinnerungen“ folgendermaßen:

Eine Erinnerung, die so schockierend ist, dass der Verstand diese Erinnerung nimmt und tief in sein Innerstes, in einer unzugänglichen Ecke des Unbewussten, einschließt. Isoliert von dem mentalen Leben ruht diese Erinnerung an diesem Ort für viele Jahre oder sogar für mehrere Dekaden, manchmal sogar für immer. Doch plötzlich, eines Tages, kann sie erweckt werden und zum Bewusstsein vordringen.

Die Forscher fanden heraus, dass sich der Skeptizismus, der sich schon in den 1990ern zeigte, in zwei Hauptgruppen aufteilen lässt: in das Lager der praktischen und der theoretischen Psychologie.

Als man die Probanden fragte, ob sie zustimmten, „dass traumatische Erinnerungen oft verdrängt würden“, stimmten nicht einmal 30 Prozent der theoretisch-orientierten Psychologen dieser Aussage zu. Im Vergleich: Die restlichen 60 Prozent der Teilnehmer, unter denen sich auch viele Klinikärzte befanden, bejahrten dieses Statement. Als man die Behauptung in den Raum warf, „dass man verdrängte Erinnerungen durch eine entsprechende Therapie aus dem Unbewussten heraufholen kann“, ereignete sich eine ähnliche Verteilung des Votums; 75 Prozent der Theoretiker stimmten der Aussage nicht zu und 43 Prozent aller Anderen pflichtete bei.

Warum ist eine derartige Studie überhaupt relevant? Wenn man den Forschern Glauben schenken darf, dann aus zwei Gründen: Erstens, Überzeugungen beeinflussen Handlungen. Ein Therapeut, der an „verdrängte Erinnerungen“ glaubt, wird sich einem Patienten anders nähern, als jemand, der nicht daran glaubt. Zweitens, abgesehen von der klinischen Psychologie hat der Begriff der „verdrängten Erinnerungen“ auch Auswirkungen auf die Rechtsprechung.

Wie groß der Einfluss des menschlichen Gehirns und Verstands auf die juristische Praxis sein darf, ist eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. Diese zusätzliche Bedeutungsdimension des Phänomens der „verdrängen Erinnerungen“ erschwert eine ohnehin verzwickte Debatte. Die Frage ist, sollten „verdrängte Erinnerungen“ im Gerichtsaal berücksichtigt werden oder sollten sie es nicht? Wenn man diese Frage positiv beantwortet, welchen Stellenwert sollte man diesen Erinnerungen dann beimessen? Umgekehrt kann man fragen, ob es grausam und verleumderisch wäre, sie zu ignorieren?

Solche Fragen sind nicht bloß akademisches Geplänkel. 2005 wurde der Priester Paul Shanley wegen der Vergewaltigung eines Jungen verurteilt, der behauptet hatte, dass es sich erst Jahre später an den Vorfall erinnern konnte. Shanleys Versuch seine Verurteilung im Jahre 2007 anzufechten, basierte im Wesentlichen auf dem Argument der Unzulässigkeit von „verdrängten Erinnerungen“. Das Oberste Gericht von Massachusetts jedoch bestätigte das Urteil 2010.

Es war gar nicht die Absicht der Forscher die Frage der „verdrängen Erinnerungen“ endgültig zu beantworten oder zu sagen, ob das Phänomen in solchen Fällen wie dem von Shanley überhaupt hätte zugelassen werden dürfen. Diese Fragen muss ein anderes Mal beantwortet werden. Was wir aber sagen können, ist, dass die „Erinnerungskriege“ noch lange nicht vorbei sind und dass die Implikationen dieses Phänomens weit über den Bezugshorizont der Psychologie hinausgehen.