In den Neunzigern konnte Musik noch schockieren – und nach Marilyn Manson konnte kaum eine Band das besser als The Prodigy. Als die Engländer ein Jahr vor der Veröffentlichung von The Fat of the Land das Video zu “Firestarter” veröffentlichten, ging ein Aufschrei durch die Medien. In England verbannte die BBC das Lied wegen Gewaltverherrlichung aus dem Radio. Außerdem beschwerten sich Zuschauer von Top of the Pops, der damals wichtigsten Musiksendung im britischen Fernsehen, dass die Bewegungen und Outfits des Frontmanns Keith Flint ihren Kindern einen Schrecken eingejagt hätten. Der Clip zu “Smack My Bitch Up” wurde von MTV – in der Prä-YouTube-Ära noch ein Riesendeal für Musiker – ins Nachtprogramm verbannt, weil die Protagonistin in dem Video in Egoperspektive Koks zieht, säuft, sich durch Bars prügelt, kotzt, Heroin konsumiert und eine andere Frau abschleppt.
Nicht nur Video, sondern auch Inhalt von “Smack my Bitch up” (was im Drogen-Slang soviel wie “Spritz mir Heroin” und nicht wie viele dachten “Hau meiner Schlampe eine rein” bedeutet) führte zu Kontroversen. “Change my pitch up! / Smack my bitch up!” sind die einzigen acht Wörter, die The Prodigy aus dem Stück “Give The Drummer Some” der Ultramagnetic MC’s sampleten, doch gerade die zweite Zeile provizierte nachvollziehbarer Weise reichlich Kritik. Die Lage wurde dadurch verschärft, dass die Band sich der Kritik nicht stellte. Ein Interview aus der damaligen Zeit zeigt, wie scharf die Debatte um The Prodigy damals geführt wurde. So wurde nicht nur gefordert, die Musik aus dem Fernsehen zu verbannen, in den USA wurde sogar der Titel zensiert und das “Bitch” durch das Prodigy-Logo ersetzt.
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Im Gegensatz zu Sender-Verantwortlichen, missverstehenden Frauenrechtlerinnen und Eltern begeisterten sich Filmemacher für die rohe Energie von The Fat of the Land. So verwendeten die Wachowski-Schwestern in Matrix die den Track “Mindfields” für die Club-Szene, in der Neo erstmals auf Trinity trifft. Und in 3 Engel für Charlie prügeln Cameron Diaz, Lucy Liu und Drew Barrymore zu “Smack My Bitch Up” auf den Antagonisten ein.
2011 sorgte der Track “Firestarter” noch einmal für aufsehen. Eine Umfrage in Großbritannien ergab, dass kaum ein anderer Song Autofahrer so aggressiv werden lässt, wie das Lied von The Prodigy – nur “Sabotage” von den Beastie Boys schnitt schlechter ab. All das ließ das Interesse an der Band allerdings nicht schwinden. Vor allem wegen ihrer energetischen Live-Shows werden die Engländer noch immer allzu gerne für Festivals gebucht – weil sie dann eben vor zehntausenden Zuschauer alles abreißen. Doch wer sehen will, warum die Band so legendär ist und weshalb Zeitschriften wie das Q-Magazine The Fat of the Land immer wieder als eins der wichtigsten Alben der Neunziger einstufen, sollte sich diesen Auftritt von 1997 anschauen.